The Notwist – Eine kleine Geschichte der Brüche
Über The Notwists Werdegang noch Worte zu verlieren, ist eigentlich müßig – und wenn, dann gälte es nur, die üblichen Missverständnisse zu klären. Dennbetrachtet man alle parallel laufenden Projekte und Bands, so ist die Geschichte The Notwists plötzlich keine lineare mehr, sondern eine voller Ecken und Umwege.
Village Of Savoogna, Potawatomi, Ogonjok, natürlich das Tied & Tickled Trio und Lali Puna heißen einige der Stationen. Riesig ist das dabei bearbeitete musikalische Feld, immer aber ist da die ganz unverkennbare »Acher-Note« mit dabei.
»Ich will aus Trümmern Hoffnung bauen« (Deadzibel)
Rot ist das Cover der neuen CD, blutrot, vielleicht aber auch das Rot der sozialistischen Utopie, wer weiß, in der Mitte ein schwarzer Kreis. Geschlossen natürlich, dem Wesen des Kreises entsprechend, aber voller Löcher, mit unscharfen Konturen, fehlerhaft vielleicht. Aber es ist ja nicht erst seit »mego« allseits bekannt, dass »fehlerhaftes« Output oft spannender ist, als bloß intendierte Ergebnisse. »Das Unvorhergesehene sollte immer in der Musik präsent sein« meint denn auch Markus Acher, bezogen vor allem auf die Produktion von Neon Golden.
Der Kreis steht nebst anderem wohl für »Ort«, für sich finden, nur wo?
Ich denke, The Notwist haben sich in der Kunst des Unmöglichen geübt und doch tatsächlich den U-topos gefunden. Neon Golden als Materialisierung der Utopie der perfekten (Pop)Musik..
»You know this place, we’ve been here before« (»Pick Up The Phone«) – also mag der Platz zwar nicht sein, aber bekannt ist er doch. Ist es vielleicht jener aus verschwommenen Kindheitserinnerungen, aus der Zeit vor dem ersten bewussten Blick in den Spiegel, vor dem ersten Stolpern in das, was gemeinhin »Realität« genannt wird? Klingt die Musik deshalb so seltsam vertraut?
Die Utopie des perfekten Songs ist es sicher nicht, die Popmusik neu zu erfinden, vielmehr ist diese Suche auch ein Reflektieren des bereits absolvierten Weges. Nimm deine besten Erinnerungen und mal ein Bild damit. Im Fall von The Notwist sind die Erinnerungen vielzählig, das entstandene Bild ist längst mehr als eine Collage – eher ein Destillat, die perfekte Musik eben.
Rock in bester US-Hardcore-Tradition, etwas ältere Musik vom selben Kontinent wie Blues, schwerst einlullende Melodien, Kammer- bis Neue Musik, beatorientiertes wie HipHop und sonstige Tanzmusik, immer offensichtlicher auch Dub sind solche Erinnerungen. Und alle werden, ganz wie das verwendete Format »Popsong« auch gleich dekonstruiert. So weit, so gut, das Besondere ist aber die Einheit dieser Teile, sie bilden im Falle Notwists ein Ganzes. Es scheint, als gäbe es eben nur diese Möglichkeit Musik zu machen, als könnte man all die Einflüsse nicht anders verbinden.
Die Einheit erscheint fast als transzendentale, vielleicht haben The Notwist es geschafft, die Moderne mit ihrer Präfix Post- zu versöhnen. Nick Cave lässt grüßen.
»The Love Song is the sound of our endeavours to become God-like, to rise up and above the earthbound and the mediocre.«
Und The Notwist sind natürlich nicht um eine Antwort verlegen: »And I love the Lord, day seven.« (»Day 7«)
Der notwistsche Popsong als neue Metaerzählung?
Die Entdeckung der Langsamkeit (Stan Nadolny)
Böse Menschen würden angesichts von »Neon Golden« massig Fremdwörter auffahren, um dem Nicht-Greifbaren doch Herr zu werden – oder zumindest den Anschein zu erwecken. Dabei ist doch alles so einfach – Nick Cave hat in Anlehnung an Garcia Lorca versucht, es uns zu erklären:
»Duende is the inexplicable sadeness that lives in the heart of certain works of art. All that has dark sounds, has duende, that misterious power, that everyone feels, but no philosopher can explain. All Love Songs must contain duende. For the Love Song is never truely happy. It must first embrace for the potential of pain.«
Die unerklärliche Melancholie des Seins ist es denn auch, was The Notwist ausmacht. Mag auch die Essenz somit offen vor uns liegen, wird trotzdem nicht selten über die (musikalische) Identität der Band respektive der Brüder Acher spekuliert.
