Minamo ist das japanische Wort für Wasseroberfläche. Musikalische Imagination zum Reflektierenden, Bewegten, Fließenden. Musik wie Wasser, nicht begrenzt, nicht konkret. Musik, zwar auch basierend auf klassischer Kammermusik, aber doch weit hineinentwickelt in die Beweglichkeit der Improvisation.
Satoko Fujii zu Minamo: »Dinge, die keine feste Gestalt haben, sind sehr stark. Das ist wahrscheinlich eine sehr japanische Idee. Wasser hat keine Gestalt, also kann es nicht zerbrochen werden. Wenn etwas eine feste Gestalt hat mit einem harten Material, wie Stahlbeton, kann es – wenn es einmal zerbricht – nicht mehr geformt werden. Und wir mochten einfach den Klang des Wortes Wasser.«
Carla Kihlstedt: »Unsere Musik lebt an dem Ort an dem Offenheit und Entschlossenheit, Spontaneität und Baukunst sich treffen.«
Minamo ist wie eine Umsetzung der Welt der Wasserreflexionen in Musik. Und Musik wiederum »ist das perfekte Träger für die Alchemie von Gedanken, Instinkten, Gefühlen und Ideen«, so Kihlstedt. Es gibt zwei CD-Veröffentlichungen von Minamo, wo diese Aussage jeweils sehr schön zum Ausdruck kommt: die selbstbetitelte »Minamo« (Henceforth Records, 2007) und »Kuroi Kawa/Black River« (Tzadik Records, 2009).
»Black River«
Die japanische Pianistin Satoko Fujii ist eine völlig eigenständige Kraft neben einer Größe wie Myra Melford. Spielt in unterschiedlichen Formationen. Genauso wie Carla Kihlstedt. Die oft auch im Avant-Rock zuhause ist. Beide sind klassisch ausgebildet und mit ihren Projekten in die freie New Yorker Szene verwoben.
Die CD »Black River« kredenzt Asiatisches und Amerikanisches zwischen zeitgenössischer E-Musik, Avantgarde-Jazzigem und frei Improvisiertem. Zwei CDs, vier Hände, zwei Stimmen, vier Musikinstrumente Violine, Trompetenvioline, Piano, Akkordeon. Oft sanft, gelegentlich wild, strukturell aber befreit, immer wieder voll immenser Klarheit, dann wieder mit Ausbrüchen in wirr Stürmisches, vom Tonalen bis zur Grenze des Atonalen gespannt, studioaufgenommen und live.
Die Musik ertönt zwar mit Versiertheit, ist aber frei von zu eingespielten Verhaltensmustern. Minamo agieren mit extremer Sensitivität, Konzentriertheit, die feine klangliche Eleganz kreieren, in einem schwebenden, offenen Freidimensionalen – einem Klangraum jenseits von Banalitäten, Grobheiten, Sinnlosigkeiten. Von der Welt des avantgardistischen Jazz aus einerseits ins perfekt elitäre Kammermusiklische verweisend und andererseits vereinzelt rar vorkommend Volksmusikalisches aufgreifend. In differenziertesten Nuancen der Kommunikation. Jederzeit auch als Weg der Transdifferenzierung aus einem Sog der Dedifferenzierung nutzbar, der im Alltäglichen immer wieder drohen kann.
So gelang Carla Kihlstedt (Stimme, Violine) & Satoko Fujii (Piano, Melodica) als Minamo beim Jazzfestival Saalfelden am 28. 8.2010 ein intensiver, konzentrierter, wunderschöner Nachmittags-Set verfeinerten Avantgarde-Jazzes.
Reflexion/Reflektion
Minamo – Wasser ist eine Welt der Reflexionen. Landschaft ist das Produkt ästhetischer Reflektion und Perzeption von Realität. Und ein vielfarbig aussehendes Element dessen ist Wasser und dessen Oberfläche.
Bei Wasser denkt man einerseits an Transparenz oder an eine blaue und blaugrüne Wasserfläche. Tatsächlich sieht Wasser aber oft ganz anders aus. Denn auf der Wasseroberfläche findet eine Brechung, Spiegelung statt. Da es sich bei Luft und Wasser um zwei Medien mit einer unterschiedlichen optischen Dichte handelt, kommt es, je nach Einfallswinkel, zu einer Reflexion der Lichtstrahlen, Spiegelung, oder einer Lichtbrechung. So einfach das Wasser zu sein scheint – eine simple Verbindung zweier Elemente, Sauerstoff und Wasserstoff – so kompliziert und vertrackt ist Wasser jedoch, wenn man es genauer untersucht.
Auch in der Beobachtung durch Künstler wird Wasserfläche in allen erdenklichen Facetten entdeckt. In der visuellen Darstellung in Malerei, Zeichnung, Fotografie genauso wie in der Musik.
Bei einer Umfrage unter Kunst- und Kulturschaffenden antwortete man mir mit vielfältigen Sichtweisen von Wasseroberfläche auf die Frage nach ersten bildlichen Assoziationen. Ein kanadischer Künstler schickte mir ein Foto einer Wasserfläche auf der sich eine breite, blendende Lichtbahn von einer fahlweißen Sonne ausgehend ausbreitet. Eine Philosophin aus England antwortete mit unzähligen Bildern aus ihren Archiven mit Naturfotografien, die helle Gischt auf grünem Wasser an einer Meeresküste zeigen. Ein Musiker und Maler aus Frankreich sandte Fotos, die verzweigende, schwarze, feine Verästelungen darstellen, die neben einem Waldrand verwischt auf reißend fließendem, dunklem Wasser abgebildet sind. In Quebec dachte ein Komponist an gefrorenes Wasser, hatte mit seinem Foto eine Eisfläche fokussiert, in der runde, weiße Flecken, Luftblasen in der Durchsichtigkeit eingeschlossen sind. Aus Kalifornien erhielt ich eine Darstellung einer Wasserfläche, die wie ein perfekter, glasklarer Spiegel wirkte und die gegenständliche Welt, eine buntfarbige Häuserzeile, exakt nochmal realistisch abbildete.
Wasser kann alle Farben haben und keine. Kann alles widerspiegeln und nichts. Eine glatte Fläche sein oder aufgewühlt strukturiert. Wasser kann jedes abstrakte oder figürliche Bild annehmen. Entscheidend dafür, wie Wasser aussieht, ist natürlich immer das jeweilige Licht. So kommt es zu brennendroten, tiefschwarzen, pastellbraunen oder milchigweißen Wasserflächen, wie ich sie bei einer Münchner Malerin sah. Und Wasser zeigt sich schließlich in anderen Aggregatszuständen in Form von Nebel, Wolken und Schnee hauptsächlich in Weiß und in Grautönen, die aber auch wieder bei verschiedenem Tageslicht andere Farbspuren enthalten können.
Das Projekt Minamo nähert sich einem im spirituellen, meditativen, aber auch expressiven, experimentellen Sinn musikalischen Sehen von Wasserflächen.