foto credit: Thomas Wagensommerer
Am Montag, dem 17. Jänner wird der Art’s Birthday im Radiokulturhaus des ORF gefeiert. Das Festprogramm wird vom Viral Radio kuratiert und live im Radio sowie weltweit über Satellit übertragen. In den performativen Happenings von zahlreichen MusikerInnen und KünstlerInnen wird den Fragen des Viralen im Web 2.0 nachgegangen: Das Internet, das sowohl unsere verbalen wie sozialen Äußerungsformen als auch unser kommunikatives Handeln vor-/strukturiert, erschafft dabei Subjekte, die sich den Bedingungen des virtuellen Raums und dessen Funktionsprinzipien am besten anpassen. Wie ein virales, manchmal derbes und dabei brüchiges Spiel mit der effekthascherischen Gefälligkeit in diesen Artikulationsräumen aussehen kann, zeigt uns die von Viral Radio kreierte Kunstfigur GiGiGold. Warum diese teilweise scheitern wird, oder tatsächlich mit einer realen Person an der Patenschaft für Kunst arbeiten kann, erfahren wir bei den Aufführungen im Radiokulturhaus und vorab im Interview mit Brigitte Wilfing und Jorge Sanchez-Chiong:
skug: Könnt Ihr Euch kurz gegenseitig vorstellen?
Brigitte Wilfing: Jorge Sanchez-Chiong ist ein Komponist der Neuen Musik, der sehr geprägt ist von popkulturellen Einflüssen. Er wagt sich an viele Genres heran, baut Elemente von Techno, Industrial und Noise in seine Musik ein. Turntables werden genauso in ein Ensemble integriert, wie Beats generell, auch das darf in der Neuen Musik vorkommen.
Jorge Sanchez-Chiong: Brigitte Wilfing ist Performerin und Tänzerin, die auch sehr stark von popkulturellen Elementen, in ihrem Fall vor allem der Tanzkultur des Rave, beeinflusst wurde und nun im Umfeld der Konzeptkunst agiert. Sie arbeitet in den letzten Jahren abseits von Körperperformance und Tanz vermehrt als Lecture Performerin.
Was verbirgt sich hinter dem Konzept Viral Radio?
BW: Eigentlich der Gedanke der Ansteckung: Viralität als Internetphänomen, das Starten von Kampagnen im Web 2.0. Der französische Fluxus-Künstler Robert Filliou hat ja mit seiner Ausrufung eines Art?s Birthday (anniversaire de l’art) am 17. Jänner 1963 eine Art Ur-Netzwerk gestartet. Diesen Netzwerk-Gedanken haben wir bei der Konzeption und Kuratierung aufgegriffen. Viralität ist aber auch sehr stark vom Zufall bestimmt, wir versuchen zeitgeistige Varianten zu testen. Radio ist eine Möglichkeit, Vorgänge, die sich in kleinen Räumen abspielen, in die Welt zu senden.
Wie sieht der Abend konkret aus, was sehen und hören die BesucherInnen im Radio-Kulturhaus?
BW: Wir haben im Vorfeld eine Kunstfigur namens GiGiGold kreiert. Sie wird an diesem Abend von allen teilnehmenden PerformerInnen weiterentwickelt, sodass ein kollektives Identitätskonstrukt entsteht. Als Cyberfigur in verschiedenen Internet-Plattformen ist sie eine Projektionsfläche für Sehnsüchte und Wünsche. Für die einen ist diese Kunstfigur eine Aktivistin, für die anderen eine Künstlerin oder eine Porno-Darstellerin. Uns hat die Frage beschäftigt, was ist Identität 2.0? Was bedeutet Freundschaft in einem Social Medium wie Facebook? Was bedeuten virtuelle Emotionen? Was Tod 2.0? Oder auch das Thema Patenschaft. Wie kann man die Kunst fördern und unterstützen, sodass sie am Leben erhalten bleibt. Wir haben einen Text im »Basar« und im »Falter« inseriert: »Werden Sie Pate der zeitgenössischen Kunst, unterstützen Sie die Errichtung eines Contemporary Art Center in Äthiopien.« Wir haben behauptet, dass eine äthiopische Sängerin, diese GiGiGold, nach Wien kommt, jeder der an diesem Abend etwas spendet, dem wird ein Tanz gewidmet. Zufällig hat uns die Performerin Magda Chowaniec daraufhin informiert, dass es tatsächlich einen 18-jährigen, schwarzafrikanischen Tänzer und Musiker in Ghana gibt, dem eine sofortige Abschiebung droht. Seine ganze muslimische Familie wurde bereits umgebracht. Wir werden ihn an diesem Abend nach Wien holen, er bekommt ein Budget und auch das Publikum kann dann seine Aufenthaltsdauer (jeder Tag kostet 18 Euro) bestimmen. Aus dieser Fake-Patenschaft für die Kunst, aus dieser Kritik an Charity-Events wurde ein sehr reales Anliegen.
JSC: Kommen wir noch einmal zurück zum Ablauf des Abends. Performance- und Konzertblöcke gehen bei diesem Geburtstagsfest innerhalb von vier Stunden ineinander über. 15 Radiostationen weltweit sind daran beteiligt. Die Person, die diesen Geburtstag der Kunst initiiert hat, hat ihren eigenen Geburtstag als Ausgangspunkt gewählt. Wir wollen aber nicht unbedingt den Geburtstag von Robert Filliou feiern, sondern den Geburtstag dieser Kunstfigur GiGiGold. Alle sind GiGiGold, alle TeilnehmerInnen haben an diesem Abend Geburtstag.
Dieses virale Anstiften, Anstecken mittels eines konzept-künstlerischen Events wirkt eher poetisch als aggressiv kritisierend …
JSC: Ein Teil der Recherche, der zu einer Video-Installation wurde, war eine Reihe von Interviews mit Underground-Figuren mit der Frage, wie sie angesteckt wurden. Das ganze hieß »Underground Virus«. Mit dabei waren Mieze Medusa, Sudden Infant, Pure, Stefan Weber, Electric Indigo und Christina Nemec.
BW: Wir haben Leute gesucht, die maßgeblich an der Entstehung einer Bewegung beteiligt waren. Die stehen alle für sich und haben ein Netzwerk aufgebaut. Wir wollten wissen: Was ist der Ausgangspunkt, der soziale und politische Hintergrund, um eigene Projekte jenseits des Mainstream zu machen? Wieviel wird dann vom Mainstream im Laufe der Jahre aufgesaugt? Halten sie sich selber noch für subversiv, kann man noch subversiv sein …
Inwiefern ist eine ?berforderung des Publikums, im positiven Sinn, mitkalkuliert?
JSC: Ich finde, bei solchen Events sollte man nicht mit vorsichtigen Dosierungen arbeiten, deshalb gibt es diesen enormen Input. Es bleibt ja auch dem Publikum selber überlassen, wie sehr es sich darauf einlässt. Wir rechnen ja auch mit einem Kommen und Gehen, der Raum ist nicht bestuhlt, es gibt ein Buffet, Installationen. Dieses ganze Angebot soll das Publikum in Bewegung halten.
BW: Das Thema ?berforderung ist ja auch bei unserer Vorbereitungsarbeit immanent. Die Möglichkeiten des Netzes sind ja auch in gewisser Weise überfordernd.