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Autodidakt der Avantgarde: Duane Pitre

In sich ruhend, feingliedrig und von geheimnisvoller Schönheit - mit der Veröffentlichung seines Albums »Feel Free« im letzten Jahr erntete Duane Pitre euphorische Kritiken. Nun ist mit »Bridges« sein zweites Album für Important Rec. erschienen, und wieder ist die Musik durch jene Sanftheit und Klarheit geprägt, die auch schon den Vorgänger kennzeichnete.

Fotos: Dorka Hegedus

Das amerikanische Label Important Records mit Sitz in Groveland, MA, veröffentlicht seit 2006 u. a. Aufnahmen von Catherine Christer Hennix, Eliane Radigue oder Pauline Oliveros. Duane Pitres Arbeiten befinden sich neben diesen einflussreichen Protagonistinnen experimenteller Musik in bester Gesellschaft. Doch im Unterschied zur akademischen Tradition der Avantgarde der (elektronischen) Minimal- und Drone-Musik der 1960er Jahre bis in die Gegenwart hinein ist der Anfang der 1970er Jahre in New Orleans geborene und lebende Pitre ein komponierender Autodidakt, dessen musikalische Sozialisation die typischen DIY-Underground-Vorlieben offenbart. Der ehemals professionelle Skater (und Ex-Gitarrist der Post-Hardcore-Band Camera Obscura aus San Diego) zählt My Bloody Valentines »Loveless« zu seinen All-Time-Favorites und der Backkatalog des SST-Labels hat seine Jahre in der Halfpipe bestimmt: »Schon damals interessierten mich die – sozusagen – experimentellen Elemente und Momente der Musik, die ich mochte oder selbst machte, am meisten«, erzählt er im skug-Interview. »Darauf habe ich mich im Laufe der Jahre mehr und mehr konzentriert und irgendwann angefangen, alleine Aufnahmen mit Gitarre, Effektgeräten und Loopstation zu machen. Aber nach einiger Zeit bin ich da nicht so recht weitergekommen, die Musik, die ich machen wollte, konnte ich so nicht realisieren. Also habe begonnen, mich mit Musiktheorie und Kompositionstechniken auseinanderzusetzen.«

Dabei entdeckte er La Monte Youngs »The Well-Tuned Piano«-Werk und dessen sogenannte »reine Stimmung« (engl. »Just Intonation«). Sein Interesse an Tonsystemen in »reiner Stimmung« zeitigte 2009 die von ihm kuratierte »Harmonic Series«-Compilation, die musikalische Arbeiten verschiedener zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler (u. a. Ellen Fullman, Pauline Oliveros und Charles Curtis), die in »Just Intonation« komponieren, vereinigt. Auch die Aufnahmen, die Pitre seitdem veröffentlicht hat – »Origin«, »Feel Free« und jetzt »Bridges« – basieren darauf.

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»Just Intonation« – elektronisch erweitert

Für »Bridges« wurden u. a. Saxophon, Cello, Mandoline, Ukulele und Cümbüs (eine Art bundloses türkisches Banjo) separat und in unterschiedlichen Städten und Studios aufgenommen und anschließend arrangiert: »Nachdem – mit der Unterstützung des Cellisten Oliver Barrett und des Sopran-Saxophonisten Bhob Rainey – alle musikalischen Phrasen, einzelnen Töne und Tonfolgen aufgenommen waren, führte ich sie mit Hilfe einer Software, die ich eigens dafür entwickelt habe, am Computer zusammen«, erläutert Pitre. »Die Software beinhaltet auch eine Art Zufallsmodus, der bis zu einem gewissen Grad die improvisatorische Freiheit und Spontaneität von Musikerinnen und Musikern in einem Ensemble simuliert, und auf diese spontanen akustischen Signale kann ich wiederum in Echtzeit zugreifen, um die Komposition so zu beeinflussen, wie ich ihre Entwicklung verfolgen möchte«.

Diese interaktive Konstellation erlaubt es Duane Pitre, mit dem Laptop »Bridges« auch solo live aufzuführen, denn eine Realisierung mit einem kompletten Ensemble ist kostspielig: »Derzeit ist keine Aufführung mit Musikerinnen und Musikern geplant, aber wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt, dann wäre ich jederzeit dazu bereit«. Für eine Aufführung von »Feel Free« im letzten Jahr startete er eine Crowdfunding-Kampagne auf Kickstarter und fand innerhalb von vierzehn Tagen fünfzig Unterstützerinnen und Unterstützer, um mit knapp 2.000 US-Dollar Flüge und Gagen für einen Auftritt im renommierten Londoner Café Oto zu finanzieren; Low-Budget-Avantgarde 2.0.

