Geschichten aus dem subproletarischen Milieu werden zwar gelegentlich eingesetzt, um möglichst grelle Bilder der Unterseite einer Gesellschaft zu illuminieren. Dass das Lumpenproletariat sich selbst schriftlich erzählt, kommt dagegen in Ermangelung an Ressourcen, Bildung und dem Denken in den eher langfristigen Dimensionen der Schriftkultur selten vor. In Egon Neuhaus nun erschienenem autobiographischem Stoff »Spinnewipp« passiert aber genau das auf spannende Weise. Marx bemerkt an einer Stelle im 18. Brumaire zum Lumpenproletariat, die Zwei Eigenheiten des Erzählers stechen darin hervor, der extreme Bildungs- und Politisierungshunger, und, weil eben nie in der adäquaten Umgebung dafür, ein unbezwingbarer Individualismus, ein permanentes Außenseiterdasein noch an den randständigsten gesellschaftlichen Orten. In sehr unaufgeregter, bildarmer, ganz selten ins Deftige driftenden Sprache wird geschildert, wie trotz der Geburt in ein Arbeitermilieu am Rande des Ruhrgebietes und ersten Kapitaleinführungen durch den Opa, die wirkliche Politisierung auf Klos und Kellern mit dort verfügbaren Zeitungen stattfindet, und die Geschichte von Ausbruchsversuchen und vagabundierenden Alleingängen anhebt nach Todesfällen in der Familie durch die ?berstellung des Erzählers in ein Heim, als »Sklave« in die Landarbeit, als Soldat in den Krieg. Sich stets ohne jede personelle oder institutionelle Anbindung als Kommunist begreifend, gelingt Neuhaus besonders die Schilderung Nachkriegsdeutschlands, das weit entfernt von Wirtschaftswundern in einem ehemaligen Bunker nahe der Dortmunder Riviera, dem Dortmund-Ems-Kanal, inmitten von Trümmerwühlern, Trinkern und Ganoven verbracht wird, sehr eindrücklich und lässt ein Zeitdokument von großem Wert entstehen.
Egon Neuhaus: »Spinnewipp«
Verbrecher Verlag 2010, 394 Seiten, EUR 13,-