Ist jedes Projekt Abbild einer Persönlichkeit? Wurde gar aus der These Notwist (prä-»Shrink«) und der Antithese Tied & Tickled Trio die Synthese »Neon Golden«? Und hat das verlorene Subjekt somit wieder zu sich gefunden?
»We’re off the rails, now we’re trains ourselves
Wer’re off this place, dosen’t mean we’re somewhere else« (»Off The Rails«)
Nix also mit Polyphrenie, einfach nur die Suche nach neuen Plätzen, das stete Weiterschreiten, ist wohl das Besondere an den involvierten Personen, die Stimmung das Einende, ebenso wie die Liebe zu Musik in fast jeder Ausprägung.
Hauptsache, die Atmosphäre passt, ist voller Duende, was aber nicht etwa musikalisches Programm wäre, Micha meint dazu nur:
»Das sind einfach wir. Wir haben da auch schon viel darüber geredet, ich glaube mittlerweile, es ist einfach nur Geschmack. Denn wenn ich mir zu Hause Platten anhöre, dann höre ich auch nur so leicht melancholische Sachen. Ich weiß auch nicht, es gefällt mir einfach besser – und dem Markus geht es auch so. Ich wüsste jetzt gerade auch nicht, welche happy Musik ich hätte. Gut, melancholische Musik kann auch happy sein, ich meine jetzt bloß so richtig, mir fällt da gar nichts ein, so fun. Wir hören viel solche Sachen und daher fließt das auch mit ein. Es war da auch so eine Bonnie „Prince??? Billy Platte, die für mich persönlich Wahnsinn ist, diese Melancholie, die gefällt mir einfach.«
»The writer who refuses to explore the darker regions of the heart will never be able to write convincingly about the wonder, the magic and the joy of love.« (Nick Cave)
Die Fröhlichkeit, die verweigert wird, kann gelesen werden als Verweigerungshaltung gegenüber der Spaßindustrie und der im Moment so viel beschworenen wie wenig definierten »Spaßgesellschaft«. Oder, auf den Punkt gebracht, man verweigert sich dem morphing seelischer Inhalte in systemadäquate Formen.
Seelenstriptease in Talkshows ersetzt nur die Unfähigkeit, intimes in privatem Rahmen zu kommunizieren. Individualismus wird allen Orts versprochen, gehalten werden soll derartiges gar nicht erst. Man muss nicht unbedingt Adorno ausgraben, um zum Schluss zu kommen, dass glückliche Hühner weniger laut schreien.
Was aber kein Grund ist, regressiv zu werden und »authentische Inhalte« und »wahre Gefühle« zu beschwören, Duende, der Magie der (dunkeln) Emotionen erklärt vieles. Und eben hier treten wieder The Notwist in Erscheinung – alles voller Emotion – aber keine exhibitionistisch zur Schau gestellten falschen Gefühle, es geht um die Frage des starken und (mit)fühlenden Subjektes.
»I’m not in this movie, I’m not in this song« (»Consequence«) ist da genauso stringent argumentiert wie schlicht eine Lüge – selten mal Songs gehört, in denen so viel Emotion, Subjektivität, eben so viel »Ich« steckt.
Die Mensch-Maschine
Der Kreis des Covers steht ebenso für den Produktionsprozess, für die Suche nach musikalischer Geschlossenheit.
»Wir haben versucht, die Vielfalt von „Shrink“ zu konzentrieren und etwas Homogeneres und Geschlosseneres zu finden. Ein Versuch also, die Dinge wieder näher zusammenzubringen. Idealerweise geht es dabei um eine musikalische Gesamtsprache, in der verschiedene Elemente Platz haben, ohne dass man sie gegeneinander ausspielt.« (Markus Acher).
