Rob K hat es bislang nicht zum »president of the USA« gebracht, auch wenn ihn die Jon Spencer Blues Explosion schon 1994 vorschlug und er der Nominierung zumindest im Rahmen einer kurzen Wahlkampfrede (Guest-Vocals auf dem gleichnamigen Track) nachkam. So weit, so rätselhaft. Worum geht es hier? Um untergegangene (eingebildete) Weltreiche, die an Glamour’n’Gloom nicht arme Garage-Punk-Szene zwischen Lower Manhattan und Lower East Side im New York der 1990er–Jahre. Die bereits erwähnte Jon Spencer Blues Explosion, davor Pussy Galore und darüber hinaus Bands wie Boss Hog, Royal Trux, The Chrome Cranks, Speedball Baby, Railroad Jerk, Knoxville Girls, Valentine Six, Action Swingers und ungezählte andere Projekte: Die sexy-schmierigen Abkömmlinge von Akteur*innen des New Yorker No-Wave wie Lydia Lunch, John Lurie, James Chance und J.G. Thirlwell – oder Robert Kennedy. Der spielte Ende der 1970er–Jahre bei The Chumps und trat anschließendvorwiegend mit den Workdogs in Erscheinung, einem cleveren tongue-in-cheekTalking-Blues-Duo, an dem sich noch heute alle die Zähne ausbeißen können, die meinen, mit dem Hinweis auf Probleme kultureller Aneignung jede weitere Frage nach dem Wohl und Wehe von kulturellen Transferleistungen schon beantwortet zu haben. Apropos Vermittlung – schon ausgestiegen? In der Tat stellt sich mir die Frage, wer – vor allem in Europa – 2022 Robert Kennedys Gesamtkunstwerk, die (vorläufige) Summe seines künstlerischen Schaffens überhaupt zur Kenntnis nimmt bzw. nehmen will? Für dieses Review komme ich mir tatsächlich vor, wie der sprichwörtliche Rufer in der Wüste. Dass die wiederholt erwähnte Jon Spencer Blues Explosion hierzulande hip war, das ist locker fünfundzwanzig Jahre her, und von den anderen oben genannten Projekten wissen in aller Regel nur Eingeweihte. The Gibson Bros., anyone? Bassholes? Ja, eben.
Egal, zur Sache: »The Comedie of Robert Kennedy« umfasst im Gesamtpaket drei CDs mit insgesamt über drei Stunden Musik, ein Buch (mit den Lyrics zu allen Songs und Illustrationen von Andreas Rausch, die den cut-up/mixed-mediaCharakter der Musik sehr gut einfangen) und einen USB-Stick mit dem Material der drei CDs plus Bonus-Material. Viel Holz. Dramaturgisch angelehnt, wie im Titel leicht erkennbar, an Dantes »Göttliche Komödie« versammelt die Veröffentlichung Musik, die über einen Zeitraum von mehr als dreißig Jahren entstand. Stilistisch eine kleinteilige und kurzweilige (manchmal auch anstrengende) cut-up Rock’n’Roll-Nummernrevue unter Beteiligung von mehr als hundert Musiker*innen (überwiegend Protagonist*innen der oben genannten Szene wie Bob Bert, Jim Waters, Dan Brown, Hollis Queens, Jack Martin, Jerry Teel, natürlich auch Jon Spencer und Christina Martinez, Workdogs-Kollege Scott Jarvis, Marcellus Hall, Don Howland, Dan Kroha und, und, und). Erschienen ist das Ganze in Eigenregie von Kennedy, der das Projekt auch auf eigentümliche Weise im Rahmen eines Membership-Programms vermarktet. Spotify? Pustekuchen! Die erste CD enthält eine überarbeitete Version der bereits 1993 erschienenen »Workdogs In Hell«–Aufnahmen, die zweite titelt »Purgatory Home Companion«, die dritte »Paradise Garage«. Hölle, Läuterung, Paradies. Ein Stufenmodell hin zur Erlösung, musikalisch nachvollzogen aus der Perspektive eines wortmächtigen Underground-Rock’n’Rollers.
