Bei deutschsprachiger Musik zieht sich einem in der Regel alles zusammen. Indie-Rockmusik klingt textlich banal, weinerlich und dekadent zugleich. Spannenden Noise-Rock zu finden, ohne das unangenehme Gefühl im Gürtellinienbereich, ist also dementsprechend schwer. Da wird mit Lokalkolorit kokettiert (Berlin), da wird die Unübersichtlichkeit der Welt beklagt (Medien), da wird heftig geweint und geklagt (Isolation) und überall ist diese Anspannung, die dem Willen zur Authentizität entspringt und alles so luftleer und anstrengend macht. Anne Rolfs von AUF jedoch schafft es, mit dem Debut »Getimed«, persönliche, zugängliche, poppige Texte zu schreiben, und diese mit ihrem grandiosen, dynamischen Gitarrenspiel zu begleiten: also einerseits wüste Powerchords und andererseits die filigranen, ausgefinkelten Verzierungen, die schönen Melodien, welche teilweise zu schön klingen, als dass man noch merken würde, welch abgefahrene Sachen da eigentlich passieren (Taktwechsel). Unterstützt wird sie dabei nur vom wahnsinnig energetischen Knüppeltier Mathias Brendel an den Drums, dessen Powerplay die Dynamik des Albums entscheidend beeinflusst.
In textlich knappen, eindringlichen Passagen singt Rolfs von der aktuell viel besungenen Einsamkeit, doch schafft sie es da anzuknüpfen, wo die meisten aufhören und anfangen, sich in sich selbst zu suhlen. In ihrer Musik hat der andere noch Platz. Und es ist sogar Freude möglich. Die Anknüpfungspunkte besingt und bespielt sie mit verzerrten, stets überraschend positiven, schnellen Rhythmen, die der Lebendigkeit den Strom geben und einen Ausgleich zu ihrem träumerischen, hypnotisierenden, manchmal auch traurigen Gesang schaffen (Yang & Ying). Ernst ohne die Vorsilbe bier. Ob es nun ein Zwiegespräch mit sich selbst oder jemand anders ist, spielt gar keine so große Rolle. Man kann ernst mit sich umgehen und doch nicht dem modischen Selbsthass verfallen:
»Wenn ich träume, bin ich wach / Komm lass uns fliegen, durch die Nacht / Komm lass uns gehen, ich will es sehen / Doch du sagst, ich werde untergehen / Ich werde das andere niemals sehen / Ich werde doch nur im Regen stehen / Wenn ich träume, bin ich wach / Komm lass uns fliegen, durch die Nacht / Komm lass uns gehen, du wirst es sehen / Komm lass uns gehen, du wirst es sehen«
Die Songs, jeweils in einem Take eingespielt und ohne große Nachbearbeitung wie live eingegossen klingend, zeugen von einer Euphorie, die spätestens in den dramatischen, minutenlangen Schrebbelmomenten kulminiert und offensichtlich wird. Hier ist Musik (glücklicherweise) noch ein Ausweg (Lichtblicke), nicht der Endpunkt in der Düsternis und schieres Ausdrucksmittel der (eigenen) Depression. »Getimed«, das kann heißen: etwas im richtigen Zeitpunkt getan zu haben. Oder vielleicht auch: die Art und Weise, wie man von der Zeit gezeichnet wird (Behauptung). Dieses Album kommt zum richtigen Zeitpunkt, deswegen, weil es an der Zeit ist, dass das Weltgeschehen nicht bloß auf seine Alternativ- und Aussichtslosigkeit besungen wird und tiefsinnige Musik nicht nur schlechte Laune machen muss. Fazit: Voll Spitze!