Zwar ohne Crazy Horse, dafür aber mit einem 100-Kehlen-starken Chor, samt Schlachtentrompete, protestiert der 60-jährige – zum Teil in altbewährter Hippiemanier – lautstark gegen Bush, die westliche Konsumgesellschaft, die Verlogenheit der Politik beim Umgang mit Krieg und Terror (»The Restless Consumer«) und die Rücksichtslosigkeit bzw. Kurzsichtigkeit, mit der die USA seit Jahrzehnten Kriege führen (»Shock And Awe«). Und weil sich Neil Young kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zum Teil hinter die republikanische Linie (er hat den Patriot Act damals lautstark unterstützt)
gestellt hat, ist dieses Aufbegehren nun umso bemerkenswerter. Er protestiert aber auch für die heilende Kraft einer intakten Familienbande (»Families«), nimmt Abschied von gefallenen Freunden (»Roger And Out«) und ist auf der Suche nach einem neuen, starken Leader für ein fehlgeleitetes Amerika (»Looking For A Leader«).
Bei »Let’s Impeach The President« repräsentiert der dutzend-hafte Chorgesang den Demozug auf der Straße. Der Song ist bislang wohl der direkteste (musikalische) Angriff auf Bush, mit Sicherheit aber ist er der offensivste von etablierter, inneramerikanischer Seite.
»Let’s impeach the president for lying and misleading our country into WAR«, heißt es gleich zu Beginn. Im Songmittelteil werden dann wohlbekannte Bush-Zitate geschickt aneinandergereiht: Dass Osama Bin Laden hinter allem stecke, später sei dann doch Saddam der Terroristenförderer Nummer eins, dass Krieg nun der letzte Ausweg sei, weil der Irak ja Massenvernichtungswaffen besitze (ein Colin Powell-Sample), dass man doch keine Massenvernichtungswaffen gefunden habe und dann sagt Bush: »No one can now doubt the word of America«. Ja, genau.
Und Neil Young steigt mit seinen hundert Sängern im Rücken wieder ein: »Lets’s impeach the president for hijacking« (ganz böses Wort an dieser Stelle!) – for hijacking our religion and using it to get elected …«. Jede einzelne Zeile des Songs ist bissig und direkt formuliert. Einmal stellt er zum Beispiel die Frage, ob New Orleans sicherer gewesen wäre, wenn Al Kaida die Dämme in die Luft gejagt hätte. Respekt, Mr. Young!
Vorher rutscht der Musiker absichtlich ins Hypernostalgische ab, als er im Song »Flags Of Freedom« ganz unverschämt »Chimes Of Freedom« von Dylan zitiert, die Zeile »Blowing in the wind« unterbringt, und das Mädchen, dessen Bruder gerade in den Krieg zieht, Bob Dylan anno 1963 zuhören lässt. Und der Schlusspunkt der Platte gehört dann dem patriotischen Chor-Cover von »America The Beautiful«, welches auf dem Album doch etwas deplatziert wirkt, als ob er sagen wolle: Nein, nicht ich bin unpatriotisch, sondern die sind es!
Neil Young gibt Gas, wie schon seit Jahren nicht mehr, schafft rohe, wütende und simple Protestpopsongs, die wie immer in wenigen Tagen aufgenommen wurden, sich im Gehörgang unweigerlich festbohren und junge (amerikanische) Musiker ganz schön alt aussehen lassen. Das Album wirbelt durch seine expliziten Lyrics natürlich einiges an Staub auf. Wer weiß, vielleicht wird das Ganze ja noch »Like A Hurricane« …
Neil Young: »Living With War« (Reprise/Warner)