Dass Desert-Rock natürlich durch ist, durch sein MUSS, schließlich gibt es ja schon Tamikrest und Tinariwen und das seit … ungefähr zehn Jahren, darüber müssen wir nicht ernsthaft diskutieren. Sowas zu behaupten, ist aber genauso plump, wie zu sagen, »Afrika« sei mal so ein Trend gewesen, weil Fela Kuti. Dass auch »westliche« Ohren mehr als zwei wichtige Bands eines spannenden Genres ertragen können, fordert diese sehr raue Compilation ein, die an einem Ort erscheint, der bislang eher als Anker der boomenden Stuttgarter Szene fungierte: Treibender Teppich veröffentlichte etwa das Debüt von All diese Gewalt (aka Max Rieger of Die Nerven) und die Alben von Levin Goes Lightly oder Tristan Rêverb. Dass nun der Soundtrack zu einem Dokumentarfilm über das Projekt »Sahel Sounds« hier erscheint, liegt daran, dass der Mitbetreiber des Labels, Markus Milcke, selbst als Filmemacher beteiligt war.
»Sahel Sounds« ist das Label und Blogprojekt von Chris Kirkley. Der US-Amerikaner sammelt seit Jahren Musik aus Niger – häufig nimmt er selbst auf, on location, nicht im Studio. Inspiriert vom Musik-Ethnologen Alan Lomax erklingen dann nicht nur Musiken zwischen der Dance-Pop-Variante der Folklore der Hausa und unplugged A-capella, sondern auch die Umgebungsgeräusche auf den Aufnahmen. So sind auch die Aufnahmen zu diesem Soundtrack entstanden. In Wohnhäusern, auf Hinterhöfen. Anderes wurde von alten VHS-Aufnahmen extrahiert – oder bei den Europatouren, die, seit »Sahel Sounds« die Musik verlegt, für Vertreter*innen der Musikszene in Niger immer regelmäßiger wurden. Es sind, wie könnte es bei dieser Story anders sein, tolle Schätze zu entdecken. Zu Beginn schält sich der melancholische Groove von Talia Issouf aus einem Soundbett von Hupen und dem Zirpen von Grillen. Manische Synthie-Strudel präsentiert der Tuareg-Komponist Hama, die Gitarristin Fatou Seidi Ghali spielt die Hörer*innen im Dorf Illighadad und an den Plattenspielern über Handclaps und traumgleiche Klangfiguren in angenehme Trance.
Die wunderschönste Aufnahme aber stammt von Mamman Sani. Seit den 1970ern in Niger als »Mamman Sani et son Orgue Électronique« bekannt, übersetzte er das kosmisch-kitschige Rauschen der europäischen Synthie-Komponisten in Afrofuturismus. »To dream of the future is the highest economic privilege. Mamman Sani was brave enough to claim this privilege for his own culture«, interpretierte das Diego Aguilar Canabal für das Decoder Magazine 2014 anlässlich eines Reissues von Mamman Sani auf Sahel Sounds. »Salamatu«, eines seiner bekanntesten Stücke, wird auf dieser Live-Aufnahme von einem eher harten Synthie-Stück zu einem Liebeslied, das in seiner Pidgin-Dichtkunst ans Herz geht, wenn er über einen herzzerreißenden Moogfluss und groovende Gitarrenlicks singt: »She’s a beautiful American girl, we used to bossa nova in Rio de Janeiro – she’s been exploring galaxies for centuries.« Das eigene Musikuniversum mit diesen Sounds wieder etwas auszuweiten, lohnt sich in jedem Falle.