Datashock © Daniel Fuchs
Datashock © Daniel Fuchs

Trampelpfadfinder

Wir brechen das Schweigen zu randständigen und sperrigeren musikalischen Phänomenen, damit nicht unter den popjournalistischen Tisch fällt, welche Musik in Deutschland jenseits von poplinkem Post-Punk und befindlichkeitsduseligem Diskurs-Pop sonst noch so gemacht wird. Einblicke in eine der unzähligen Nischen.

»Elektronische Musik aus Köln«, so titelt nicht nur eine Compilation auf Soul Jazz aus dem Jahr 2010, die Musik des Kölner Produzentenkollektivs aus den 1980ern versammelt. Derartiges gibt es auch auf der im letzten Jahr erschienenen Zusammenstellung »Noise of Cologne 2« zu hören. Zwischen beiden Veröffentlichungen liegen Welten. Erstere ließe sich als anschlussfähig gemachter Ausdruck zur grassierenden »Retromania « und den zeitweise hysterischen Diskurs um die Frage lesen, wie denn nun mit dem Berg an Popmusik-Geschichte umzugehen sei. Zweitere setzt auf die Gegenwart, ohne die Vergangenheit dabei bloß auszubeuten. Sie stellt lokale musikalische Projekte in den nahe- liegenden historischen Kontext der Stadt (Stockhausen, Can, etc.) und aktualisiert unsentimental eine Traditionslinie, die in den derzeitigen musikalischen Diskussionen allzu oft nur unter verklärender, »retromanischer« Perspektive und deren Lieblingsmedium, dem Reissue, zum Ausdruck kommt.

Symptomatisch dabei: während die Elektronische Musik aus Köln (E.M.A.K.) formschön zu Minimal Wave recycelt wurde, fand »Noise of Cologne 2« weit weniger Beachtung. Um den Bogen über die Stadtgrenzen Kölns hinaus zu spannen, kann auf die zweiteilige Zusammenstellung »Deutsche Elektronische Musik« (Soul Jazz, 2010) verwiesen werden, die Stücke von Tangerine Dream bis Asmus Tietchens versammelt. »Krautrock«, könnte man also sagen, ein Sammelbegriff, der in den letzten Jahren – wohl ebenfalls ein Effekt retromanischer Bewegungen – wieder vom Schimpfwort zur Auszeichnung avancierte.

Aber wie steht es um Projekte aktueller, experimentell-elektronischer Musik aus und in Deutschland? Sieht man einmal von etablierten Acts wie Kreidler oder Mouse on Mars ab, könnte man – nicht zuletzt durch die nur sporadische öffentliche, also popjournalistische Rezeption – dem Eindruck erliegen, dass das weite Feld elektronischer (und meinetwegen »abstrakter«) Musik brach liegt. Labels wie Bureau B pflegen (auch ein Verdienst) den Backkatalog von Pionieren wie Hans-Joachim Roedelius und Conrad Schnitzler, aber tragen so auch zum genannten Eindruck relativer Ödnis und Kanon- bildung bei. Wo man hinguckt: nichts als Archive. Wirklich? Natürlich nicht.


Modulare Meditationen
Bisweilen muss man nur etwas genauer hinschauen oder von der anderen Seite des Atlantiks Ton- träger importieren, wie im Falle des wunderbaren Split-Albums »Modular Anxiety «, das auf jeweils einer Vinylseite den ebenfalls auf »Noise of Cologne 2« vertretenen Nils Quak und den Österreicher Dino Spillutini präsentiert. Erschienen ist es auf dem mexikanischen Label Umor Rex, und der ansonsten eher dem Post-Punk in jeder Hinsicht zugewandte Kollege Frank Apunkt Schneider erkannte im Review zu dieser Platte (skug #98), dass sie »keine Retrobedürfnisse« befriedigt, »typische Sounds vermeidet und die Geräte stattdessen ein Eigenleben entfalten [lässt]«. Allerdings. Analoge Synthesizer-Musik auf der Höhe der Zeit.

Zur Meisterschaft in dieser Disziplin bringt es zweifellos der Stuttgarter Günter Schlienz. Mit Hilfe analoger Synthesizer und einer schier endlosen Geduld zieht Schlienz bis zu dreißig Minuten und länger andauernde Meditationen aus seinen Maschinen heraus. Musik, die wie von fremden Planeten herüberklingt und gleichzeitig ein Gefühl von großer Wärme und Vertrautheit ausstrahlt. Die bislang nur auf Kassetten in Auflagen von bis zu einhundert Stück erschienenen Aufnahmen, die jeweils sofort vergriffen waren, finden erst langsam den Weg ans Licht weniger verschlungener Vertriebs- pfade. So veröffentlichte das australische Label Preservation diesen Juni »Contemplation«; eine CD, die als Debütalbum nur unter Absehung auf das knappe Dutzend der in der Vergangenheit herausgekommenen Kassetten bezeichnet werden könnte.


