Übersetzt bedeutet der Titel »Ideas Flotantes« etwa »schwebende Ideen«. Es ist das ich weiß nicht wievielte Album von Ernesto González’ Soloprojekt Bear Bones Lay Low, dessen Vinyldebüt bereits 2007 erschien. In den seither fast zwanzig Jahren hat Ernesto González eine Reihe musikalischer Projekte verfolgt, Dutzende von Alben in unterschiedlichen Formaten in eher kleinen Auflagen veröffentlicht, ungezählt viele Shows in Off-Spaces, Kneipen, Kellern, Galerien, besetzten Häusern, Jugendzentren und Kunstvereinen gespielt und sich so einen Namen gemacht, könnte man sagen. Es ist allerdings schwer einzuschätzen, wie groß die Reichweite all dieser Projekte war und ist, denn der musikalische Underground, in dem hier die Musik spielt, wird einem etwas größeren Publikum zumeist nur sichtbar, wenn Festivals wie das belgische Meakusma-Festival Musiker wie Ernesto González auf größere Bühnen und in helleres Bühnenlicht stellen. So ist das nun mal, kein Grund zur Klage. Es gibt immer was zu entdecken und dank digitaler Plattformen wie Bandcamp spielt die unbedingte Zeitgenossenschaft eine eher untergeordnete Rolle beim Suchen und Finden neuer Musik: Es ist egal, ob die limitierten Kleinauflagen der jeweiligen Tonträger noch erhältlich oder bereits vergriffen sind, die Möglichkeit zum Download bleibt. Im Falle von »Ideas Flotantes« ist das Vinyl auch noch nicht vergriffen und ungeachtet der mehr oder weniger geheimen Gesellschaften und musikalischen Milieus ist letztlich die Frage, wie die Musik klingt und ob sie gut ist, nicht wahr? Konzentrieren wir uns also aufs Wesentliche. »Ideas Flotantes« beinhaltet acht instrumentale Kompositionen, die nicht in einem berühmten Studio für elektronische Musik entstanden sind, den Aufwand muss nach heutigem Stand der Technik auch kein Mensch mehr betreiben, sie klingen aber stellenweise so wie eine akademische Bastelarbeit aus Köln oder Paris, wenn die Altvorderen sich erlaubt hätten, sich hier und da ein bisschen locker zu machen, um zarte Melodien in entspannter Stimmung zuzulassen. Aber wie sollte man sich damals locker machen, wenn man in mühevoller Kleinarbeit Tonbandschnipsel an Tonbandschnipsel kleben musste? Das war eine nervenaufreibende Tätigkeit! Nicht nur historisch näher steht die Musik von Bear Bones Lay Low den Pionier*innen der Synthesizer- und Computermusik wie Laurie Spiegel, David Behrman, Suzanne Ciani oder Mort Garson, und aus dem Schlaf gerissen kann Ernesto González weitere Inspirationsquellen wie Hans Joachim Roedelius oder Asmus Tietchens nennen und bis in die unmittelbare Gegenwart hinein benennen, in welcher Nachbarschaft seine Musik ihr Zuhause hat. Er hat seine Hausaufgaben gemacht, aber – um im Seminar-Jargon zu bleiben – er vollbringt auch mit Bravour die Transferleistung aus allem, was er weiß und gehört hat, seine eigene elektronische Musik zu machen, die lebendig und quirlig, frisch und überhaupt nicht rückwärtsgewandt klingt. Die Ideen schweben und streben ins Offene, sie klingen unbeschwert und leicht, frei von jedem Ballast und daher kann – wie das idealerweise bei ich möchte fast sagen jeder Musik ist oder sein sollte – »Ideas Flotantes« auch ganz unvoreingenommen, quasi naiv, gehört werden, und das ist entscheidend.
Bear Bones Lay Low
»Ideas Flotantes«
Kraak
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