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Element Of Crime

Im engen Netz von Alkohol-, Gefühls- und Gedankendusel finden Element of Crime seit bald vierzehzn Jahren ihre Songs. Sinistre Eigenmilieustudien einer Band, die im Älterwerden immer schönere Alben wie zuletzt »Psycho« (Polygram) produziert.

Unser Lied

Das Liebeslied bei Element of Crime hat meist einen Haken: die Bezugsperson fehlt, ist verreist, mit anderen unterwegs oder ohnehin eine Illusion.
»Ain’t no sunshine when she’s gone / ain’t no sunshine when she’s gone / but she’s always gone too long / every time she goes away«,
zitiert Sven Regener, Sänger, Texter und Trompeter, seinen Lieblingstext im Interview.
Das zufriedene Liebespaar – wir wissen es – wird man bei Element of Crime lange suchen. Zufriedenheit dagegen findet sich im kleinen Rahmen im Schwärmen, im Grübeln, zugleich mehr Verwegen- als Traurigsein (wofür schon Regeners Gesang sorgt): Melancholie, darin begründet, dass alles, was auftaucht, damit schon sein Weggehen ankündigt. Ein nur fairer Zugang zur Welt und ihren Spielzeugen.

Die Wehmut erstreckt sich universell und über alle Platten. Eine gebrochene Wehmut: denn nicht die Schönheit gibt uns Auskunft, das Grausame erst in seiner Brechung erzählt. Es erlaubt schöne, hängen bleibende Formulierungen – Umformulierungen des Immergleichen -, die sich immer vorm Klospruchniveau retten: gerade durch ihre vorangestellte Negativität, durch ihre devote Rechthaberei, verbunden mit fu&szligtrittartigen Beobachtungen;
»am Tresen wird betrügerisch eingeschenkt / doch die Mehrheit will sowieso ein Sportgetränk / und genauso wie sie trinken / so tanzen sie auch« (Nichts mehr wie es war, 1996).
Oder auch:
»niemand ist gern allein / mitten im Atlantik« (Vier Stunden vor Elbe 1, 1991), weshalb »ein Tritt dem Trottel« gebührt, »der das erfunden hat« – »Schei&szlig doch auf die Seemannsromantik« (Element of Crime) bzw. »Schei&szlig auf ihn, ich schei&szlig mit dir« (Fritz Ostermayer).

Jedes Erfolgserlebnis hat nicht nur seinen offensichtlichen Verlust, sondern auch einen geheimen. Zwar »wissen nur wir beide / wo ich war«, die sanfte Befriedigungsverhei&szligung steht also vor der Tür, trotzdem bleibt ein ewiger Rest: das unbestimmte Ereignis, wo ich deswegen sicher nicht dabei war und das immer nur ein Verlust bleiben kann. Denn »kurz nachdem ich ging / hat keiner mehr bezahlt / da tanzten alle auf den Tischen / und ich war nicht dabei.« (Ich war nicht dabei, 1999)

»Das ist ja auch der Witz, wenn eine Party kalt wird und der Morgen kommt einem entgegen, die meisten sind schon weg und man will nicht aufhören, das Ende nicht wahrhaben. Weil man von Parties immer mehr erwartet, als sie einem geben können. Deshalb kann man im Grunde auch nie aufhören.« Zitat Regener zwei Ende.

Sonntage/Wochenenden

»Ganze Familien glauben, Ordnung machen zu müssen und stürzen sich auf den Inhalt ihrer Behausung und verrücken ihn und werden dadurch verrückt.« (Thomas Bernhard, Der Keller)
Im Endeffekt lässt sich das Leben auch als eine andauernde Flucht vor diesen Momenten lesen. »Macht verrückt, was euch verrückt macht«, singt Jochen Distelmeyer, ganz Offensivgeist, während Element of Crime immer schon eher die Defensivarbeit erledigten. Die Sprachspiele sind heute aber um nichts weniger ausgereift als etwa bei Blumfeld, jeder Sager sagt auch etwas, Zweck und Selbstzweck in bewusster Verbindung, Heuchelei genau soviel, um Pop zu bleiben. Und immer wieder Schwelgerei, die Spiegelseite der Verzweiflung, in die jeder (Sonn-)Tag aufs Neue stürzt und vertieft.

Psycho und Party standen für den Albumtitel zur Auswahl. Beide richtig – und nicht bermudadreieckig oder mittelklassig – verstanden, sind das Um und Auf der Band. (Zitat Regener: Albumtitel, diese eher als andere …)
Der Anfang der Party ist schon das Ende der Party, und dazwischen steht der Alkohol, über dessen Dialektik sie zuletzt auf Die Schönen Rosen die präzisest zu gebende Formulierung fanden, für die Walter Benjamin wohl sofort alle Haschischstudien aufgegeben hätte: »Ich will oft so gerne berauscht sein / und werde doch immer nur breit.« (?ber Nacht, 1996)

»Unsere Lieder sind eher für den Morgen danach. Unsere Songs handeln von dem, was bei Parties passiert, Sex und so einem Kram, und wie man das alles durchhält; wie sich gerade das Ende einer Party entwickelt. Ich bin ja einer von denen, die immer am längsten bleiben, das sind eigentlich die spannendsten Geschichten

