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Radian – Die Konzentration des Äthers.

Radian funktionieren durch die Erhöhung von Konzentration im doppelten Sinne. Sie verwenden nur ein ausgewähltes Konzentrat der Klangmöglichkeiten ihres Instrumentariums und durch minimale Variation dieses Materials erreichen sie eine Dosis der Spannung, welche sich einem Grenzwert im konzentrierten Zuhören annähert.

Völlig unscheinbar sitzen die drei Musiker bei ihren Instrumenten. Der Beginn eines Konzertes von Radian wirkt verhalten, fast schon schüchtern wird ein schon im Raum vorhandenes Grundrauschen verstärkt – vorerst kann man das Surren und Brummen in irgendwelchen schlecht verkabelten PA-Anlagen verorten. Bald setzen sich die Geräusche in den Gehörgängen fest und man taucht in das Knacksen ein, wie Schlagzeuger Martin Brandlmayr im Interview bemerkte. Damit er die Eintauchstelle schneller findet, trägt er ein Paar Kopfhörer und verbreitet dadurch einen Hauch von Studioatmosphäre. Mit den Knöpfen seines Analogsynth arbeitet Stefan Nemeth an minimalen Veränderungen der Rausch- und Fiepslandschaft, während sich Bassist John Norman (Ex-Mastalsky) auf der rechten Seite sitzend gemächlich eine Zigarette anzündet, an den Reglern seines Verstärkers herumschraubt und zu einem kaum hörbaren Groove mitwippt. Schließlich entwickelt das Knacksen Struktur, Rhythmus und Melodie. So etwas wie »Songs« werden erkennbar. Jeder Song wird mit dem nächsten verschaltet (etwaige akustische Leerstellen sind in den Gesamtset eingebaut), Pausen werden somit vermieden und erst am Schluss des Konzertes hat das Publikum die Möglichkeit auf das Gehörte zu reagieren.

Ist es noch möglich »ungehörtes«, etwas neues in der Musik zu bringen? Wohl kaum im Sinne eines noch nicht erklungenen Tones, einer noch nicht gespielten Kompositionsstruktur, aber vielleicht durch die Vernetzung von Zugängen und Konzepten die sich bisher diametral gegenüber standen. Radian ersetzen die Stelle der Gitarre im klassischen Drei-Mann-Line-Up durch Analog-Synth und Sampler, nehmen dem Unternehmen jeglichen expressiven Charakter und nähern sich in der Spielweise ihrer Instrumente der maschinenbetonten Ästhetik von Sequenzer-Programmen wie Cubase. Dabei wird der Klang von Bass und Schlagzeug im Dienste des Gesamtergebnisses soweit zurückgenommen, bis manchmal nur mehr die für das Instrument typischen Frequenzen und Sounds übrig bleiben. So wird eine Effekt von Luftigkeit und Transparenz erzielt, der bisher eher den Knöpferldrehern vorbehalten war. Gerade dieses Spiel mit dem Ätherischen ist das verwirrend Neue an Radian. Es wird völlig selbstverständlich in ein Bandkonzept mit klassischen Instrumenten eingebaut und erhält aufgrund der eleganten, souveränen Live-Umsetzung einen völlig neuen Charakter.

Wo alles selbstverständlich wirkt, steckt meist eine Menge Arbeit dahinter. Radian tauchten ja quasi schon vollkommen fertig als perfekt durchkonstruiertes Abenteuer wie aus dem Nichts auf. Zwei Jahre lang haben sie im Proberaum herumgetüftelt, bevor der Debüt-Auftritt im Dezember 1997 im Porgy & Bess (bei der von Christoph Kurzmann veranstalteten Charhizma-Reihe) über die Bühne ging. Das nächste Konzert am selben Ort im Jänner 1998 wird gleich mitgeschnitten und vier Nummern davon sind auf der soeben bei »rhiz« erschienen CD zu hören. Aber Radian sind keineswegs eine Band nur für Jazzklubs. So absolvierte man zur CD-Präsentation einen Auftritt als Vorgruppe von Tortoise in der Szene Wien und erstaunerlicherweise funktionierte diese stellenweise sehr leise Musik auch in diesem Rahmen. Schließlich die Nickelsdorfer Konfrontationen. Und plötzlich – mitten in die Stille hinein – Widerstand aus dem Publikum! »Ihr seid eine total blinde Partie!« schrie ein Zuhörer, erzürnt über das Dargebotene und sichtlich überfordert daraus etwas zu machen.

Bei den Nickelsdorfer Konfrontrationen steht meist improvisierte, expressive Musik im Mittelpunkt. Eure Nummern sind jedoch total durchkomponiert und gewähren nur einen kleinen Raum für Improvisation, der ganz genau definiert ist. Und plötzlich gab’s da bei einer ganz leisen Stelle lautstarken Protest eines Besuchers. Hat Euch das irritiert?

