Bilderstürmer Wolfgang Mitterer hat es tatsächlich gewagt: Neben der Deep-Trance-Version von Beethovens »Neunter« auf YouTube existiert nun eine »ernsthafte« Re-Interpretation dessen Werks von einem »richtigen« Künstler, einem Komponisten, also gesampelt, quasi DJ Wolfgang. Mitterer hat nämlich alle Themen von Beethovens neun Sinfonien mit Elektronika verziert auf eine Stunde komprimiert bearbeitet. Als würde die Bibel für Kinder umgeschrieben und auf E-Reader gelesen, könnte man angesichts dieses Wahnsinnskonzepts behaupten. Was Beethoven ausmacht, sind ja nicht nur die Melodien, sondern auch alles Drumherum, die Gesamtkomposition, sein strenger Blick und sein schlechtes Gehör. Aber halt auch die Melodien. Und Mitterer bringt diese in einen neuen Zusammenhang, kann sie zwar nicht von ihrem geschichtlichen Ballast befreien, der kommt immer mit, doch das will er vielleicht auch gar nicht. Mitterer ist aber auch so ein Elektroakustiker mit Verbindungen nach Schweden, wo einiges an Elektromusik passiert. Dort werkelte er in den frühen 1980ern im EMS, dem Elektronmusikstudion, in Stockholm und sammelte Skills für Veröffentlichungen wie »Music for Checking E-Mails« oder diverse orgelbasierte Werke. Er blickt zudem auf gemeinsame Arbeiten mit Christian Fennesz, Sainkho Namtchylak, Roscoe Mitchell und viele andere zurück. Sein Œuvre wird seit jeher mit Spannung und Interesse verfolgt. Was bei ihm herauskommt, hat immer eine gewisse Qualität, den ehrlichen Anspruch, einen Versuch zu starten und etwas Neues zu schaffen.
Das Konzept ist hier vielleicht folgendes: Neumodisches Sampling, Zusammenführen von Schnipseln für die kurze Aufmerksamkeitsspanne. Das Herumspringen von Melodie zu Melodie, wenn die Erwartungen an Bekanntes nicht erfüllt werden und stattdessen nach weiteren Sprüngen durch andere Schnipsel vertröstet werden. Alles recht hektisch, eklektisch, der rote Faden ist Beethoven. Eine seltsame Elektrogitarren-Sequenz lugt wiederholt ins Geschehen. Der Sound von einem herannahenden Formel-1-Flitzer erschallt. Darin sitzt: Beethoven selbst, mit der nächsten seiner bekannten Melodien im Gepäck. Ludwig van wird hier so verändert, dass es wie eine unangenehme Heirat von Filmmusik und Vaporwave erscheint. Weil die Instrumente jedoch (2006 vom Haydn Orchester) live eingespielt wurden, hat es noch immer die Aura eines »richtigen« Orchesters. Beethoven ist hier nicht gekürzt, er ist entstellt. Mitterer hat nicht Wesentliches entnommen, keine Neuinterpretation gewagt, sondern eher etwas gänzlich anderes durch Neuanordnung und Schichtung geschaffen, das die Veränderungen in der Herangehensweise von Komposition, aber auch Hörergewohnheiten berücksichtigt. Etwa eine Stunde dauert das. Im Vergleich: Aufnahmen von Beethovens »4. Symphonie« dauern im Schnitt eine Dreiviertelstunde. Macht Spaß, und man spart sogar Zeit.