Im Angesicht

Wir erleben einen Einbruch des Pop, der Melodie im Angesicht von, sagen wir, FSK und Lambchop. Element of Crime haben die bisherigen Koordinaten Chanson, Velvet Underground und Country hochgeschraubt und bestätigen sich endgültig als eine der wenigen Bands, der es erlaubt sein soll, Blasinstrumente in ihre Musik einzubinden – was seit Dexy’s Midnight Runners auf der einen und dem James-Chance-/Lora-Logic-/Red-Crayola-Verbund auf der anderen Seite, also seit den Mittachtzigern ohnenhin relativ brach gelegen ist.
Psycho hat definitiv Schwung, bringt eine neue Form von Kompaktheit bei Element of Crime, die gerade in den unterschiedlichen Stilen der einzelnen Songs liegt. »Du und ich sind immer noch ein Star« (Jung und schön, 1999) – besser lä&szligt sich im Pathetischen auf internationaler Ebene mit Sprache nicht hantieren. (Bei den Mäusen vielleicht, aber deren bester Song stammt ja auch von Burt Bacharach.)
Wie auch zuletzt Whirlpool Productions (zu deren letztem Album Regener die Trompetenparts beisteuerte) haben Element of Crime im ehemaligen Can-Studio aufgenommen, produziert von deren ehemaligem Live-Mixer René Tinner:

»Es ist ein sehr undogmatisches Studio, was uns sehr entgegenkommt. Auch die absurde Trennung von Gitarren und Elektronik hat sich mittlerweile weitgehend aufgelöst, und die Leute wechseln relativ frei zwischen den einzelnen Parallelwelten hin und her. Wir müssen jetzt deshalb nicht Elektronik machen, aber es ermöglicht ein undogmatisches Arbeiten, wenn man wei&szlig, da&szlig die Möglichkeiten da sind. Es ist ja alles nur ein Mittel zum Zweck. Bei dieser Platte ging es uns darum, da&szlig wir die Songs so weit wie möglich biegen und brechen wollten, die Grenzen ausloten; in die Extreme der Lieder gehen

von Älterwerden

Im Prinzip hat schon Jorge Luis Borges in den 30er Jahren mit seiner Geschichte über die isländische Literatur des Mittelalters auch jene von Element of Crime geschrieben. Die Kunst besteht nicht im Suchen neuer Themen, sondern neuer Formulierungen – neuer kenningars.

»Das ist ein schöner Vergleich. Es gibt letztendlich nur zwei, drei Lieder, die man hat. Im Grunde stimmt das, da&szlig man sich immer mit den gleichen Themen auseinandersetzt, aber mit der Musik ist es genauso. Trotzdem passiert immer etwas Neues. Deshalb lä&szligt sich im Grunde auch nie aufhören, denn der eigentlich ultimative Song ist nicht geschrieben – und das ist auch besser so. Und deshalb hätten auch alle Platten ‚Psycho‘ hei&szligen können

Die Geschichte der Elements handelt von den gro&szligen Themen: dem Ankommen und Abfahren, der Sehnsucht nach unverbrauchtem Erleben und Zusammensein und dem Umgang mit einem selber. Dass trotz beständiger Themen immer wieder Neues gesagt werden will, macht das Älterwerden möglicherweise aufregender, aber nicht leichter und die Abstände zwischen den Platten länger. Der »Alptraum, dass man anfängt, sich im Wiederholen zu verfangen« bleibt genauso wie der Anspruch, nicht billig, zur Tagebuchvertonung zu werden:
»Es gibt natürlich bestimmte Elements-Geschichten, ein bestimmter Stil setzt sich ohne Planung immer wieder durch. Aber es hat nichts mit Authentizität zu tun. Niemand lebt in Songs, in zwanzig Zeilen, es ist immer etwas Artifizielles

und Aufhören

Das schönste, das unübertrieben und u
nironisch schönste an Element of Crime ist, dort aufzuhören, wo es nichts mehr zu sagen und interpretieren gibt; aber auch bis dahin zu gehen. Ein »was sagt uns das / wei&szlig ich nicht« (Ohne dich, 1996) hinzusetzen, ein »du wei&szligt worauf ich jetzt hinaus will / ist auch egal« (Jung und schön, 1999), aber alles davor Sagbare auszusprechen.
Reden erfordert Sprache, und deutsche Sprache hat momentan viel zu reden – von Teutonenstampfern über Pop/Rock bis HipHop, der schlussendlich – nach jahrelanger Günter Jacobscher Prophezeiung – auch heim ins Reich der bundesdeutschen Sprache geholt wurde. Element of Crime, die sich dereinst 1990 vom Englischen lösten und ebenfalls ins Muttersprachliche übersiedelten, treten nun dementsprechend den Weg zurück zur internationalen Sprache an, beschlie&szligen das Album (zumindest die limited edition) mit je einem englisch- und französischsprachigen Track und arbeiten auch sonst mehr denn je daran, das Plakative der Sprache zurückzudrängen, die Musik zu betonen und Kurt Schwitters in die Zexte einkehren zu lassen.

»Für meinen Geschmack ist in den letzten Jahren, seit wir deutsch singen, Text auch oft zu ernst genommen worden. Es ist nicht einfach nur der Text, er orientiert sich auch sehr stark an der Musik und am Klang. Einige unserer neuen Songs kommen dem sehr entgegen, weil sie die Frage: ‚Was bedeutet das jetzt?‘ gar nicht mehr zulassen. Einige Texte ergeben für mich gro&szligen Sinn, obwohl du nicht den Finger drauflegen und sagen kannst: Das bedeutet das und das

Einem »verschrobenen Post-Dadaismus« (Regener) huldigt dementsprechend So wie du, in dem es unter anderem um Schwedenrätsel in Erdbeerbeeten geht und dessen Refrain in gewisser Weise das Naheverhältnis von Mensch und Tier auslotet: »Pitbullterrier werden von ihren Müttern sehr geliebt‘«, zitiert Regener. »Mir sagt das was

»Niemand lebt in Songs.« (Sven Regener)

Home / Musik / Artikel

Text
Thomas Unger

Veröffentlichung
02.05.1999

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