Im Schlachthof St. Marx wurden früher Tiere im großindustriellen Stil geschlachtet. Ende der 1990er-Jahre wurden die Hekatomben ausgelagert und die Hallen standen leer. Die Lage des Schlachthofs ist nicht unbedingt heiß am Immobilienmarkt. Man befindet sich de facto unterhalb einer Autobahnbrücke. Also sagte die Stadt: »Send in the clowns!« Kulturinitiativen durften somit ihren Kram machen und der Stadt war es weitgehend wurscht. So etwas kann übrigens gut für eine Stadt sein. Nicht-Planen führt zu überraschend guten Lösungen (die deswegen so gute »Lösungen« sind, weil sie keine sind, also keine dauerhaften).
Gerade hat skug-Autor Drehli Robnik gemeinsam mit der Architektin Gabu Heindl das Buch »Nonsolution: Zur Politik der aktiven Nichtlösung im Planen und Bauen« vorgelegt, in dem dieses Phänomen ein wenig durchtheoretisiert wird. Was die Zwischennutzung praktisch für Wien bedeutete? Ein riesiges Schlachthausareal lag brach und durfte lustvoll genutzt werden. Theatergruppen spielten beispielsweise eine Orestie inmitten der Labyrinth-Gestänge, durch die früher die Tiere vor ihrem finalen Kopfschuss durchgetrieben wurden. Jede*r kennt diese Labyrinth-Wege aus Vergnügungsparks und vor großen Rockkonzerten. Mit den mit Stahlrohr umwandeten Wegen können gut Massen kontrolliert werden. Sehr symbolisch. Die Schauspieler*innen mussten damals ihre zweieinhalb Jahrtausende alten Tragödientexte gegen den Lärm der Autobahn in die Nacht hinaus brüllen. Ebenso eindrucksvoll symbolisch.
Wien braucht sein heißes Cluster
Irgendwann entstanden dann wieder Begehrlichkeiten. Es musste also was her mit »Innovation«. Viel von der undefinierten Brache wurde also mit mehr oder minder geglückter Großkonzernarchitektur zubetoniert. Wobei dem »T-Center« des Deutschen Telekommunikationsriesen zumindest zugutegehalten werden muss, dass es eine kurios ambitionierte Note hat, die oftmals in den Neubauten Wiens wegrationalisiert wird. So richtig kam die Sache dann doch nicht in Fahrt. Auch typisch für Wien. Es bedarf großen ökonomischen Genies, um erklären zu können, warum gewinnorientierte Unternehmen in Wien nur dann Gewinne machen können, wenn sie zunächst mit hunderten Millionen subventioniert werden. Was immer die Gründe dafür sein mögen, den Unternehmen scheint es recht zu sein und sie zieren sich deshalb so lange, bis die Stadt den Rubel rollen lässt. Gerade der 3. Bezirk ist reich an Beispielen dafür. skug hat dem sogar schon einen eigenen Salon gewidmet, siehe »Die Stadt als Beute«. Die aktuelle Stadtplanung ist durchaus als give and take zwischen Gemeinwesen und Investor*innen zu verstehen. Das Rathaus rühmt sich selbst nicht grundlos, dass es immer wieder Konzerne dazu verpflichten kann, ein bisschen was abzugeben. In Wohnbauprojekten sind dann zwischen absurd lächerlich teuren Wohnungen ein paar nur lächerlich teure Wohnungen eingestreut und dergleichen mehr.
Nachdem der alte Schlachthof also kein echtes Science-Cluster wurde und das Silicon Valley sich doch nicht entschied, von der Küste Kaliforniens unter die Wiener Autobahnbrücke zu ziehen, musste die Sache mit der Kunst und Kultur ernster genommen werden. 2009 gab es sogar mal die Idee, den ORF in den Dritten zu verpflanzen, wozu ein herzliches »Danke, aber nein danke!« vom Küniglberg herunterschallte. Also blieb es lauwarm im Areal. Es gelang zwar, ein Media Quarter Marx zu etablieren sowie das Vienna Bio Center und das sind durchaus Erfolge, hinter denen sicherlich viel Mühe steckt. Sie passen aber nicht ganz zusammen mit der Größe und Bedeutung der Stadt Wien, die eigentlich Institutionen dieser Art mühelos an sich binden können müsste. Nur, wenn man einmal angefangen hat mit dem Subventionieren, dann ist es halt schwer, wieder aufzuhören. So wachsen Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Medien irgendwann ineinander. Wie das baulich aussieht? Einfach mal zur S-Bahnstation St. Marx fahren. Die schön gestaltete, aber vermutlich zu den am wenigsten genutzten zählende S-Bahnstation lädt ein, das Areal mal abzulatschen. Ruhig dort. Wie so Retortenstadtareale eben wirken in Vienna. Da muss also mehr Pep rein, hat sich wer im Rathaus gedacht. Gesagt, getan.