Nemeth: Ich war eigentlich nicht irritiert. Mich hat das eher amüsiert. Ich hab‘ das schon drei-, viermal miterlebt. Und jetzt kann ich eigentlich nur darüber lachen. Es gibt immer wieder solche Leute und ich denk‘ mir irgendwie löst man was aus, und es gibt zumindest irgendeine Reaktion.

Wie Pita einmal sagte »… to annoy as many people as to entertain?«

Nemeth: Ich glaube das ist der Sinn von dem ganzen. Wenn’s jedem passt …?
Brandlmayr: Andererseits ist es aber so, dass das die einzige Reaktion war, die wir vom Publikum bekommen haben. Denn während wir spielen ist nichts. Und du weißt eigentlich überhaupt nicht was da unten läuft. Erst beim Schlussapplaus merkst du – ok, das hat gepasst für viele Leute. So ein Statement bleibt dann im Raum stehen und macht einem schon irgendwie zu schaffen.

Es ist doch ein Unterschied ob man in der Szene Wien, im Porgy&Bess oder hier spielt? Die Leute hier kommen aus einen anderen Zuhörkontext.

Norman: Auf alle Fälle. Ich finde das eigentlich sehr befriedigend. Es ist sehr schön, daß man verschiedenem Publikum etwas bieten kann und spricht nur für unsere Musik. Es ist nicht Dj Shadow oder irgendwer, der sein spezifisches Publikum hat, sondern unsere Musik funktioniert in mehreren Sparten.
Nemeth: Das ist mir auch aufgefallen, das bei den meisten Konzerten Leute aus den unterschiedlichsten Kontexten irgendeine Meldung gemacht haben. Das ist mir relativ wichtig, nicht nur auf einer Schiene zu fahren – aber wahrscheinlich ist das Ding auch nicht so leicht einzuordnen. Es ist total schön, dass irgendwas funktionieren kann, was nicht abhängig vom Kontext ist – wie ihr seid Elektroniker – dann wär es einordenbar. Wenn man wie wir zwei, drei Jahre rumprobiert, weiß man ja nie was da rauskommt.

Wie war das am Anfang?

Nemeth: (zu Brandlmayr) Wir haben uns aus dem Bach gekannt.
Brandlmayr: Ich hab‘ dich bei einem Konzert gesehen.
Nemeth: Du hast einmal gefragt, ob wir etwas gemeinsam machen und hast dir einen Sampler gekauft. Das klang interessant, weg von dem, was ich bis dahin getan habe. Am Anfang waren wir zu zweit und ich habe noch Bass gespielt. Wir haben da allerdings nie irgendetwas fertig gebracht. Monsterarrangements, die nie funktioniert haben. Ganz viele Samples mit irrsinnig viel Spuren, die gleichzeitig rennen. Das war allerdings nie so befriedigend.
Brandlmayr: Dann haben wir begonnen immer weniger zu machen. Immer weniger Spuren, sind in das Knacksen eingetaucht und das ist immer enger geworden.

Ihr seid draufgekommen, dass weniger mehr ist.

Nemeth: Ja, das ist eh das alte Ding. Es ist logisch und es ist banal – das war dann eine wichtige Grundüberlegung, dass wir die Samplingtechnik nicht voll ausnützen. Theoretisch hat man ja tausende Möglichkeiten. Wir wollten bestimmte Sounds zu suchen, die einfach unsere sind und mit denen wir etwas zusammenbasteln.
Brandlmayr: Im Endeffekt geht es darum eine Klangskulptur zu erzeugen – alles wächst ineinander. Wenn ich am Schlagzeug herumwische, dann hat das meistens einen absoluten Sinn mit den Samples die gerade ablaufen. Wenn beispielsweise irgendwelche Kratzsamples ablaufen, dann versuche ich am Schlagzeug möglichst dran zu sein und zu erreichen, dass sich das möglichst vermischt. Damit man den Effekt erreicht, dass die Samples und das Schlagzeug eigentlich nicht mehr voneinander zu trennen sind. Und nicht mehr zu erkennen ist, was ist jetzt was.

Wieweit arbeitet ihr auf den ganzen Set hin und wieweit an den einzelnen Songs? Eure Konzerte wirken irrsinnig homogen.

Brandlmayr: Dieser Effekt tritt dadurch ein, dass wir uns in einem sehr strengen Soundkosmos bewegen. So kommt die Geschlossenheit zustande. Außerdem ist es nicht so, dass wir die Nummern zufällig auswählen.
Norman: Wie haben einmal die einzelnen Nummern und dann denken wir uns: mit welcher fangen wir an? Wissen wir noch nicht. Ok. Welche Nummern passen gut zueinander? So wählen wir mal drei aus. Dann denken w
ir uns, auf die dritte, kommt die und die Nummer sicher noch einmal ganz gut. Schließlich wollen wir so eine Bewegung in den Set bringen, wie z.B leises Anfangen, dann wird’s konkreter, mal lauter, anderswo wird’s mehr soundorientiert und zum Schluss wird es wieder ganz straight. Und so arbeiten wir.

Es ist erstaunlich, dass ihr es schafft die Elektronik mit den akustischen Instrumenten zu vereinen. Da gibt’s kaum Bands, die das können …

Norman: Ich glaube das gibt’s bei anderen Bands in Ansätzen oder mit anderen Überlegungen. Wir wollten unsere Instrumente so spielen, dass sie zu den rauhen Klängen dazupassen und umgekehrt die gesampelten Sachen den Instrumenten anpassen. Was wir erreichen wollten, war die Einheit auf beiden Ebenen. Dass es jetzt soweit gekommen ist, haben wir am Anfang nicht gewusst.

Was ist das – ein Instrument zu spielen?

Nemeth: Das ist schwierig zu definieren, weil ja der Sampler genauso ein Instrument ist.
Brandlmayr: Es geht eigentlich um Klangfarbenmodulation, es ist jedes Mal ein bisschen anders. Es sind immer dieselben Bewegungen und dieselben Elemente, die ich am Schlagzeug spiele. Jedes Stück hat Elemente zugeordnet und die kann man innerhalb des Stückes bis zu einem gewissen Grad auch verschieben. Aber innerhalb einer Struktur ist es möglich den Sound zu modulieren und das ist jedes Mal anders.

Bei euch ist ja das Maschinenelement sehr markant zu hören. Es hört eine Maschine auf – Schaltprozess – eine neue fängt an. Ihr arbeitet damit klassischen organischen Konzepten von Aufbau und Struktur vollkommen entgegen.

Brandlmayr: Während ich Schlagzeug spiele, tritt oft der Effekt ein, dass ich mir vorkomme, wie ein Roboter. Die Bewegungen laufen dann total automatisch ab. (macht Schlagzeuggeräusche)
Norman: Wir haben ursprünglich gesagt, dass wir mit den Instrumenten genauso die Cubase-Ästhetik beibehalten wollen.

Der blockartige Aufbau …

Norman: Ja genau. In jedem Block eine Modulation, die sich wiederholt. Es fängt an mit 1, dann kommt 1′ , dann 1″, dann 2, 1 usw. Das sind Modulationsthemen, die sich wiederholen und sich als Thema insgesamt aufbauen.
Brandlmayr: Das ist die eine Seite. Andererseits gibt es den Moment, wo das Schlagzeug eine gewisse Ungenauigkeit hineinbringt. Und das ist eigentlich genau entgegengesetzt zur Maschine. Ich habe einmal eine Phase im Schlagzeugspielen gehabt, wo ich mich dem Rhythmus prinzipiell verweigert und zwei Jahre lang nur Sounds gemacht habe. Später ist es dann dazu gekommen, dass ich das wieder in den Rhythmus eingebaut habe.

Nemeth: Die Ungenauigkeit gibt’s ja dann auch auf Seiten der Samples, die werden extra so gemacht, dass sie nicht wirklich exakt sind. Das war schon auch eine Grundüberlegung.
Brandlmayr: … damit es eine organische Wirkung hat.
Nemeth: Auch Knackser sind ungenau und nie wirklich in der Time. Das macht auch einen Reiz aus. Man wird nie ein Instrument bei jedem Konzert gleich spielen. Und es sind die spannendsten Momente, wenn z.B. die zwei Bässe (Anm.: Synth u. E-Bass) verschwimmen – jedes für sich alleine wäre vielleicht ein bisschen langweilig – aber wenn sie gemeinsam da sind, kann man nicht mehr verorten wo das jetzt herkommt. Die Frequenzen beeinflussen sich gegenseitig.

Brandlmayr: Wir gehen ja als Parameter von Registern aus. Irgendwo ist ein hoher Sound, dann kann man mit einem anderen Instrument in den hohen Sound einsteigen, dass man z.B. wieder im oberen Register spielt. Dann ist etwas tiefes, und du kannst wieder mit etwas tiefen antworten, oder genau das Gegenteil.

Es stellt sich dann auch die Frage die Frage, wieweit dir das Instrument vorgibt, es auf ein gewisse Art zu spielen.

Nemeth:Absolut. Es ergibt sich aus den Medien mit denen man arbeitet und was man sampelt. Wir haben anfangs viel Sachen mit dem Synth gemacht und da bin ich draufgekommen, ich mag ihn nicht in den mittleren Frequenzen – dort klingt er eher bescheuert. Aber wenn ich ein anderes Instrument hätte, wär’s womöglich ganz anders. Auch die ganzen Störgeräusche, eher meistens Extrem-Störgeräusche, mit denen wir im Proberaum hantieren, passieren zufällig …
Norman: … und das hat uns stark beeinflusst, – der Grundbrumm von der nicht ganz so superen Anlage, wo vorb allem die Kabel schlecht verlegt sind und irgendwann haben wir gesagt: Das klingt eigentlich gut.

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Text
Christian König

Veröffentlichung
10.09.1998

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