Von der Frage in der Hölle nach »Regrets« (keine, natürlich!) über qualvolle Orientierungsversuche, Geduldsproben und Selbstzweifel im Limbus (»Bardot Hotel«) bis hin zur Erlösung – der Meditation und der Liebe sei Dank, »OneLove«! Es geht drunter und drüber, aber stetig aufwärts im Privatuniversum des Rob K: Talkin’ Blues, fernöstliche Mystik, Quantenphysik, experimentell, romantisch, esoterisch, übergeschnappt! Manches entzieht sich auch beimwiederholten Hören dem Verständnis bzw. was zum Teufel ist da los? Der Wahnsinn hat Methode, nur welche, das herauszufinden bedarf schon der intensiven Auseinandersetzung. (Das Begleitbuch dient als Verständnishilfe.)Der Musik der drei CDs hört man ihre Entstehungszeit an, »Workdogs In Hell« klingt im Vergleich am sperrigsten, dreckigsten und krachigsten, das passt zur Hölle. »Purgatory Home Companion« hat diesen Vibe, den auch Produktionen der Blues Explosion nach »Now I Got Worry« hatten, der Flirt mit elektronischen Elementen, stilistische Anleihen an HipHop, eine vergleichsweise polierte Produktion, überwiegend eingängige Songs und»Paradise Garage« ist dann so eine Art moderne Folk-Blues-Produktion: sophisticated, transparent im Klang, alle möglichen Einflüsse souverän in sich aufnehmend. Liest noch jemand mit? Wer es bis hierhin geschafft hat und sich einen Eindruck verschaffen will, dem empfehle ich, die in anderen Versionen einzeln digital erhältlichen Veröffentlichungen »Workdogs In Hell. The Cassette Mixes« und »Purgatory Home Companion« auszuprobieren, um dann vielleicht, bei Gefallen, Mitglied in Robert Kennedys exklusivem Klub zu werden. Wer aber ohnehin weiß, woher der Wind durch die schmutzigen Gassen weht, der oder die muss sich nur noch mit den höllischen Portokosten für Postsendungen aus den USA beschäftigen und sollte dann wählen, welche Art der Mitgliedschaft er oder sie sich leisten kann und will. Es lohnt sich, sowas gibt es nicht alle Tage.
Aus Anlass dieser besonderen Veröffentlichung, ein Interview mit Rob K.:
skug: Rob, wann entstand die Idee, diese umfangsreiche Sammlung an Songs anzulegen? »Workdogs In Hell« wurde ja bereits 1993 erstveröffentlicht (als CD auf dem amerikanischen Label Sympathy for theRecord Industry). Ist die Idee eines karriereumspannenden Aufnahmeprojekts ebenfalls schon damals entstanden?
Rob K: Beinahe so alt. »Workdogs In Hell« war ursprünglich lediglich einWorkdogs-Album. Aber in der Vorbereitungszeit dazu begann ich, Dantes »Göttliche Komödie« wieder zu lesen. Ich hatte bis dato nur, wie die meisten Leute, den ersten Teil, »Inferno«, die Hölle, gelesen. Als ich dann aber zu »Purgatorio«, der Läuterung, kam, da dämmerte mir – vom katholischen Überbau mal abgesehen, dass es eine extrem gute Schilderung dessen ist, was heute mit den Begriffen Therapie, Rehabilitation oder Entzug bezeichnet wird: Eine Geschichte über Veränderung und persönliches Wachstum. So nahm ich es wahr, als perfekte Beschreibung meines eigenen Zustands zum damaligen Zeitpunkt, als ich aus New York City nach Hawaii umsiedelte. Und so begann die Arbeit zum zweiten Teil, »Purgatory Home Companion«, als ich in Hawaii angekommen war.