Vielleicht geht’s mit Music?
Jetzt darf sich auch die internationale Musikverwertungsmaschinerie freuen, die alle skug-Leser*innen ja so unendlich mögen. Die Stadt bekommt auf dem Areal eine absolute Super-Duper-Halle, dass einem die Kinnlade auf die Fußspitzen fällt. Die Stadtoberen sagen, das brauchen wir, um im internationalen Wettbewerb mit Hamburg und München zu bestehen. Das ist übrigens ein Wettbewerb um Flugreisende (Schöne Grüße ans Klima!), die einfach mal Bock haben, ins Flugzeug zu steigen, um ihr Handy in die Luft zu halten, wenn Adele, Coldplay oder Taylor Swift singen. Die Stadt benötigt das touristisch allein deshalb, weil man gegenüber anderen Städten Fußball-Brache ist. Mit Champions League kann nämlich das gleiche Marktsegment bedient werden. Solche Spiele finden aber aus Gründen in Wien nicht statt.
Seitdem die Musik mehr oder weniger kostenlos im Internet abrufbar ist, hat sich der Musikveranstaltungszirkus gewandelt. Geld steckt jetzt fast nur mehr im Event. Die Shows einiger weniger Superstars sind deshalb so groß geworden, dass im Grunde ein ganzes Las-Vegas-Casino mitgeschleppt wird. Die Anforderungen an die Hallen sind folglich derart exorbitant geworden, dass die alte Wiener Stadthalle – trotz aufwendiger Sanierung – das vermutlich wirklich nicht mehr bieten kann. Das ist in den Maßgaben des Kapitalismus beim Veranstalten von Events genauso wie beim Bauen von Häusern: Wenn investmentstarke Konzerne an einem Ort fordern können, was an einem anderen eine Stadt nicht mehr liefern kann, dann wird diese tatsächlich »abgehängt«. They call it »Wettbewerb«. Die Stadtregierung hat hier einen nur schwer zu widerlegenden Punkt. Wenn Wien nicht die Forderungen befriedigt, dann düsen die Stars vermutlich einfach per Privatjet weiter und die Stadt fällt um Nächtigungen und Restaurantbesuche um (genannt Umwegrentabilität). Eines Tages wird Wien dann so vergessen sein wie Aischylos oder Sophokles und nur mehr einem Fachpublikum bekannt. Die schwören allerdings drauf.
St. Marx für alle?
Nun, das wird das Wiener Rathaus zu verhindern wissen. Blöd ist, dass die Zeit des Nicht-Planens und der Brache in Wien St. Marx so schön von der Bevölkerung genutzt wurde. Man baute sich einen Basketballplatz, Zirkusvorstellungen fanden statt, Konzerte, Feuerwerke (eines stammte von einem Talkgast des Salon skug) und vieles mehr. Das wird es bald nicht mehr geben, denn jetzt soll alles in Investment-Beton gegossen werden. Seine Kreativität darf man dann vor dem Smartphone ausleben. Wieder wird ein Gestaltungsraum in the real world den Konzernen überantwortet, in diesem Fall dem von CTS Eventim. (Eventim ist die milliardenschwere Traumkombination von Immobilienmogul und Großkonzertveranstalter – welchem Teil dieses Mischkonzerns, der Marktkonzentration knallig bunt macht, gebührt mehr aufrichtige Bewunderung?) Das Stadtareal wird mit der neuen Riesenhalle nicht mehr öffentlich zugänglich sein und für ein Bier bezahlen die (weitgereisten) Endverbraucher*innen dann 12 Euro, weil der Konzern schließlich seine Investition reinholen muss, die ihm zuvor von der Stadt Wien als Subvention (man spricht von 150 Millionen Euro) gewährleistet wurden. Wie das heute eben so ist. Der Widerstand wurde allerdings noch nicht ganz ausgedämpft: »Wir sind St. Marx für Alle!«, eine Gruppe von Nachbar*innen, macht mobil zum Erhalt der Freifläche und zum Erhalt der bisherigen Zwischennutzungen. Ihnen ist Erfolg zu wünschen. Die Investor*innen haben jederzeit das Ohr der Stadt Wien, die kleinen müssen hingegen tüchtig Lärm machen, um gehört zu werden und das zu sagen was einfach stimmt: Der Stadtraum sollte allen gehören.
Link: https://stmarx.wien/