skug: Wer sich für Musik begeistert, ist früher meist in Richtung USA aufgebrochen. Du hast bei einem Schüleraustauschprogramm mitgemacht, bist nach Berlin geflogen und dort in dieClub-Szene geraten.
Holly Herndon: Das verläuft bei meiner Musik nicht nur in eine Richtung. Ich würde sagen, dass sie sowohl starke Einflüsse aus der Bay Area wie auch aus Berlin erkennen lässt.
Wann warst du in Berlin?
In Berlin bin ich immer wieder einmal. Von 2003 bis 2008 war ich fünf Jahre lang ohne Unterbrechung dort.
Wieso hast du bei einem Schüleraustauschprogramm mitgemacht?
Ich bin zum ersten Mal mit sechzehn als Austauschschülerin nach Berlin gegangen, weil ich im Osten von Tennessee aufgewachsen bin und andere Orte kennenlernen wollte. Es hat mir die Augen geöffnet; ich habe mich sofort in diese Stadt verliebt und wusste, dass ich wiederkommen und länger bleiben wollte.
Welche Musik hat dir gefallen, bevor du nach Berlin kamst?
Es ist schwer zu sagen, denn ich war ein Teenager, als ich dorthin ging, und kam von einem Ort, wo man keinen so einfachen Zugang zu Musik hatte wie heutzutage. Ich hörte hauptsächlich das, was es auf MTV und im Radio gab, und sang in der Schule und im Kirchenchor klassische Musik (Haydn, Mozart). Ab und zu habe ich mir auch etwas aus der Bücherei geholt. Wo ich aufwuchs, gab es jede Menge Folk, Country und Bluegrass.
Was waren deine ersten »hippen« musikalischen Einflüsse?
Als ich 2003 nach Berlin zog, boomte gerade der Minimal Techno, der mir noch immer gefällt. Es gab Marathonpartys, bei denen die Leute zwölf Stunden lang spielten oder verrücktes Zeug auflegten, was dem Hörerlebnis eine neue Dimension eröffnete. Ich war jahrelang eng mit der Clubkultur verbunden, bevor ich auf andere Musikszenen in der Stadt aufmerksam wurde. Ich fing im »West Germany« zu arbeiten an, ging zu vielen Avant-Rock-Shows, begann auch zu improvisieren und tauchte immer tiefer in diese Welt ein.
Spiegelt dein »FACT mix 368« wider, was du zurzeit hörst?
Das verändert sich ständig, aber dieser Mix ist ein guter Querschnitt durch meine Interessen. Natürlich konnte ich nicht alles, was ich mag, in einem Mix unterbringen!
Wann hast du den Entschluss gefasst, dich ernsthaft mit Musik zu beschäftigen?
Ernsthaft ist ein interessantes Wort. Den Entschluss, mich intensiver mit Musik zu beschäftigen, habe ich vermutlich in dem Moment gefasst, als ich mich entschieden habe, am Mills College elektronische Musik zu studieren. Sie ist zum Mittelpunkt meines Lebens geworden.
Was wird man von dir beim Donaufestival zu hören bekommen?
Ich werde mein Album präsentieren und ein paar neue Tracks, an denen ich gerade arbeite. Weil aber immer auch Improvisation im Spiel ist, gleicht keine Performance der anderen.
Hat sich dein Live-Set seit deinem Auftritt im Boiler Room London verändert?
Das war ein kurzes Set, da die Situation ungewohnt war. Ich arbeite jetzt auch daran, meine interaktiven Visuals zum Laufen zu bringen. Die sind immer noch etwas »buggy«, aber wir tüfteln an der Perfektionierung der Programme!
Welchen Stellenwert hat die Improvisation für dich?
In meinem Kompositionsprozess spielt sie eine wichtige Rolle, aber ich improvisiere zurzeit nicht mit anderen KünstlerInnen, wie ich es am Mills College getan habe. Ich glaube, dass es wichtig ist, improvisatorische Fähigkeiten zu entwickeln. Ich bin dadurch jedenfalls nicht mehr so nervös oder zaghaft, wenn ich mit anderen zusammenspiele. Grundlegende Aspekte der Improvisation können jederzeit in eine Komposition und natürlich auch in die Performance einfließen.
