»Nationalismus ist Gift für die Gesellschaft«: So lautet die Botschaft des von Filmavantgardist Johann Lurf gestalteten Trailers der Diagonale 2019, mit dem einer der Kuratoren (Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger) am 19. März 2019 lautstark den Eröffnungsabend des Festivals des österreichischen Films einleitete. Damit wurde die politische Position des heimischen Kinos in Zeiten des Erstarkens rechter Strömungen klar formuliert. Manuel Ruby moderierte charmant und bravourös, etwa die Verleihung des großen Schauspielpreises der Diagonale, der von der Regisseurin Veronika Franz und der Schauspielerin Johanna Orsini-Rosenberg feierlich an Birgit Minichmayr überreicht wurde.
Eröffnungsfilm
Verspätet begann danach der aufgeregt erwartete Eröffnungsfilm »Der Boden unter den Füßen« der Grazer Regisseurin Marie Kreutzer, die mit diesem Werk auch im Wettbewerb der Berlinale 2019 lief, wo sie allerdings leer ausging. Nichtsdestotrotz ist Marie Kreutzer als neuer Shootingstar des österreichischen Films zu bezeichnen, der gekonnte Schritte auf dem »Walk of Fame« hinlegt. Thematisch trifft aktuelle Problematik den Nerv der Zeit: Hauptdarstellerinnen sind ein Schwesternpaar, die eine, Conny (Pia Hierzegger), leidet an paranoider Schizophrenie und die andere, Lola (Valerie Pachner), ist eine erfolgsorientierte Unternehmensberaterin, die für ihre Arbeit lebt, ihren Körper mit fanatischen Sportattacken dem neoliberalen Leistungssystem unterwirft, blendend aussieht und eine glaubwürdig dargestellte lesbische Beziehung mit ihrer Chefin führt.
Verunsicherung auf allen Ebenen?
Immer wieder tauchen die Zusehenden in die Beziehungswelt der beiden Schwestern ein, in der Lola die Vormundschaft über Conny obliegt, die nach einem schizophrenen Anfall im Pavillon 22 des Otto-Wagner-Spitals stationiert ist. Die irre Welt psychisch Kranker authentisch wiederzugegeben, gelingt nicht. Welch schwieriges Unterfangen auch! Spannend erscheint die Infragestellung von Kompetenz bzw. Hierarchie des normativen Dominanzsystems, wenn sich ein von Markus Schleinzer verkörperter Psychatriepatient vor Lola als Chefarzt ausgibt, die ihm das anfänglich – wie auch die Zusehenden – abnimmt, bis er von einem Aufseher abgeführt wird, womit unsere konstruierte Welt von Norm und Abnormität vorgeführt und in Frage gestellt wird.
Sexismus in allen Lebenslagen
Vor Belästigung und Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts ist selbst die erfolgreiche Lola nicht gefeit. Permanent ist sie dieser in ihrer Arbeitswelt durch männliche Kollegen und Geschäftspartner ausgesetzt. Als Inbegriff patriarchaler Hegemonie ist die Szene am Männerklo zu werten, als der männliche Kollege vor Lola als Symbol seiner unübertreffbaren Macht seinen Penis entblößt und ihn ihr entgegenhält. Ein Geschäftspartner bedient sich hingegen der verbalen Belästigung von Frauen, indem er Lola bei einem Geschäftsessen ungeniert und selbstgefällig an den Kopf wirft, dass er ihr unter den Rock, zwischen die Beine fassen will, worauf sie nicht eingeht und sachlich bleibt. Umso schöner die lesbische Lovestory, die sich zeitgemäß auch nicht durch besondere Nähe auszeichnet, aber durch ihre expliziten sexuellen Darstellungen belebende Inspirations- und Innovationsmomente bereithält. Nach dieser leidenschaftlichen Bettszene und einem verlautbarten Karriereschritt Lolas kommt der emotionale Fall, der Tränen in die Augen treiben kann. Doch das Leben muss weitergehen: Jede lebt in ihrer eigenen Welt. Lola nimmt am Ende ihr Alltagsleben wieder auf … »Der Boden unter den Füßen« präsentiert erschüttern könnende Szenen, denen die Zusehenden sich kaum entziehen können. Große Empfehlung!
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