Spiralen der Erinnerung
Black_To_Comm_by_Renate_Nikolaus1.jpgIn Hamburg wiederum lebt Marc Richter, dessen Plunderphonics/Ambient-Projekt Black To Comm auf internationalen Underground-Labels wie De Stijl, Digitalis oder Type Records veröffentlicht wurde. Auf Type, wo 2009 Richters vielbeachtete Platte »Alphabet 1968« erschien, wird im Spätsommer/Herbst dieses Jahres auch das neue Black To Comm-Doppelalbum herausgebracht. Ein Doppelalbum, das Fieldrecordings, obskure Vokal-Samples und Geräusche unterschiedlichster Herkunft zu einem dichten Noise-Klangteppich im Geiste der verblichenen Yellow Swans verknüpft und in seinen sonnigeren Momenten an die Arbeiten von Fennesz erinnert.

Das ist Musik, die ans subjektiv Unbewusste heranreicht und sich darin ihrer hauntologischen Qualitäten sicher ist, ohne sich akustischer Klischees bedienen zu müssen. Black To Comm klingt, als hätte man schon einmal etwas Ähnliches gehört, früher – aber eben nur fast. Richter, der derzeit als Artist In Residence am Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe arbeitet, unterhält auch das Dekorder- Label, Künstler wie Richard Youngs (siehe Shilla Strelkas Artikel in skug #97), Leyland Kirby aka Caretaker, Keith Fullerton Whitman und Andrew Peckler, sowie Projekte wie Pye Corner Audio, Excepter, Alien Radio, Kemialliset Ystävät oder Ensemble Economique veröffentlicht. Zum zehnjährigen Label-Jubiläum erscheint aktuell eine mehrteilige Serie von 12“- Picture-Vinyls, mit Beiträgen von u. a. Bill Kouligas (PAN-Records) und Experimental Audio Research. Dekorder sowie die hier vorgestellten Musiker schmoren also alles andere als in ihrem eigenen Saft. Im Gegenteil: Sie sind gut vernetzt, nur mit der Wahrnehmung vor ihrer eigenen Haustüre hapert es.

Keine Oase in Sicht?
Ebenfalls auf Dekorder erschien im Mai »Keine Oase in Sicht«, das aktuelle Doppelalbum des saar- ländischen Improvisationskollektivs Datashock. Nahtlos wird dort angeknüpft, wo der Vorgänger »Pyramiden von Gießen« vor drei Jahren endete. Mit Gitarren, Schlagzeug, einer Vielzahl elektro- nischer Geräte und Effekte, Percussionsinstrumenten, einer Geige sowie einer Klarinette erzeugen Datashock auf freier Improvisation beruhende, sich langsam entwickelnde psychedelische Jams, die in ekstatischen Höhepunktenenden. Im elften Jahr ihres Bestehens verweist der eigentümliche Datashock-Sound natürlich auf Vorfahren wie die frühen Pink Floyd, Hawkwind, die Third Ear Band und Yahowa 13, ist aber über das Stadium bloßen Epigonentums längst weit hinaus. Auch können Datashock neben Zeitgenossen und Brüdern im Geiste wie den Sunburned Hand Of The Man, Jackie-O Motherfucker oder der No-Neck Blues Band bestehen.

Und südlich von Saarbrücken sitzen in der schwäbischen Pampa – gut versteckt zwischen Equipment und einer ungezählten Menge Katzen – Metabolismus, der verrückte Haufen, der im letzten Jahr im Vorprogramm von Thurston Moores Chelsea Light Moving durch Deutschland tourte und im ver- schlafenen Indie- Rock-Publikum landauf, landab fragende Gesichter, Unsicherheit und manchmal wohl auch Angst hinterließ: Was ist denn das!?

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Mama Düüls Kinder
All die exemplarisch vorgestellten Projekte haben natürlich ihre Wurzeln, Vorgänger und Traditionen. Eine Vielzahl selten beleuchteter Trampelpfade lässt sich von der Waterkant bis zum Bodensee durchs musikalische Dickicht verfolgen. Angefangen bei Amon Düül, Faust, Karlheinz Stockhausen, Anima Sound und Conrad Schnitzler über Albrecht/D., Asmus Tietchens, P16.D4 und Labels wie DOM Elchklang (Hirsche Nicht Aufs Sofa) hin zu Thomas Köner, Workshop, Metabolismus, Datashock, Günter Schlienz, Black To Comm und all den anderen. Es gibt viel mehr zu entdecken, als dieser Text andeuten kann. Schräge Vögel, schräge Töne. Abenteuerliche, beizeiten vielleicht zunächst etwas schwerer zugängliche Klanglandschaften, ein Niemandsland jenseits weithin verkehrsberuhigter Post-Punk-, Diskurs-Pop- und Deutsch-Pop-Fußgängerzonen.


Auswahldiskographie

Black To Comm: »Providence« Dekorder 2014
Datashock: »Keine Oase in Sicht« Dekorder 2014
Nils Quak/Dino Spiluttini: »Modular Anxiety« Umor Rex 2014
Günter Schlienz: »Contemplation« Preservation 2014
V.A.: »Noise Of Cologne 2« Mark e.V. 2013

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