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Bad Ideas

Georg Nussbaumer und Stefanie Prenn hieven das Bad in den Fokus von Performances, samt Remake-Remodeling von 1960er-Fluxus-Klassikern! Anlass für ein Gespräch mit den beiden Kurator*innen von aiaia – Organ für supradisziplinaere Kunst.

Eines der meistbeforschten Gebiete in der Biologie ist die Urzelle LUCA. Das Akronym bedeutet »Last Universal Common Ancestor«. Eine um vieles größere Zelle jüngeren Datums in der gutsituierten, bürgerlichen Gesellschaft ist die Nasszelle, vulgo Bad. Und dass man diese auch gut – und zwar performativ – beforschen kann, wollen die »Inselbegabten« Georg Nussbaumer und Stefanie Prenn von aiaia – Organ für supradisziplinaere Kunst nach der Schwimmbadoper »duck and listen!« im August 2021 nun mit dem Event »nass zell flux« demonstrieren. Unzählige Fluxus-Klassiker aus den 1960er-Jahren werden im Rahmen des zweiten Teils der Serie »Inseln aus Wasser« mehr oder weniger auffällig bei einer mehrstündigen Tour Anfang April 2022 durch diverse Badezimmer auftauchen.

Neben Re-Enactments gilt es beim geführten Sich-Treiben-Lassen aber auch Neues zu entdecken: Christine Schörkhuber wird Badezimmergegenstände zum Leben erwecken, Robert Schwarz plantscht mit Wassertropfen und Unterwasserlautsprechern, Andreas Trobollowitsch vereist eine Trommel mit Schlegeln und Cornelius Berkowitz und Christina Dörfler bringen Farben und Viskositäten mit Hilfe des Publikums zum Klingen. Jorge Sánchez-Chiong macht etwas sehr Lautes oder auch Leises und Martina Claussen verarbeitet Badezimmerglumpert zu etwas sehr Hörbarem. Werden wir an diesem Abend herausfinden, wer FUFA* war? Im Gespräch mit Georg Nussbaumer und Stefanie Prenn – an einem verregneten Wochentag, aber im Trockenen – erfahren wir jedenfalls, welchen therapeutischen Mehrwert ein Eimer am Kopf haben kann.

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skug: »Der Urgrund aller Dinge ist das Wasser«, so eine Behauptung zwischen Philosophie und Mythologie von Thales von Milet. Carlo Sini wiederum, ein noch lebender Philosoph, hat das Theater als Urgrund des Wissens ausgemacht: »Das Theater bildet die älteste Form des Wissens, das die Menschheit geschaffen hat und heute noch seine Gültigkeit bewahrt. Es gibt kein Wissen ohne das Theater.« Was könnt ihr diesen Annahmen abgewinnen?

Georg Nussbaumer: Das Wissen, das durch Theater- oder Performancestücke weitergegeben wird, ist ja kein gesichertes Wissen. Das sind Vermutungen und Ahnungen, die man aber durchaus als Rätselfragen aussprechen kann. Diese vermutete Wahrheit kann live am offenen Herzen vom Publikum, aber natürlich auch von uns als Mitwirkenden, begutachtet werden. Je tiefer man drinsteckt – auch durch Vorwissen, umso tiefer sieht man dann auch. Wenn jemand einschlägig vorgebildet ist, sieht und liest er*sie Stücke natürlich anders. Aber das soll nicht wertend gemeint sein.

Man spricht auch von der Anomalie des Wassers, das Dichteverhalten unterscheidet sich von anderen Flüssigkeiten. Welche Anomalien versucht ihr durch die performativen Verdichtungen des Events »nass zell fluss« aufzuspüren?

Stefanie Prenn: Bei »nass zell fluss« wird das Normale zur Anomalie. Alltäglich Erscheinendes, wie eben auch die privaten Badezimmer als Aufführungsorte oder das Duschen, wird vom alltäglich Stattfindenden durch das In-den-Fokus-Rücken zum performativen Akt.

Georg Nussbaumer: Das Eindringen in ein Badezimmer von einer fremden Person ist ja ungleich intimer, als wenn sich jemand auf einer Bühne nackt ausziehen würde. Das ist uns beim Besichtigen der Badezimmer stark aufgefallen – dieses Eintreten in einen extrem intimen und normalerweise auch mit Fremden nicht geteilten Raum. Die Objekte und Installationen – von wirklichen Installateuren – bekommen durch das Betrachten mit einem kollektiven Wissen eines Publikums eine ganz andere Rolle.

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Das Badezimmer ist ja auch ein menschlicher Wartungsraum, ein Showroom, der einem immer wieder auch die Verletzbarkeit des Körpers vor Augen führt. Die Instandhaltungs- und Pflegearbeiten passieren meist in einem kalten, mit harten und spiegelnden Oberflächen versehenen Hygiene-Kabinett …

Georg Nussbaumer: Die eingeladenen Künstler*innen exponieren sich natürlich extrem in diesen Kammern. Dadurch könnten interessante Formen der Interaktion entstehen.