Diverse Maschinen waren nicht unwesentlich an dieser Suche nach Einheit beteiligt, interessanterweise. Trotz allem, gar nicht Maschinenassoziationen weckendem Wohlklang von »Neon Golden«, ist die Platte eben eine, deren Entstehen nur durch den exzessiven Gebrauch verschiedenster elektronischer Werkzeuge möglich war. Dabei wird
gelegentlich übersehen, dass das Verhältnis Mensch – Maschine ein dialektisches ist, dass der Benutzer eines Werkzeuges dieses nicht nur anwendet, sondern davon auch beeinflusst wird. Was also ist mit dem Einfluss von Laptop, Sampler, Synthesizer auf The Notwist?
»Es gibt so unglaublich viele Platten momentan, wo man hört, mit was die gemacht worden sind. Man hört, ob die an einem Rechner gemacht wurden, wo man mit Spuren rumschieben und völlig frei Musik machen kann oder ob einen Platte an einem Stück eingespielt worden ist. Insofern ist es klar, dass einen auch so was extrem beeinflusst. Wir hatten mit „Shrink“ zum Teil auch schon die Möglichkeit, mit Computern zu arbeiten, aber mit der Platte haben wir das extrem exzessiv gemacht. Jeder von uns hat seinen Rechner und sein Ministudio, jeder hat komponiert und für sich Stücke zusammengebastelt. Wir hatten am Anfang sehr viel auf Rechnern gemacht. Komponiert, Daten ausgetauscht, jeder hat zu den Stücken vom anderen was dazugemacht und so Pingpong-mäßig sind die Tracks da hin- und her gegangen.
Als wir angefangen haben aufzunehmen, haben wir versucht, diese ganze Computerkühle, die eigentlich ein Computer hat, akustisch und natürlich und human klingen zu lassen. Das war auch im Arbeitsprozess der längste Schritt, solche Sachen irgendwie zu bearbeiten, natürlich klingen zu lassen. Am Schluss hatten wir fast ausschließlich Spuren am Stück genommen und nicht mehr gestückelt, Leute spielen lassen und komplettdiese Spuren genommen, damit das Ganze in sich auch ein bisschen wackelt.« (Micha)
So, wie neue Werkzeuge und diverse eingeladene Gäste das Bild mitgestalteten, so taten dies auch die anderen Projekte der beteiligten Musiker, neben Console wohl vor allem das Tied & Tickled Trio. Besonders die angesprochene Produktionsweise und natürlich Dub scheinen sehr daher zu kommen, Micha zeigt sich ob dieser Annahme etwas überrascht.
»Echt? (Pause) Na das ist immer klar, das sich die Bands gegenseitig beeinflussen. Und in gewisser Weise ist es schon diese Arbeitsweise, dass man Spuren sammelt und auswählt und so, das machen wir mit T&T Trio auch, aber es war auch bei „Shrink“ schon so. Eigentlich haben wir unser Vorgehen eher an der „Shrink“ Arbeitsweise orientiert. Aber es ist klar, dass das T&T Trio da extrem reinfließt, wie auch diese Platte sicher extrem Einfluss auf die nächste T&T Trio hat.
Und Dub ist besonders Markus große Liebe, er hört das sehr intensiv, legt das immer auf und ist völlig in dieser Musik. «
»Es ist ganz natürlich, dass man anstößt, sobald man der Strömung nicht mehr folgt.« (André Gide)
»Miss the signal, miss the signpost, lose the access to it all, and all of a sudden, you’re one with the freaks.« (»One With The Freaks«)
Liest man das Zitatals Imperativ, kann es auch als Aufforderung zum Bruch gedeutet werden, Bruch mit allem, was zur Konvention zu werden droht. Oder einfach auch nur langweilig wird, so wie 15-monatiges herumbasteln im Studio. Da muss dann schon mal die Sau raus.
»Wir sind, als die Platte fertig war, langsam zum Proben geschritten und hatten so wahnsinnige Lust zu rocken. Das macht uns gerade ziemlich Spaß, und wir haben auch viele Stücke gemacht, die eher rocken, auch die ganze Tour wird eher in diese Richtung gehen.
Wir werden schon versuchen, auch neue Stücke zu spielen, aber die Tendenz ist schon eher auf Fetzigem. Wenn man Ewigkeiten so rumfrickelt und nur im Studio ist, dann passiert so was automatisch. Im Proberaum hat uns das einfach Spaß gemacht, so intensiv und laut alles… « (Micha)
»The love song is a sad song, it’s the sound of sorrow itself.« (Nick Cave)
Gerade in der immensen Dichte und Intensität der Live Auftritte von The Notwist liegt auch viel ihrer Fragilität, im Lärm offenbart sich ihre Sensibilität mindestens ebenso wie auf zauberhaften Songs wie »Trashing Days«. Wer »12« kennt und liebt, weiß, was gemeint ist. The Notwist fangen, fesseln, treiben die Spannung bis zum Höhepunkt. Und dann, wenn man meint, zu zerreißen, wird man freigelassen. Sünden abgelegt und mit dem Segen der Herren aus Bayern wieder ins Leben entlassen.