Apropos New York: Du bist ein aktiver Musiker seit den späten 1970ern, als du mit The Chumps gespielt hast. Du hast während deiner Zeit im musikalischen Underground in New York eine Menge gesehen und erlebt. Im Lichte dessen und deiner Ausführungen zum Fegefeuer als Metapher für Entzug/Therapie: Inwieweit ist die »Comedie« autobiografisch? Wie war es in der Hölle und im Fegefeuer und wie ist es jetzt im Paradies?
Zunächst: The Chumps, das war noch vor der Zeit in New York. Und ja, die »Comedie« ist ein autobiografisches Projekt. »Workdogs In Hell« beschreibt das Leben in der Lower East Side in den 1980ern ziemlich präzise: Drogen, Sex, Rock’n’Roll. Jede Menge Heroin, AIDS, viele Freund*innen arbeiteten in der Sex-Industrie, die Stadt war ziemlich heruntergekommen, dort zu leben billig.
Hawaii hingegen war ein Fegefeuer, eine Bewährungsprobe. Von jetzt auf gleich war ich alleine, hatte keine Szene mehr, keine Musiker*innen um mich herum, überhaupt kein musikalisches oder kreatives Leben mehr. Ich dachte damals, ich käme ohne all das klar, aber das stellte sich schnell als Trugschluss heraus. Also musste ich einen Weg finden, wie ich in einem relativen kreativen Vakuum trotzdem kreativ sein konnte, und »Purgatory Home Companion« ist das Resultat dieser Neuorientierung. Ich lernte, dass es entscheidender ist, wo ich gedanklich bin, und nicht, was um mich herum passiert oder nicht passiert. Aber anfangs war das ein ziemlich steiniger Weg.
Mit Dantes »Paradiso« kam ich schließlich zurande, als ich zurück nach New Jersey ziehen musste, Familienangelegenheiten halber. Im Prinzip beschreibt das »Paradiso« eine halluzinogene Erfahrung, einen Trip, der in deinem Kopf stattfindet. Dante war ja ebenfalls hier und da drauf gewesen, und diese Erfahrung teile ich mit ihm. Da hatte ich gleich einen Draht zu. Das Paradies habe ich also mehr als Bewusstseinszustand aufgefasst und weniger als einenOrt. Als jemand, der meditiert und Yoga praktiziert, ist mir dies nicht fremd. Und so konnte ich mich an einem beschissenen Ort wie New Jersey im Paradies wähnen, auch wenn mir das angesichts äußerer Umstände, der Präsidentschaft von Trump und durch die Pandemie hindurch, nicht immer leichtfiel.
Du hast dich ja aktiv an den Protesten gegen Trump beteiligt und den aufblasbaren Baby-Trump mit betreut …
Ja, wir leben nahe Trumps Golfplatz, wo er bekanntermaßen viel Zeit verbringt, und lernten so auch Leute kennen, die Proteste organisierten. Die haben sich damals an die Briten gewandt, die diesen aufblasbaren Baby-Trump erfunden hatten, und erhielten die Erlaubnis, einen weiteren zu produzieren, und so kam es, dass auch ich mit ihm auf Tour ging, auf Tour gehen bin ich ja gewohnt. Auf diese Weise lernte ich eine Menge verrückte und abgefuckte Leute kennen und lernte, wie traurig – und notwendig – politische Bemühungen sind.
Wie lief die Arbeit an der »Comedie« technisch und organisatorisch ab? Wie sind all die Beiträge der teilnehmenden Musiker*innen zu dir gekommen? Wie hast du dann das Material organisiert, ohne in einem Meer aus digitalen Dateien zu versinken?