 

Brücken schlagen

Den artifiziellen und abstrakten Prozess der Fertigstellung sowie die hybride Form der Komposition hört man dem Album nicht an. »Bridges« klingt organisch, warm und wie aus einem Guss und ähnelt darin immer wieder Pitres historischen Vorbildern; etwa den Ragas von La Monte Young, den minimalen Drones von Yoshi Wada oder den meditativen Klängen der Deep Listening Band um Pauline Oliveros.

Einen weiteren Einfluss auf ihn stellt – vor dem Hintergrund der genannten Vorbilder wenig überraschend – all die Musik dar, die mit dem Begriff »Weltmusik« immer noch mehr schlecht als recht etikettiert ist: (Klassische) Musik aus Japan und Indien, dem Mittleren Osten oder Indonesien. Andere Tonleitern, andere Instrumente und eine Erweiterung seiner ästhetischen Sensibilität stehen dabei in Pitres Interesse als Komponist: »Zum Beispiel habe ich letztes Jahr in Paris eine Platte mit persischer Musik gekauft. Obwohl mit sechs Musikern gespielt, beinhaltet die Musik darauf lange Solo-Instrumentalpassagen, die einen während des Hörens vergessen lassen, die Aufnahme einer mehrköpfigen Gruppe zu hören, bis nach einer langen Zeit das Ensemble wieder in die Musik einsteigt und dadurch einen wunderbaren Gegensatz erzeugt. Etwas Ähnliches habe ich dann auch stellenweise mit »Bridges« versucht«.

Solche Einflüsse und Anregungen verleiten Duane Pitre glücklicherweise nicht dazu anzunehmen, zum Beispiel persische Musik verstanden zu haben oder gar machen zu können: »Daran bin ich nicht interessiert, ich kann und will so etwas ja nicht bloß nachmachen. Ich finde lediglich bestimmte Aspekte unterschiedlichster musikalischer Traditionen interessant und versuche, Elemente solcher Traditionen und Zusammenhänge in meine eigene musikalische Arbeit einzubinden, sie mit meiner Musik zu verbinden«. Daher der Titel: »Bridges«.

 

Schöne Antwort

Die angesprochene Verbindung, die Duane Pitre mit seiner Musik über musikalische Tellerränder und kulturell geprägte ästhetische Gewohnheiten herstellt, mag vordergründig betrachtet banal erscheinen und der Realität des postmodernen Sozialcharakters des »Digital Natives« entsprechen. Dessen »Bridges« sind unterirdisch mit Glasfaserkabeln verlegt und dienen dazu, sich mit Hilfe digitaler Archive wie UbuWeb oder – wildwüchsiger und weniger spezifisch – YouTube und ungezählten Blogs Kenntnis über globale musikalische Traditionen und Artefakte zu verschaffen – seien diese nicht-westlicher oder akademischer Provenienz (oder beides).

Mit dem prinzipiellen Zugang zu immer auch erst einmal (anhand welcher Kategorien?) zu bewertenden »Informationen« ist die Frage nach der Qualität und der damit möglicherweise verbundenen ästhetischen Erfahrung allerdings nicht vom Tisch, sondern gerade erst aufgeworfen! Was nun? Was tun, zum Beispiel mit der über Stunden angeschauten Video-Dokumentation »Music With Roots In The Aether« (1976) von Robert Ashley über Komponisten wie Alvin Lucier, Terry Riley oder Philip Glass, den heruntergeladenen (auch angehörten?) Ocora-Platten mit tibetanischen Gesängen und indonesischen Gamelan-Orchestern und der pdf-Datei von La Monte Youngs frühem Fluxus-Buch »Anthology Of Chance Operations« von 1963? Duane Pitres Musik ist eine Antwort auf diese Frage. Nur eine – aber eine sehr schöne.

 

Auswahldiskografie

»Bridges« (Important Rec. 2013)
»Feel Free« (Important Rec. 2012)
»Origin« (Root Strata 2010)
VA: »The Harmonic Series: Musical Works in Just Intonation. Compiled by Duane Pitre« (Important Rec. 2009)

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Text
Holger Adam

Veröffentlichung
17.02.2014

Schlagwörter


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