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Bildende Musik

Ambivalenz war lange Zeit ein Begriff, an dem (pop-)theoretische Erlösungshoffnung klebte und damit der uralte bürgerliche Wunsch, sich mit den richtigen Medien endlich auch die Revolution ersparen zu können. Wenn erst die Uneindeutigkeit an die Macht geputscht wäre, würde alles gut. Verdammt noch mal! Nicht nur die Queer Studies redeten manchmal derart protestantisch daher. Dabei ist die Ambivalenz selbst ein ambivalenter Zustand. Davon erzählen seit Langem die Platten, die Kai Althoff in wechselnden Konstellationen aufnimmt, zuletzt und äußerst eindringlich seine dritte LP als Fanal.

 

Bilder: Kai Althoff

Plattenkunst
Kai Althoff war die Schlüsselfigur und Konstante bei Workshop und 1997 mit Justus Köhncke mal kurz Subtle Tease. Seit 2004 ist er – wohl weitgehend alleine – Fanal. Parallel dazu tritt er als bildender Künstler in Erscheinung. Dennoch missfällt ihm – wie er durch den Promozettel seiner dritten LP mitteilen lässt – »die Rezeption seines Musik-Projektes Fanal im Kunstkontext ebenso wie die Vereinnahmung durch Pop-Magazine«. Aha! Eine jener Finten und Zurückweisungen, die Althoffs Werk – gleich in welcher rezeptionalen Gewichtung – ausmachen? Aber egal ob damit popjournalistische Strohhalme zerbrochen oder die längst als Antiquitäten konservierten Ängste des Kunstsubjekts vor dem Kontext stimmungsvoll zitiert werden, Althoffs Platten sind Kunstobjekte. Das aber in derselben Weise, wie sie eben auch Pop, Avantgarde, mehr oder weniger imaginärer Krautrock und manchmal – zumindest für eine kurze Weile – regelrecht funky sind.
Als bildender Künstler arbeitet Althoff v. a. mit Prinzipien der Versenkung in divergierende Codes. Diese Codes werden nicht streberhaft zitiert, sondern komplett neu aufgerollt und dabei stets von einem in ihnen vergrabenen ?berschuss überwältigt, erschüttert oder auch: entgrenzt. Befreit! Aber wie alle Freiheit, ist dieser Zustand nur schwer auszuhalten. Althoffs Kunst scheint, egal ob als Platte, als Installation oder als halbmeditativer Neoexpressionismus, zu flackern und neben sich zu stehen. Die Sprechweisen, die er ausprobiert, treten als etwas Fremdes auf, das gar nicht weiter verfremdet werden muss. Stattdessen werden sie mit einem Wunsch nach Reinheit, Klarheit, nach ?bereinstimmung (des Subjekts mit dem Code, des Codes mit dem Subjekt) kontaminiert. Ein Wunsch, der sich selbst nicht ganz geheuer ist, im Wissen, dass er Entfremdung erst hervorbringt.

Malen nach Noten
kai_althoff2.jpgDass auf Platten gemalt, gespachtelt, verschmiert und in Perspektiven gedacht werden kann, ist eine Erkenntnis, die im Postpunk herandämmerte. Sound lässt sich auftragen wie Farbe. Und Platten sind – jenseits romantischer Selbstkasteiungen von der Musik als unerreichbarer Königsdisziplin – Bilder oder experimentelle Kurzfilme, auch wenn es der Bildwirkung zuträglich sein kann, das vorübergehend zu vergessen. Kai Althoffs Musik unterscheidet sich in ihrem malerischen Gestus von der, die er in ihr porträtiert oder die er in Tableaus einfügt. Darin ähnelt sie anderer Kunstkontextmusik von z. B. Jörg Schlick oder Red Krayola (v. a. »Corrected Slogans« und »Malefactor, ade«), weil auch hier Codes und Soundimages nach Prinzipien der bildenden Kunst arrangiert werden. Die von Althoff porträtierten Codes variieren um bestimmte Konstanten herum. Sie haben meist mit der Popgeschichte des Eskapismus zu tun, und mit dem Verhältnis des eskapistischen Subjekts zu seiner Umwelt. Dieses Subjekt ist mitsamt seinen Äu&szligerungsformen in gutbürgerliche Lebensvollzüge und Erfahrungswelten eingebettet, deren bedrückende und lauernde Schönheit Althoff einzufangen versucht. Sie setzen den Posen und Gesten, die das Subjekt als Flucht- oder Absetzbewegung in ihnen einnehmen kann, eine unsichtbare Grenze. Aber sie erhalten es auch. Die Unwirklichkeit der Selbstverwirklichung ist gewisserma&szligen ihr Quelltext. Gerade da, wo sie friedlich daliegen und fast zu schlummern scheinen, wirken die Umgebungen, in denen sich das eskapistische Subjekt bewegt, beklemmend und starr. Sie haben einen Schatten, der zumindest angedeutet werden muss.
Und dennoch ist ihr Zwiespalt nicht ihre Wahrheit, die es hervorzutreiben gilt. Er ist nur ein weiteres Image, ein Arrangement, ein Stilleben. Ein Sound, den der Klangmaler aufgetragen hat. Er hat ihn aus anderen Soundbildern extrahiert.
Eine Konstante in Althoffs Werk ist nicht von ungefähr Krautrock. Allerdings ist der Krautrock, an dem er sich abarbeitet, erstaunlich un-Julian-Cope-haft. Weniger scheinen ihn die legendenbildenden Momente von Entfesslung, Entäu&szligerung und Ekstase (die berüchtigten »Abfahrten«) zu interessieren, als das Klamme und Unbehagliche von Krautrockplatten der unteren Ligen. Das darauf festgehaltene Auseinandertreten von Anspruch und Wirklichkeit, das knapp Misslungene und Identitätsunstete, das grob Verhauene und mehr oder weniger emphatisch Verhunzte. Das Nichthinbekommene. Die schlechte, nicht die befreiende Sekundarität.