Nicht unähnlich dem, was bei Godspeed You Black Emperor passiert, die von den Achers auch sehr geschätzt werden.
Dieses Spiel mit Intensitäten, das Balancieren an den Abgründen der Seele, ist ebenso faszinierend wie fesselnd. Was also tun mit dieser Musik, wie sie hören? Die Musik der väterlichen New Orleans Dixie Stompers (feat. Markus und Michael) bezeichnete Markus einst als Gebrauchsmusik – wo steht da »Neon Golden«?
»Notwist soll auch Musik sein, die man sich normal anhören kann, der Unterschied ist nur, wie und wo man gebucht wird.
Bei der Dixie Band ruft wer an und sagt: „wir haben da den 50. Geburtstag, könnt ihr da spielen?“ und so, da kommt man hin, muss sich ordentlich anziehen und so unauffällig wie möglich gute Musik machen. Notwist ist dagegen einfach unser ganz eigenes Ding, wir spielen da vor Leuten, die kommen, um unsere Musik zu hören, das ist eventuell so der Unterschied von wegen Erklärung Gebrauchsmusik. Wobei man dazusagen muss, dass die Dixie Band schon auch sehr eigenständige Musik ist.« (Micha)
»I will never read your stupid map, so don’t call me incomplete, you are the freak. « (»One Step Inside… «)
Gegen den Strom schwimmen, aus mechanistischen (Re)Produktionsprozessen auszubrechen, ist ein Anliegen Notwists – auch dafür, für diese Brüche, mögen die Unschärfen des Kreises am Cover stehen. Der Titel selbst signalisiert dann gleich den nächsten Bruch, einen in der Formulierung selbst. Genau aber der Widerspruch der beiden titelgebenden Wörter ist schön, denn erst Ungereimtheiten, Reibungsflächen, erzeugen Spannung. Reibung produziert Wärme. Sonnenlicht, angenehme Wärme – Neon Golden.
Oft wird man durch ignorieren vorgegebener Schemata zum Freak, meist aber zum »Beautiful Freak« – und erst als solcher erkennt man, wie lähmend die vorangegangene Zeit war. Eben diese Erfahrung machte Micha während des abgebrochenen Trompete-Studiums.
»Ich hab das mal so intensiv gemacht, weil ich halt gerne Trompete spiele, ich weiß auch nicht, und dann haben sie mich auch vom Konservatorium geschmissen, diese ganze Sache hat mich so gelähmt und mich so fertig gemacht! Dieses Schauen, möglichst viele alte Musiker auszuchecken und so perfekt wie möglich zu spielen, das hat mich fertig gemacht.
Das war auch mit ein Grund, warum wir mit dem Tied &Tickled Trio angefangen haben, weil ich das nicht gut finde, was so Jazzmäßig passiert.
Überall kann man mittlerweile Jazz studieren, das ist alles so falsch und so schlecht find ich, ich hab das ja selbst gemerkt, ich hab es ja lange studiert. Wenn was, das einmal absolut revolutionär war, von irgendwelchen farblosen Dozenten unterrichtet wird und man irgendwelche Wahnsinns-Soli von Wahnsinns-Musikern nachspielen muss, dann ist das irgendwie der falsche Weg. Da kann ja gar kein eigener Jazz mehr entstehen! Aber bei dem Thema wird ich immer so emotional!«
Im Wiener »WUK« präsentierten sich The Notwist vergangenen Herbst gemeinsam mit Roberto Di Giola (Electronics) und einem ungenannten Freund (Gitarre).
»Das hat sich einfach aus Spaß so ergeben« (Micha)
Im Februar werden sie Österreich mit drei Konzerten beehren, vermutlich als Quintett, mit einem noch unbekannten Gast.
21. 2., Steyr (Röda)
22. 2., Wien (Flex)
23. 2., Innsbruck ( Treibhaus)
Webtipps:
www.cityslang.com
www.notwist.com