»Workdogs In Hell« entstand als seine Art Audio-Mail-Art-Projekt. Wir luden alle, die jemals mit den Workdogs Musik gemacht hatten, per Brief ein, Beiträge auf Kassetten einzureichen. Zusammengeschnitten wurde das dann innerhalb einer längeren Periode intensiven Drogenkonsums mit einer Zweispurmaschine in Jarvis’ Appartement. Zum Zeitpunkt der Arbeiten an »Purgatory Home Companion« hatte ich dann digitale Aufnahmetechniken zur Hand, und Internet gab es eben auch. Ich habe dann Mails verschickt und Leute um Beiträgeangefragt und erhielt wiederum Kassetten oder CD-Rs zurück. Glücklicherweise half mir dann im Weiteren mein alter Freund und Workdogs-Weggefährte Mark Abramson weiter, der sich mit ProTools sehr gut auskannte. Ergänzt wurde das Material während der Fertigstellung auch um zusätzliche Overdubs und Aufnahmen aus übrig gebliebenen, älteren Recording-Sessions. Das gestaltete sich alles ziemlich langwierig und aufwendig, viel wurde ausprobiert und wieder verworfen, manches passte auf wundersame Weise zusammen. Und wir sind auch mitunter in Daten versunken – immerhin hat es fünfzehn Jahre gedauert, »Purgatory Home Companion« fertigzustellen.
Um »Paradise Garage« zusammenzutragen, habe ich dann weniger nach Sounds und Tonspuren, sondern nach Songs gefragt. Die Beitragenden waren mit dem Projekt, der Idee dahinter, soweit vertraut, dass sie passende Songskizzen einreichen konnten, die dann in der Fertigstellung um zusätzliche Aufnahmen und Overdubs ergänzt wurden. Mein Neffe, Brian Blinsky, hat ein Studio, in dem das alles realisiert werden konnte, und die Nähe zu New York hatte – im Vergleich zu »Purgatory Home Companion« – den Vorteil, dass Musiker*innen für den Feinschliff auch noch mal im Studio vorbeikommen konnten. Die Produktion von »Paradise Garage« ging vergleichsweise leicht von der Hand.
Vielleicht auch noch ein Wort zu den Texten der »Comedie«, die entstanden überwiegend im Automatic-Writing–Verfahren. Ich habe viele Songs in meinem Notizbuch gefunden, ohne eine Erinnerung daran zu haben, wann und wo ich sie geschrieben habe.
Die »Comedie« wird von dir über ein exklusives Membership-Programm veröffentlicht und verkauft. Wie kam es dazu, was ist der Gedanke dahinter?
Der »Comedie«-Club ist meine Antwort darauf, dass ich es leid war, meine Arbeit in einem anonymen, digitalen Nichts verschwinden zu sehen. Ich mag den Dialog mit dem Publikum – wer mich auf der Bühne erlebt hat, weiß das. Ich bevorzuge die persönliche, tiefergehende Begegnung gegenüber dem Klicken von »Like-Buttons«. Ich habe ein Interesse an Kommunikation, freue mich über Meinung und Rückmeldungen und Austausch. Der »Comedie« -Club ist ein Vehikel, dies anzuregen und zu unterstützen. Dantes »Göttliche Komödie« hat kein Verfallsdatum und ich habe es auch nicht eilig.
Nachdem dieses karriereumfassende Projekt nun abgeschlossen und in der Welt ist, was kommt als Nächstes?
Ich arbeite daran, die »Comedie« auf die Bühne zu bringen, auf eine Weise, die dem Projekt angemessen ist. Zunächst denke ich dabei an Unplugged-Shows mit kleiner Band, einen Mix aus Songs und Spoken-Word–Beiträgen. Und ich möchte mich auch darum bemühen, Andreas Rauschs Arbeiten einzubinden, und die Shows in Galerien unterzubringen, die gleichzeitig die Illustrationen ausstellen können. Im Idealfall auch im Rahmen einer umfangreichen Produktion, große Bandbesetzung, Projektionen inklusive, aber das werde ich sehen, das wird sich mit der Zeit ergeben, so wie sich das ganze Projekt über eine lange Zeit hinweg in kleinen Schritten realisiert hat.