© Brutalismus 3000
© Brutalismus 3000

Der Sound einer neuen Generation

Laut, schrill und niemals außer Atem. Mit dem Album »ULTRAKUNST« verabschieden sich Brutalismus 3000 endgültig vom Underground und übernehmen internationale Tanzflächen. Am 7. Mai live in der Arena Wien.

Für Brutalismus 3000 gelten besondere Spielregeln. Sie gehören zu jenen Newcomer*innen, die ihre Produktionen im ersten Corona-Lockdown veröffentlichten und durch die magischen Kräfte des Internets sehr schnell sehr bekannt wurden. In einer Zeit, in der Clubtüren verschlossen blieben und die Erinnerung an kollektive Ekstase zu verblassen drohte, lieferten sie eine unvergleichliche Breitseite an hartem, ausdauerndem Sound. Ein Sound, der über herkömmliche Genredefinitionen hinausgeht und sich an Einflüssen aus Punk und Gabber bedient. Keine Kombi, die man mit kommerziellem Erfolg verbindet. Doch Theo Zeitner und Victoria Vassiliki Daldas treffen damit den Nerv einer ganzen Generation. Einer, die auf TikTok zuhause ist.

Hoch lebe der Algorithmus

Es ist längst keine Seltenheit mehr, dass Künstler*innen oder einzelne Lieder wegen kurzlebiger Videos auf Instagram und Co durch die Decke gehen. Die Labels sehen darin große Marketingchancen, während viele Musikschaffende lieber auf diese Art von Aufmerksamkeit verzichten würden. Steve Lacey zum Beispiel protestierte auf seiner Tour gegen die ausverkauften Hallen, die ihm zufolge einem einzigen seiner Songs zu verdanken waren, und weigerte sich daher, ernsthaft zu performen. Und auch der Auftritt von TV Girl in Wien im November 2022 litt trotz sold-out Show unter dem ungewollten Internet-Fame.

Brutalismus 3000 haben eine andere Sicht auf die Dinge. In einem Interview beschreiben die beiden ihr Publikum als vermehrt jung und weiblich. Viele Fans nutzen die Lieder in TikToks oder Reels und identifizieren sich mit der Musik, stellen sich mit ihr dar. Doch das Duo hat demgegenüber keine abwertende Haltung. Die beiden sehen es vielmehr als Chance, ein Vorbild für weibliche Selbstermächtigung zu sein, für Progressivität und Fortschritt. Ein Ansatz, der aus sämtlichen Lyrics älterer und aktueller Tonträger herauszulesen ist. Mit Liedern wie »No Sex With Cops« und »3ISBÄR« beweisen Brutalismus 3000 seit Anbeginn politische Haltung und unterstreichen ihre Punk-Attitüde. 

Soft Punk statt Hardcore

Genauso ist »ULTRAKUNST« mehr als nur tanzbar. Es ist gesellschaftskritisch, parodistisch, ambivalent und intim. Ein Album, das ganz klar aus Berlin kommt. Die Stadt, in der sie leben, wird analysiert und kritisiert. Ihre Umgebung nehmen Brutalismus 3000 als oberflächlich und egoistisch wahr, heuchlerisch und kalt. Mit »ALL DIE LIEBEN MENSCHEN« steigen sie avantgardistisch in das Album ein und vertonen Zeilen, die an Michael Endes »Momo« erinnern, unter derbem Breakbeat und Garage-Sounds. Wie so oft probieren sie sich im Kosmos der elektronischen Musik aus und verleihen jeder Richtung ihre eigene Note. 

In weiterer Folge werden die Beats wieder schneller und gewinnen an Kontinuität. Hypnotisierende Loops verbinden den Tonkorpus zu einer spielerischen Selbstzitation, die Kompositionen behalten ihre Raffinesse – zumindest teilweise. In dieser Hinsicht kam es in früheren Veröffentlichungen häufiger zu Überraschungen, Experimenten und Tiefgang. Auch textlich wirken einzelne Tracks fast plakativ. Es scheint ein größerer Fokus auf Lyrics gelegt worden zu sein, auf ein Gleichgewicht zwischen Instrumental und Vocals. Subtilität weicht Klartext, die ungeschönte Oberfläche von damals wirkt heute glatt und gestriegelt. Eine Entwicklung, die das Gesamtbild des Albums färbt. Doch schaffen es Lieder wie »IS U CHEMICAL?« und »CRYB3B3«, wichtige Akzente zu setzen. Sie gehören zu den abstrakteren Titeln, die nicht sofort zu deuten sind und trotzdem berühren und antreiben. Eben weil sie den Raum dazu bieten. 

Und selbst wenn sich der Grundton verschoben hat, die Muster etwas poppig ausfallen und der Zugang sich vereinfacht hat: Brutalismus 3000 bleiben die einzigen ihrer Art. Noch immer sind sie unvergleichlich, noch immer geben sie den Ton einer neuen Bewegung an, noch immer beweisen sie maßlose Energie und Liebe zum Detail. Dieser Status ist vielleicht nicht unantastbar, doch steht er zumindest auf einem stabilen Fundament. Das Duo hat durch seine musikalische Abenteuerlust und animierenden Sets einen hohen Maßstab gesetzt. Ob man sich auf die neuen Werke einlässt oder dem Zauber der Vergangenheit nachtrauert, sei dahingestellt. Auf ihren Live-Shows bringen sie beides. Und liefern ab.

Home / Musik / Artikel

Text
Ariana Koochi

Veröffentlichung
29.04.2023

Schlagwörter


favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen