Die Veröffentlichung eines Tonträgers in Kleinstauflage kann aus sehr unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und bewertet werden. Ist die Verknappung eine Rückzugsgeste mit Selbstmarginalisierungseffekt, ist sie Ausdruck elitärer Gesinnung oder die bedarfsgerechte Reaktion auf die zu erwartende Reichweite und den zahlenmäßigen Absatz einer Veröffentlichung in physikalischer Form? 30 Kassetten, 300 Schallplatten oder 3.000 CDs müssen erstmal ihre Abnehmer*innen finden. Noch grundsätzlicher gefragt: Wer will denn überhaupt noch für Musik bezahlen, wenn doch mit Streamingdiensten längst die ehemals kriminalisierten Varianten des Filesharings in marktfähige Monopole überführt sind, die massenhaft zur Zerstreuung genutzt werden und deren Produzent*innen als Content-Creator verunglimpft werden und als (fair zu bezahlende) Künstler*innen kaum mehr in den Blick geraten? In der Wunschvorstellung von digitalen Funktionären wie Daniel Ek liefert die künstliche Intelligenz in nicht allzu ferner Zukunft ohnehin sämtliches Gedudel. Kritik oder gar Widerstand regt sich kaum. 675 million spotify users can’t be wrong! Demgegenüber wirken eigensinnige Erscheinungen, wie die hier zugrundeliegende Veröffentlichung der Lathe-Cut-Single »Frankfurters with Love« von Alvarius B, die in einer 40er-Auflage beim einschlägig bekannten Label Unrock herausgegeben wurde und (zunächst) nur per E-Mail-Verteiler beworben wurde und erworben werden konnte, wie die Bestätigung der eingangs gestellten Überlegungen – und zwar auf allen Ebenen: Rückzug, check! Selbstmarginalisierung, check! Gatekeeping, check! Betriebswirtschaftliche Vernunft, check! Da stellt sich die Frage nach Haupt- und Nebenwiderspruch nicht, die Misere ist allumfassend, das Durcheinander groß, die Lage unübersichtlich und daher das Festhalten an liebgewonnenen Formaten und Traditionen die letzte Bastion aller ungewaschenen Eigenbrötler*innen und ewiggestrigen Spinner, die weiterhin und unbeirrt physikalische Tonträger in Discogs-Bestandslisten einpflegen und in schlecht gelüfteten Plattenzimmern horten wollen – vom Weltgeist und der den Haushalt teilenden Mitmenschen belächelt. Das mag jetzt sarkastisch oder gar herablassend klingen, aber ich spreche solidarisch und aus Betroffenheit heraus. Ich gehöre dazu. Im Stuhlkreis der virtuellen Selbsthilfegruppe sitze ich und sage: »Mein Name ist Holger, und ich habe die neue Alvarius B Lathe-Cut-Single gekauft.« Die teilnehmenden »Diskaholics Anonymous« (Mats Gustafsson) beklatschen nachsichtig und milde lächelnd meinen Mut zur Selbstanzeige und teilen in struppiger Gemeinschaft ähnliche Geschichten aus ihrem beschädigten Leben. Anschließend erörtern wir wild gestikulierend und durcheinanderredend erneut die bereits wiederholt aufgeworfenen Fragen und darüberhinausgehende Perspektiven, drehen uns im Kreis (bei 33 oder 45 rpm) und um uns selbst. Da gibt es kein Entrinnen. Aussteigen? Wohin denn? Insofern: Wer bis hierhin durchgehalten hat, schüttelt entweder voller Unverständnis den Kopf oder weiß Bescheid – oder will Bescheid wissen und schreibt für zukünftige Veröffentlichungen eine E-Mail an: m@unrock.de

Alvarius B
»Frankfurters with Love«
El Burro’s Inscrutable Intentions / Unrock
Text
Holger Adam
Veröffentlichung
12.02.2025
Schlagwörter
Alvarius B.
El Burro’s Inscrutable Intentions
Unrock

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