Mitten in der Stille der Corona-bedingten Entschleunigung veröffentlicht Philipp Hanich aka Bruch – nach der kürzlich bei Fettkakao erschienenen 7-inch-Single »Kohlhaas/I Surrender« – sein viertes und vielleicht introvertiertestes Album. Zurückhaltend würde mir als Adjektiv ebenso einfallen wie kühl und in sich gekehrt, ein nachdenkliches Album mit einem selbstreferentiellen Gestus à la Iggy Pops »The Idiot«. Hier ist es aber nicht der Idiot, den sich Bruch als Projektionsfläche ausgesucht hat, sondern der Narr: »The Fool«. Der Idiot ist der, der – gemäß Dostojewski – gemessen an gesellschaftlicher Unangepasstheit zum Idioten wird, der sich idiotisch benimmt, weil er aus naiver Weltsicht das Schlechte nicht sehen mag oder nicht erkennt. Der Narr ist die literarische Figur dessen, der sich aus spielerischer Verweigerung der gesellschaftlichen Konventionen zum Narren macht. Der Narr darf bei Shakespeare (und auch bei anderen) alles. Ein Narr macht etwas trotz besserem Wissen anders, weil es vielleicht sogar vernünftiger ist, eben zum Beispiel zu träumen und den Träumer zu leben, als gestresst durch gesellschaftliche Ansprüche mit 40 seinen ersten Herzinfarkt einzufahren. Aber das verstehen halt auch nur andere Narren … oder der Teil in uns allen, der Narr geblieben ist. Der Narr ist aber auch verletzlich und so zittert er in seiner Sensibilität zu reduzierten Klängen: Stoischer Beat und akzentuiertes Gitarrenspiel eröffnen »The Trembler«. Das mutet dann schon autobiographisch an, wenn Bruch in »The Big Boys« darüber reflektiert, wie unschuldig das Träumen der Kleinen ist. Bis dann die großen Jungs (es sind fast immer Jungs) kommen und alles zerstören. Danach erneut eine andere Persona: »The Singer« ist eine wunderschöne Barden-Ballade, die sich in der zweiten Hälfte zur Midtempo-Nummer aufspielt. Des Weiteren wird der Individualismus vergangener Tage und der Underground besungen, durchaus eingängig und fast schon clubtauglich, die meiste Zeit aber dafür doch zu fragil und nach innen gekehrt. Das alles geht gut ins Ohr und schon am Vorgängeralbum »The Lottery« (Cut Surface, 2016) ging die Richtung weg von den charmanten LoFi-Fragmenten der ersten beiden Alben hin in Richtung Popsong. Hier versteckt sich eine Songperle nach der anderen. Und übrigens: Philipp Hanich verehrt Roy Orbison! Alles klar. Autobiographisch wird es auch in dem Stück »The Painter« (Hanich ist bildender Künstler), wo Bruch seine Verweigerungshaltung mit der Ansage »I paint birds« zum Ausdruck bringt. Vögel malt der, der selbst abheben, selbst fliegen mag. »Bruch« – der nach dem eigenen Pseudonym benannte Track – erspannt sich beinahe auf sakrale Art wie eine Litanei über die Konsequenzen unserer Taten. Bis zu seinem wütenden Ende. »Fool the Fool« – was narrt den Narren? Eine wunderbar kraklige Electro-Punk-Nummer, die The Cramps inhaliert hat und mit dröhnendem Bass nach vorne drückt: »Is it real?« Es gibt Dinge, die der Narr nicht begreifen kann. Gut, dass ihn das zornig macht. Flott bleibt es bei »XY« und »Sweat the Crap Out«, während ersteres leicht an Delta 5 erinnert, erprobt sich letzteres sogar im Breakbeat. »Gelotologie« – das ist die Wissenschaft vom Lachen – beschäftigt sich nicht umsonst damit, wie gut uns das Lachen tut. Der Narr tut uns Gutes und diese hymnische Ballade auch. »In Relief« schließt dieses wunderschöne Album stimmig ab. »It’s nobody’s fault but mine« singt der Narr, denn er steht zu seinen Marotten. Bruchs viertes Album ist sein bisher schönstes. Aber Vorsicht, es biedert sich nicht an, ist unaufdringlich und fragil. Am 29. Oktober 2020 wird diese New-Wave-Perle im Wiener Fluc präsentiert.
Bruch
»The Fool«
Cut Surface
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