Stefanie Prenn: Für die meisten Künstler*innen sind das ja auch fremde Badezimmer, außer für Robert Schwarz, der in seinem eigenen Badezimmer performen wird. Das Badezimmer ist ja einerseits so ein cleaner Raum, andererseits stehen da seltsame Dinge herum, wie ein Duschgel, dass dir sagt: »Erfinde dich selbst …« Das erinnert mich auch an einen Woody-Allen-Film. In »To Rome with Love« kommt ein Sänger vor, der nur in der Duschkabine wunderschön singen kann – aber eben nur im Badezimmer, weil er sonst zu aufgeregt ist. Schließlich wird die Duschkabine auf die Bühne gestellt, damit die schönen Töne vor Publikum aus ihm rauskommen können …

Georg Nussbaumer: Gestern habe ich gelesen, es gibt in Südkorea Kurse für Leute mit Karaoke-Angst. Eine dieser Übungen ist das Singen mit einem Eimer am Kopf. Und da war ein Foto dabei, mit einer ganzen Schulklasse, wo jede*r einen blauen Kübel am Kopf hatte. Ich habe das entdeckt, weil ich an einem Konzept arbeite, wo das vorkommen soll – ein Mensch mit einem Eimer am Kopf – und bei der Recherche bin ich auf diese Therapie in Südkorea gestoßen.

Zurück zu »nass zell flux« und zum Fluxus. Als Aktionskunst rückt sie die künstlerische Idee in den Vordergrund und feindet die Fetischisierung des Kunstwerks an – oder wie Georges Maciunas es in seinem Manifesto 1963 formulierte: »promote NON ART REALITY«. Was hat euch an dieser Kunstrichtung nach Dada ein weiterer Versuch, das gutbürgerliche Kunstverständnis zu verstören so fasziniert?

Stefanie Prenn: So, wie ich das verstanden habe, ging es bei den Dada-Leuten um den Un-Sinn und das Um-Drehen. Bei den Luxus-Künstler*innen finde ich den Aspekt des In-Frage-Stellens des Alltags spannend. Man stellt sich und anderen Rätsel, das muss auch gar nicht immer unbedingt kritisch sein oder die Wahrnehmung schärfen.

Georg Nussbaumer: Das Publikum wird bei den Fluxus-Performances im Rahmen von »nass zell flux« auch von sogenannten »Flux Attendents« und »frei Radikalen« begleitet. Fluxus ist für uns – und unseren Anspruch von aiaia, ein Organ für supradisziplinäre Kunst zu sein – eine wunderbare Erfüllung. Nehmen wir das Anzünden eines Streichholzes, das Yoko Ono mit »Lightning Piece. Light a match and watch until it goes out« zu einer Fluxus Kunstaktion gemacht hat: Es ist visuell, es ist akustisch, es verändert die Temperatur in seiner Umgebung, es hat einen Geruch, es transformiert das Objekt – ein gerades Streichholz wird zu einem schrumpeligen. Und nicht zu vergessen die wahnsinnig vielen Bedeutungen von Feuer.

Stefanie Prenn: Man sollte sich auch immer wieder in Erinnerung rufen, dass Fluxus oft auch von Klängen und Musikkonzepten ausgeht.

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Georg Nussbaumer: Mir fällt da jetzt auch der »Watch Dog« von Nam June Paik ein, eine laute statische Skulptur aus Bildschirmen, die wie ein Hund ausgesehen hat, die Tatsache der Überwachung und der Hund sind vollkommen eins – skulptural und inhaltlich. Er ist aus den Objekten gebaut, die uns überwachen. Für mich eine Ikone der intermediären Kunst, wie sie damals auch genannt wurde …

Stefanie Prenn: Er wollte ja auch einen Roboter bauen, benannt nach dem Köchelverzeichnis, »Robot K-456«. Dieser sollte das Publikum ärgern und stoßen und lästig sein.

Georg Nussbaumer: Ich sehe das auch im »Water Walk« von John Cage aus dem Jahr 1959. Natürlich wirkt das Stück auf uns heute lustig, aber ich lese das Stück auch als Kritik, wie es Henry Miller bezeichnet hat, auf den »klimatisierten Alptraum« der USA. Diese amerikanische Wohlstandsgesellschaft – das hat John Cage, alles andere als ein Prophet der Überflussgesellschaft, lange vor den Hippies thematisiert. Wir werden das Stück »Water Walk« aufführen. Es wurde ja ursprünglich für zwei Räume konzipiert, John Cage hat es dann später für Fernseh-Shows adaptiert. Wer hat denn schon in seiner Wohnung ein Klavier und eine Badewanne nebeneinanderstehen? Wir haben auch das Stück »Sky Piece of Jesus Christ« von Yoko Ono im Programm. Musiker*innen werden während des Spielens einbandagiert, bis sie wie Mumien aussehen und nicht mehr spielen können. Das wurde von Yoko Ono als Kritik auf den Heiligenstatus von John Cage verstanden. Das ist ja auch interessant, kurz vor Ostern werden bei diesem Fluxus-Event Stücke aufgeführt, die mit christlichen Ikonografien spielen. Man könnte ja auch den Titel »Water Walk« von John Cage als das Gehen von Christus über den See von Genezareth interpretieren. Dieses biblische Über-das-Wasser-Wandeln war ja der wahre »Water Walk«.

Könnt Ihr schon Andeutungen machen, was aiaia heuer als nächstes aushecken wird?

Georg Nussbaumer: Wir verlassen das Thema Wasser und machen unter dem Sammeltitel »Leiermann the Organgrinder« einige Projekte zum Thema Drehung, Rotation, Kreis … aber da sind wir noch nicht soweit, Genaueres sagen zu können.

*FUFA: First Universal Fluxus Artist

Link: »Inseln aus Wasser II / nass zell flux«

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