Johanna Moder © Lukas Moder
Johanna Moder © Lukas Moder

Das Grauen von Innen

»Mother’s Baby« zeigt Mutterschaft dort, wo sie selten erzählt wird: zwischen Angst, Intuition und gesellschaftlichem Druck. Johanna Moder spricht über das Unheimliche im Alltäglichen, das Schweigen rund um Geburtserlebnisse und warum dieser Film wehtun muss.

»Mother’s Baby« ist ein Film, der sich nicht brav an Regeln hält. Statt Mutterschaft weichzuzeichnen, legt Johanna Moder den Finger genau dorthin, wo es weh tut: auf die Angst, den Druck, den Kontrollverlust, das Gefühl, im größten Moment des Lebens plötzlich allein im eigenen Körper zu stehen. In einer Atmosphäre, die sich langsam wie ein unsichtbares Gewicht auf die Brust legt, verwandelt Moder den Kreißsaal in einen Ort des Unheimlichen – und die Intuition einer Mutter in die stärkste Kraft des Films. Zwischen nervöser Beklemmung, leisen Horroranleihen und einer Protagonistin, die gegen ein ganzes System von Zuschreibungen ankämpft, entsteht ein Werk, das weit über den Genrefilm hinausweist. Über diese Entscheidungen, die Grauzonen der Mutterschaft und den Mut, das Unaussprechliche sichtbar zu machen, erzählt Regisseurin Johanna Moder im Interview mit skug. 

skug: »Mother’s Baby« erzählt vom Mutterwerden als Zustand zwischen Glück, Kontrollverlust und stillem Grauen. Was hat Sie dazu bewegt, diesen Moment filmisch nicht als Höhepunkt, sondern als Ausnahmezustand zu zeigen?

Johanna Moder: Weil ich es ähnlich empfunden habe. Und mit mir viele andere Frauen auch, was aber in der öffentlichen Debatte überhaupt nicht präsent ist. Dort ist ein ungutes, schreckliches Geburtserlebnis eine unglückliche Ausnahme. Dabei kommt es viel häufiger vor, als man glaubt. Ich glaube, dass mehr Offenheit in diesem Kontext für uns alle heilsamer wäre.

Viele Filme romantisieren Geburt, blenden sie aus oder zeigen sie exploitativ. Wie sind Sie an diese körperliche und emotionale Darstellung herangegangen?

Zum einen liegt dies natürlich in 100 Jahren Kino aus vornehmlich männlicher Perspektive begründet – also ein Mangel an tatsächlicher Erfahrung oder gar der entsprechenden Neugier. Mutterschaft und Kinderkriegen ist ein wichtiger demographischer Aspekt, ein wirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Faktor. Da wäre eine realistische Darstellung dessen, worauf eine Frau sich dort einlässt, sicher kontraproduktiv. Mir war es wichtig, trotz der Verkürzung – da man im Kino schwer eine mehrstündige Geburt zeigen kann – eine möglichst authentische Umsetzung zu erreichen. Filmisch haben wir uns daher für die Inszenierung als Plansequenz entschieden.

Julia (Marie Leuenberger) wird als Dirigentin gezeigt – eine Frau, die gewohnt ist, Kontrolle zu haben. Wie verändert sich ihr Verhältnis zu Macht, Körper und Realität, sobald sie Mutter wird?

Julia ist eine Frau, die eigentlich alles hat – Selbstverwirklichung im Job, eine gute Beziehung, eine schöne Wohnung –, die aber jene Leerstelle Kinderwunsch spürt. Sobald das Kind auf der Welt ist, wird sie in erster Linie und vor allem als Mutter definiert, selbst von ihrem Partner, während sie sich selbst natürlich weiterhin als Musikerin und Künstlerin, als Partnerin und erfolgreiche Frau definiert. Der wachsende Zweifel an ihrer Qualität als Mutter stellt ihren Charakter und schließlich sie ganz als Mensch in Frage.

