Das diesjährige phonoTAKTIK-Festival stand im Zeichen der Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit – im Informationszeitalter längst zu einer zentralen ökonomischen und sozialen Kategorie geworden – sollte gezeigt werden, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Gezieltes Auflesen von für den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext wesentlicher Information entscheidet oft, ob jemand dazugehört oder nicht oder gar mit dem Attribut »stehengeblieben« bedacht wird. Längst ist das aufmerksam-sein-müssen zur obersten Tugend und zugleich zu einer Last geworden. Nicht die Vergeudung von Rezeptionskapazitäten ergo Zerstreuung, sondern die »Verfeinerung der Sinne durch Aufmerksamkeit an sich selbst« (nach Georg Franck ein Wesensmerkmal von Kultur), könnte als der Kulturauftrag der Veranstalter bezeichnet werden.
»Pay attention if you care« wird im Zeitalter der massenmedialen Flut vor allem zu einer Kampfansage an industriell erzeugte Oberflächlichkeit und ihre Nutznießer. phonoTAKTIK 99 wollte dem die bewusste Wahrnehmung entgegensetzen, die mit traditionellen Zahlungsmitteln nicht bemessen werden kann. Da die Mühe der Informationsbeschaffung einen Tauschwert darstellt, der üblicherweise nicht anerkannt wird, konnte bloßes interessiert sein gegen Freikarten eingelöst werden.
»Es ist nicht einfach Karten herzuschenken«
phonoTAKTIK 99 praktizierte somit eine neue Form des Kartenvorverkaufs, die allerdings bei einigen Kritikern auch auf Ablehnung stieß. Wer dabei sein wollte, musste sich auf eine Schnitzeljagd durch ausgewählte Plattengeschäfte und Szenelokale begeben, um den begehrten Code zu bekommen. Dass das mitunter auch für Stammplatzhalter auf Gästelisten anstrengend werden konnte, sollte den Erfolg dieses Konzeptes nicht schmälern.
»Der Großteil der Reaktionen der Gäste war positiv bis euphorisch auch dahingehend, dass es sich für die Leute ergeben hat, Eintrittskarten im Wert von ein paar tausend Schilling geschenkt zu bekommen und sich dadurch die Möglichkeit eröffnet hat, viele Konzerte zu sehen«, meint Organisator Peter Rantasa.
»Beschwert haben sich eigentlich nur die Verlierer der Demokratisierung. Es sind alle dem selben Prozess unterworfen worden, ob Musiker, Journalisten oder andere, es gab nur eine Gästeliste.«
Dem Einwurf, daß phonoTAKTIK 99 elitär wäre, weil die Handhabung neuerer Kommunikationstechnologien die Voraussetzung für eine erfolgreiche Buchung gewesen wäre, kann nur bedingt stattgegeben werden.
»Die Sache mit dem Internet ist von manchen als Bürokratie missverstanden worden« erklärt Rantasa, »aber dabei ist uns einfach organisatorisch nichts besseres eingefallen. Es ist nicht einfach Karten herzuschenken, vor allem wenn es darum geht, verschiedenste Plätze mit unterschiedlichen Publikumskapazitäten buchen zu lassen. Außerdem waren auf den Flyern Telefonnummern abgedruckt, wo jeder telefonisch betreut wurde.«
Mit der Gästeliste wollten sich die Veranstalter schließlich auch der üblichen Kommerzlogik von Großveranstaltungen – je mehr Zahlende, desto größer der Erfolg des Festivals – widersetzen.
»There is nothing revolutionary about this music«
Der Vorwurf des Elitären war nicht der einzige, der in heimischen Medien als Kritikpunkt genannt wurde. Manche Musikkritiker scheinen dabei davon auszugehen, elektronische Musik habe sich in den letzten Jahren in Wien etabliert. Betrachtet man allerdings die durchschnittlichen Besucherzahlen bei kleineren Veranstaltungen, beginnt man an dieser Ansicht zu zweifeln.
Und obwohl in Nebensätzen zumeist auf die Diversifikation der Soundvorstellungen der verschiedensten Protagonisten hingewiesen wird, reduziert man elektronische Musik in der Regel immer wieder auf ihre abstrakte Variante.
Dem Publikum wird Unbedarftheit unterstellt. Deren Anwesenheit bei Konzerten lasse sich vor allem aus dem sich daraus ergebenden Distinktionsgewinn zurückführen. Man wird den Verdacht nicht los, dass die öffentliche Debatte auf einigen grundlegenden Missverständnissen basiert. So wird der Bereich aktuellen Musikschaffens, der gewöhnlich unter dem Oberbegriff »elektronische Musik« subsumiert wird, vor allem unter dem Aspekt des Neuen rezipiert.
Die Wiederholung von schon Dargebotenen gilt als Verrat an den eigenen Ansprüchen. Das damit verbundene lineare Geschichtsverständnis stellt Forderungen an die Produzenten dieser Musik, welche sie selbst nie so formulierten.
»There is nothing revolutionary about this music«, so Pita Rehberg im Gespräch mit skug.
Wie man bei D’n’B sehen kann, entsteht dort eine musikalische Krise, wo die Musiker den Anspruch des immer-wieder-Neuen an sich selbst stellen.
1995 / 1999
Während sich phonoTAKTIK 95 als Festival im Festival (»80 Tage Wien«) noch über den Bezug zur Architektur definierte, konnte sich phonoTAKTIK 99 als eigenständige Veranstaltung etablieren, die – auch diesmal ausgehend von der Idee einer Inszenierung städtischer Lärm- und Geräuschlandschaften – der Verbindung von Klang und Raum großen Stellenwert einräumte. Der Wiener Elektronikfrühling Mitte der 90er konstituierte eine Szene, die bis dato unabhängig voneinander agierte.
»Über die Chill-Outs hat sich eine experimentellere Spielweise etabliert und sich das Feld des Elektronischen von der Gebrauchsmusik emanzipiert, die Tanzmusik einfach darstellt, dass Leute aus dem Jazz- und Avantgardekontext dort hingewandert sind.« erklärt Veranstalter Peter Rantasa im Gespräch mit skug..
Phonotaktik 95 repräsentierte demnach nicht nur elektronische Musik, sondern unter dem großen Begriff »Ambient« versammelten sich auch Musiker, die mit »herkömmlichen« Instrumenten arbeiteten. Die Beschäftigung mit Geräusch und Raum hieß nicht, dass das Geräusch unbedingt elektronisch generiert sein musste.
Die Suche nach den kleinsten Bestandteilen ist mittlerweile bei der Rekombination angelangt, ein Punkt wo sich wieder so etwas wie eine musikalische Sprache abzeichnet. Das gekonnte Spielen auf dem Tableau der Emotion, gehört längst zum integralen Bestandteil der Arbeit von Musikern wie Fennesz, Karkowski oder Lopez. Die Strenge des Selektionsprozesses vor der Veröffentlichung hat sich verschärft und die Arrangements beispielsweise eines Rioji Ikeda geben uns nur einen Ausblick auf das, was künftig Komposition mit Sounds heißen könnte. Das spielerische Element ist dabei zwar noch immer sehr stark, die Unbefangenheit der Anfangstage allerdings ist unwiederbringlich verloren.
Die Max-Brand-Preisträger Fon legen großen Wert darauf, dass ihre Sounds nicht den Standards der sehr verbreiteten Apple-Software unterworfen werden, und produzieren ihre Klänge hauptsächlich auf selbstgebauten Instrumenten wie einem Sat-Receiver oder Fax-Geräten. Das Basteln an den Produktionsmitteln selbst verbindet sie ganz eng mit Max Brand.
Die Historizität der vor kurzem ach so neuen elektronischen Musik spielt plötzlich eine größere Rolle. Der Max-Brand-Schwerpunkt ist aber nicht der Versuch linearer Geschichtsschreibung, vielmehr geht es darum, lose Enden zu verbinden. Keiner der Musiker, die auf der soeben beim rhiz-Label erschienen »in memoriam«-CD mit einer Max-Brand-Bearbeitung zu hören sind, ist dessen Tonexperimenten jemals zuvor begegnet. Von »Einflüssen« kann also in keinster Weise die Rede sein. Bloß die Verspieltheit der Brandschen Klänge, deren fragmentarischer Charakter und seine Arbeitsweise als einer der ersten »Schlafzimmerproduzenten« verbinden ihn mit den Musikern der Gegenwart.
Wien XI., Krematorium
Autarkie bzw. die Verweigerung von ökonomischen Verwertungszwängen stand schließlich im Zentrum von phonoTAKTIK 99.
»Ich glaube ja eher, dass sich eine Wiener Szene über die Produktionsbedingungen definiert, und nicht über den Sound. Es wird allerdings immer wieder versucht, Sachen über den
Sound zu vermarkten.«, so Rantasa.
Folgerichtig wollten die Veranstalter einen Zusammenhang zwischen Produktionsbedingungen und Produktionsort herstellen. Denn bei der Auswahl von Locations ging es nicht nur um tolle Raumakustiken, sondern darum Musik an Orten zu präsentieren, an denen sie üblicherweise nicht vermutet wird, die aber mit ihrer Entstehung indirekt verbunden sind:
Stätten der Verteilung von Wissen (Urania), Orte, die im Zusammenhang mit der Produktion von Energie stehen (Siemens-Pauker-Werke) oder schlichtweg Plätze, die einen zentralen Stellenwert im Selbstverständnis einer Stadt einnehmen (Prater, Krematorium).
»Der Plan war ursprünglich Wahrzeichen zu bespielen. Da gibt es abstrakte elektronische Musik, abstrakt in dem Sinn, da gibt’s keine Worte und augenscheinlich keinen lokalen Bezug. Trotzdem sind aber diese Dinge so stark über Städte rezipiert worden. Man redet immer über Kölner Szene, Wiener Szene usw. Da gibt’s einen starken sozialen Zusammenhang, aber auch einen über die Gefühle und Bedingungen, die eine Stadt vermittelt. Das ursprüngliche Konzept der Wahrzeichen wurde dann in der Diskussion zum Teil verworfen. Emotionale Wahrzeichen sind viel wichtiger, denn für einen Wiener spielt der Stephansdom überhaupt keine Rolle, aber das Krematorium schon, weil der Zentralfriedhof in Wien eben eine wichtige Größe darstellt.«