Produzierst du lieber Songs auf deinem Laptop oder spielst du lieber live?
Das geht Hand in Hand, ich möchte deshalb nicht das eine über das andere stellen.
Anders gefragt: Was möchtest du transportieren, wenn du live spielst? Hast du ein bestimmtes Konzept?
Es gibt auf dem Album einige klare Themen, die ich in einer Live- Situation bearbeite und noch etwas weiter auslote. Ich bin eine Verfechterin der Laptop-Performances, versuche daher, den Laptop wie ein Instrument zu spielen und Wege zu finden, wie man seinen Charakter zum Vorschein bringen, hörbar machen kann. Ich arbeite immer noch daran, und es ist so herausfordernd wie spannend.
Dein Album »Movement« verknüpft experimentelle Musik mit Pop und Dance. Es gibt Leute, die meinen, dass die groovigen Parts besser funktionieren als die experimentellen. Ich hingegen schätze vor allem die experimentelle Seite. Was treibt dich an, neue musikalische Konfigurationen zu entwickeln?
Ich denke, es ist eine natürliche Erweiterung meiner musikalischen Interessen und Neigungen. Es war keine bewusste Entscheidung. Ich möchte das alles in Zukunft noch mehr ineinanderfließen lassen. Ich glaube, dass die meisten Leute einen eklektischen Musikgeschmack haben. Warum also nicht mehrere Aspekte in einem Album oder Konzert zusammenführen?
Was hast du in den letzten Wochen in Stanford in der Kompositionsklasse gemacht?
Ich beschäftige mich derzeit mit Bi- und Polytonalität und mache mir Gedanken, ob und wie das außerhalb der Akademie funktionieren kann.
Wird es in absehbarer Zeit ein neues Album geben?
Das geht bei mir nicht so schnell, weil ich studiere und meine Musik auch intensiv bearbeite. Ich bin nicht erpicht darauf, so viel wie möglich zu veröffentlichen. Mir ist Qualität wichtiger als Quantität. Davon abgesehen wird das Label Public Information in Kürze eine Compilation auf den Markt bringen, zu der ich einen Track beigesteuert habe. Ich mache auch einen Remix oder zwei und arbeite an einer Single, die im Sommer herauskommen wird.
Als ich mir auf YouTube »Holly Herndon defends laptop musicians « ansah, hatte ich mit einem Mal den Eindruck, dass du nicht mit einem Computer, sondern mit einem lebenden Organismus kommunizierst. Du hast einmal gesagt, der Laptop sei das persönlichste Instrument, das die Welt je gesehen hat. Wie ist das zu verstehen?
Der Laptop kann über die Person, die ihn spielt, mehr Informationen abrufen und übersetzen als irgendein anderes Instrument. Es gibt so viele persönliche Erfahrungen, die von diesem Gerät vermittelt werden können.
Deiner Meinung nach lassen sich schräge Teile gut im Hintergrund einer Komposition einfügen. Warum im Hinter- und nicht im Vordergrund?
Ich glaube, dass ich ohnehin beides mache. Ich habe damit Folgendes gemeint: Wenn man z. B. einen Puls oder Grundschlag hat, auf den der Körper automatisch reagiert – vielleicht deshalb, weil wir als Fötus den Herzschlag unserer Mutter gehört haben -, dann kann man die Palette einer Komposition kräftig aufmischen und enorm erweitern, weil der Körper bereits emotional beteiligt ist. Natürlich geht das auch ohne einen Puls. Man wird aber nicht so viele Leute erreichen, und es wäre dann eher eine intellektuelle Exploration, bei der die Erfahrung zwar anders, aber genauso gültig ist.
Und welche Bedeutung kommt dabei deiner Stimme zu?
Meine Antwort würde den Rahmen des Interviews sprengen. Ich verweise daher auf meine Masterarbeit »Embodiment in Electronic Music Performance« (2010, online auffindbar), in der ich mich mit diesem Thema auseinandergesetzt habe.
Verstehst du dich als Komponistin, Musikerin oder SoundEngineer?
Eine Kombination von allen.
Holly Herndon spielt am 27. April auf dem Donaufestival.
Holly Herndon: »Movement« (2012, RVNG Intl.)