Dass Achim Bergmann sich bei der letztjährigen Frankfurter Buchmesse am Stand der rechten Zeitschrift »Junge Freiheit« nach seinem verbalen Einschreiten bei einem Vortrag (»Du redest Scheiße!«) eine blutige Lippe holte, kann als Zeichen dafür gelesen werden, dass sich der politische Kampfgeist der einen Hälfte des Betreiberduos von Trikont noch nicht in Altersmilde verwandelt hat. Überraschend ist der beherzte Protest des 74-jährigen Bergmann nicht, ist er doch in der Vergangenheit kaum einem Konflikt ausgewichen. Gemeinsam mit seiner Lebens-, Arbeits- und Kampfgefährtin Eva Mair-Holmes leitet Bergmann Trikont, das als Buchverlag 1967 von Gisela Erler und Herbert Röttgen in Köln gegründet wurde, seinen Stammsitz aber schon 1968 nach München verlegte. Aufsehenerregend waren bereits die ersten Veröffentlichungen des Verlags: »Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung« und Ernesto »Che« Guevaras »Bolivianisches Tagebuch«. Mit »Wie alles anfing« von Bommi Baumann, Mitbegründer der »Bewegung 2. Juni« (verantwortlich für die Entführung des CDU-Politikers Lorenz), veröffentlichte Trikont 1975 einen Text, der sofort bei Erscheinen verboten wurde. In seltener Einigkeit missfiel die Edition des Berichtes sowohl der RAF als auch der Staatsanwaltschaft, was eine gründliche Inspektion der Trikont-Verlagsräume zur Folge hatte. Das hielt den Verlag allerdings nicht davon ab, weiterhin Schriften von Sympathisanten der RAF, deutschen Anarchisten und Hausbesetzern zu veröffentlichen.
Wir befreien uns selbst – Musik von unten
»Agitation, Aktion, nicht Literaturproduktion« war von Beginn an das Credo der Trikont-Aktivisten. Musikalisch manifestierte sich das 1972 in der ersten Schallplattenproduktion »Arbeitersache München – Wir befreien uns selbst«, einer Sammlung von selbstverfassten Kampfliedern im Liedermacherstyle (die Musik der Revolution ist nie die Revolution der Musik!), gesungen und gespielt vom Trikont-Personal selber, das sich beim Verteilen von Flugblättern vor den Fabriken in München nicht langweilen wollte. Als zweite Schallplatte erschien 1974 »Von heute an gibt’s mein Programm«, die erste deutsche Platte mit Liedern von diversen Frauengruppen speziell für Frauen. Für damalige Verhältnisse war das ein beachtlicher emanzipatorischer Akt. 1980 entkoppelte sich das Musiklabel vom Buchverlag (der immer mehr in esoterische Gefilde abdriftete) und veröffentlichte als »Trikont – Unsere Stimme« und später als »Trikont – Our own Voice« bis heute fast 500 Tonträger aus den Bereichen Folk- und Protestsongs indigener Völker sowie Songs aus dem linken europäischen Widerstand und Underground gegen die Diktaturen in Chile, Griechenland oder Spanien. Die Anti-Atomkraft-Bewegung lieferte eine weitere Spielwiese für Protestmusik aus dem Hause Trikont. Besondere Expertise entwickelten die Labelbetreiber in der Zusammenstellung von exzellenten Kompilationen, für die sie sich Spezialisten an Bord holen, deren fachkundige und ausführliche Liner-Notes in der Regel viel zum Verständnis der größeren Zusammenhänge beitragen. Höhepunkte dieser Trüffelschwein-Expeditionen in Bereiche außergewöhnlicher musikalischer Bastardisierungen sind – um nur einige wenige zu nennen – die Reihe »Texas Bohemia« von Radio-DJ, FSK-Musiker und Autor Thomas Meinecke über die von texanischen Polka-Bands weitergeführte bayrisch-böhmische Musiktradition, die Serie »Swamp Music« zu Cajun und Zydeco, zusammengestellt von Jonathan Fischer, die Reihe mit nicht weniger als 83 Variationen von »La Paloma« oder die Sampler-Serie »Perlen deutschsprachiger Popmusik«, verantwortet vom Co-Autor von »Die Trikont-Story«, Franz Dobler. Ein leidenschaftlicher Fan von Trikont war übrigens auch DJ-Legende John Peel.
Schellacks und Trauermärsche
Hervorragend sind auch die beiden von Fritz Ostermayer kompilierten Alben »Dead & Gone« mit Totenliedern und Trauermärschen. Wertvolles historisches Liedgut von Schellacks aus Bayern und dem Alpenland wurde mit Editionen von alten Volkssängern und -sängerinnen wieder zugänglich gemacht, was wiederum auf die erst in den letzten Jahren herausgegebene, wunderbare, »einzigartige Enzyklopädie der bayrischen Seele«, »Stimmen Bayerns«, mit seinen sechs Themenkompilationen verweist. Dem Humor mit Hang zum Absurden widmete sich das Label mit der Großtat einer Gesamtedition des akustischen Werks Karl Valentins oder auch mit dem närrischen Treiben von Studio Braun. Diese kaum mehr überblickbare Anzahl an hochklassigen Musikeditionen von Trikont muss auch finanziert werden. Das gelang und gelingt immer noch mithilfe auflagenstarker Einzelkünstler und Bands wie Schroeder Roadshow in den 1970ern, später dem die Konfrontation mit der Obrigkeit nicht scheuenden (und damit perfekt zu Trikont passenden) Hans Söllner, dem österreichischen Volksmusik-Punk-Freestyle-Duo Attwenger sowie dem singenden Arzt als Bayernrocker Georg Ringsgwandl. Zu kleineren Cashcows entwickelten sich auch die bayrischen Formationen La Brass Banda und Kofelgschroa. Zur Stabilisierung der Finanzen betreibt das widerspenstige Label schon länger auch eine Booking-Agentur. Der 50-jährige Kulturkampf von links der Trikont-Macher findet in der knapp 470-seitigen, chronologisch angelegten »Festschrift« eine mehr als würdige Manifestation. Journalist und Soziologe Christof Meuerler hat mit Unterstützung von Autor und DJ Franz Dobler zahllose Dokumente zusammengetragen, die diesen opulent gestalteten, gewichtigen Band illustrieren und zu einem außergewöhnlichen Lesevergnügen machen.
Christof Meuerler mit Franz Dobler:
»Die Trikont-Story. Musik, Krawall & andere schöne Künste.«
München: Heyne Hardcore, 464 Seiten, EUR 30,–