Phasenverschiebungen
kai_althoff3.jpgWie es sich für Kunstobjekte gehört, repräsentieren Althoffs Platten Werkphasen. Die Fanal-Diskographie wurde 2004 mit einer weitgehend unbedrohlichen Electronica-Installation eröffnet, die sich fast nahtlos in die rheinische Tradition rheinischer Traditionspflege einreihte: entschiedene doch sanfte Klopfrhythmen wie von einer Früh-80er-Moebius-Platte (irgendwo zwischen »Material« und »Tonspuren«), Anklänge an Neu, Harmonia … all die heiter-unbeschwerte, schwach verkokste Zweite-Natur-Schönheit des technologischen Zeitalters, wie sie damals im Gro&szligraum Düsseldorf eingefangen wurde, zu der sich später noch ein paar krude Einwahlgeräusche hinzugesellen. Und weil die Galerie zum Bild passen muss, wurde diese Platte beim Berliner Technolabel Neu Records verlegt. Die verfinsterte Unbehaglichkeit von »II« war auf ihr noch nicht zu ahnen. Wie »III« (wie gesagt: Werkphasen) erschien sie gleichsam kontrapunktisch im a-Musik-Universum bei sonig. Das wiederholt oder zitiert wiederum die Entwicklung von Workshop: Nach zwei LPs (1990/91), die noch am ehesten ??abgefahren?? im traditionellen Sinne waren (indem sie vieles vorwegnahmen oder zumindest streiften, was heute z. B. »New Weird America« hei&szligt), wurde »Talent« (Ladomat, 1995) erstmals breiter wahrgenommen, und zwar als konstitutiver Bestandteil des Stroms an sehr guten deutschen (Autoren-)House- und Electronica-Platten. Sie stand gleichberechtigt neben Sensorama und Whirlpool Productions, auch wenn sie mehr Aberration und Brüchigkeit und verwegenere Brückenschläge enthielt. Dennoch blieb das alles in einem unbeirrt durchlaufenden Groove aufgehängt, war also ??nur?? etwas kühnere Clubmusik. Mit dem pseudomeditativen Fakekrautrock von »Meiguiweisheng Xiang« (1997) war insofern kaum zu rechnen gewesen, noch weniger mit dem um die eigene Achse verschobenen Politrock von »Es liebt dich und Deine Körperlichkeit, ein Ausgeflippter« (2001) und der bizarren Beinaheeingängigkeit von »Yog Sothoth« (2004). Die beiden letztgenannten bemühten sich um die Rücküberführung von Trackrhizomatik in das eben erst mit gro&szliger Geste verabschiedete Songmodell. Dadurch trat die bandspezifische Ambivalenz am klarsten zutage, z. B. im Aus- und Ineinandergleiten von Text- und Musikspur. Sie war jedoch keine ästhetische Verdopplung der poptheoretischen Laudatio des Uneindeutigen. Dazu war sie zu sperrig und wahnhaft, zu schratig und zermürbend. Ambivalenz war hier beklommene Euphorie und aufgekratzte Benommenheit, verschwommene Klarheit und rätselhafte Deutlichkeit, die mich eher an meine frühen Kaffeeräusche erinnerte als an irgendetwas utopisch Rahmbares.

Mehrspurverfahren
kai_althoff4.jpgAuf »III« scheint es nun fast so etwas wie eine Synthese der beiden anderen Fanal-Platten zu geben. Diese Synthese hebt jedoch nichts auf und überführt es in höhere Eintracht. Eher ist sie angespannte Unruhe und hochkonzentrierte Zerstreutheit, deren Spuren an vielen Stellen auseinander laufen und zerbröseln. Manchmal können sie sich nicht mehr auf das Führungsprinzip eines einzigen Rhythmus einigen. Auch die Gesangsspur kippt ins Unartikulierte, weil Althoffs Singstimme alle denkbaren Formen von Manieriertheit ineinander schachtelt. Aber im Zerfallenden entwickeln sich immer wieder interessante Gruppendynamiken. Fast nie verwandelt es sich ganz in Noise. Vielleicht weil das Unstimmige keine Strategie der Desavouierung darstellt, eher eine der Verklärung. So klingt es jedenfalls. Chaos kann also durchaus auch Bändigung sein, Beruhigung. Dies scheint der Ambivalenztyp zu sein, auf den Kai Althoff hinaus will. Egal auf welche Seite ich diese Platte, die, wenn sie ein Bild, dann ein Vexierbild ist, kippe, das Gegenteil von dem, was sich zeigt, verschwindet nicht einfach. Sich nicht zwischen art brut und l’art pour l’art entscheiden können, ist natürlich anstrengend. Es reibt auf. Vor allem die dabei verwendeten Codes, in denen sich dieses manische Zaudern vollzieht. Sie wirken vernutzt: vergilbt, zerfleddert, versehrt. Erschöpft. Und doch erscheinen sie dabei in einem milden Licht, sind Porträts des Gebrechlichen, die im Gebrechlichen gerade dessen Würde zeigen wollen. Nur ist auch diese Würde keine Letztbegründung, sondern blo&szlig ein weiteres Bild.

Fanal: »Fanal III« (Sonig/A-Musik/GoodToGo, Vinyl-only, Auflage: 300)

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