Das Unheimliche in »Mother’s Baby« kommt nicht von außen, sondern aus der Psyche und Intuition der Hauptfigur. Wie verstehen Sie diese Intuition? Und was sagt es über unsere Gesellschaft, dass Frauen gerade in ihrer Intuition so oft Gaslighting erfahren?

Das Problem ist, dass das Emotionale oder Intuitive nach wie vor häufig abgewertet wird – sowohl bei Männern als auch bei Frauen, aber Frauen werden diese Attribute vermehrt zugeschrieben. Man disqualifiziert sie dann mit Rationalität und gibt ihnen das Gefühl, dass sie verrückt sind, hysterisch oder unerwachsen. Als Frau beginnt man dann, die eigenen Gedanken und Gefühle zu hinterfragen, wird unsicherer in der eigenen Meinung und kommt von der inneren Spur ab. Ich weiß nicht, ob das bereits in der Erziehung beginnt, aber es ist nach wie vor ein gängiger Weg. Mir scheint, wir Frauen müssen in Bezug auf Selbstbehauptung im Erwachsenenalter einiges leidvoll dazulernen.

Ihr Film zeigt, wie schnell Mütter pathologisiert werden, sobald sie nicht »funktionieren«. Gleichzeitig ist die postnatale Depression – von der rund zehn bis fünfzehn Prozent aller Mütter betroffen sind – eine häufige, aber immer noch stark tabuisierte Folge der Geburt. Warum fällt es uns als Gesellschaft so schwer, Ambivalenz in der Mutterschaft auszuhalten?

Es ist ähnlich wie mit dem schwierigen Geburtserlebnis. Wenn offenkundig wäre, wie häufig die postpartale Depression ist, würden viele Frauen vielleicht ihren Kinderwunsch stärker hinterfragen, was wirtschaftlich gesehen nicht im Interesse der Gesellschaft ist. Wenn es jedoch stärker Teil der Debatte wäre, wäre auch die Behandlung, die nötige Unterstützung, die die junge Mutter in jener Zeit braucht, tiefer im Wissen der Partner, Freunde und Familien verankert.

Die Kombination aus psychologischem Realismus und Genreästhetik verleiht dem Film eine besondere Spannung. Welche Rolle spielt das Horrormotiv für Sie?

Ich bin selbst keine passionierte Horrorfilm-Konsumentin. Der Geschichte wohnt aber grundsätzlich ein Horror inne, weswegen dies auch zwangsläufig bei der Umsetzung eine Rolle spielen musste. Auch eignet sich Genre im Allgemeinen und der Horrorfilm im Besonderen dazu, als Vehikel oder gar trojanisches Pferd gesellschaftlich relevante Themen zu verhandeln.

Am Ende scheint Julia recht zu behalten – doch dann ein Schnitt: Sie steht wieder am Dirigentenpult, als wäre nichts geschehen. Warum haben Sie sich für dieses offene, fast zirkuläre Ende entschieden?

Es gibt verschiedene Interpretationen der Geschichte und gerade des Endes. Ich habe meine eigene, mein Co-Autor zum Beispiel eine andere. Eine Deutung, die ich zuletzt vermehrt gehört habe: Die ganze Handlung ist nie wirklich passiert, sondern einzig etwas, das Julia sich ersponnen hat, um den »Erlkönig« entsprechend wahrhaftig dirigieren zu können. Nicht meine Interpretation, aber dennoch eine charmante.

Wenn Zuschauerinnen nach dem Film etwas mitnehmen sollen – vielleicht ein Gefühl, das sie sonst nie laut aussprechen würden – was wünschen Sie sich, dass »Mother’s Baby« in ihnen auslöst?

Ich wünsche mir, dass wir uns offener über unsere Geburtserlebnisse austauschen (oder für die männlichen Zuschauer: mehr Neugier nach den Erlebnissen ihrer Mütter, Schwestern, Töchter und Partnerinnen). Genau das ist häufig nach Vorstellungen, bei denen ich anwesend war, passiert. Insofern wünsche ich mir natürlich, dass so viele Menschen wie möglich diesen Film sehen und so eine gesellschaftliche Debatte angestoßen wird.

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen