30 Sekunden High und Kopfschmerzen im Anschluss. So beschreibt Amy Taylor sowohl die Wirkung der Partydroge Amylnitrit als auch den Sound von Amyl and the Sniffers. Ein Vergleich, der zwar nachvollziehbar, für die australische Punkrock-Band aber doch etwas zu pessimistisch ist – das High, das ihre Musik auslöst, hält nämlich deutlich länger als 30 Sekunden an. Die Frontfrau und Leadsängerin steckt ihre Zuhörer*innenschaft mühelos mit ihrer pulsierenden Energie an und zaubert ihr ein ebenso breites Grinsen ins Gesicht, wie sie es selbst stets trägt. Aus ihrer zierlichen Statur heraus schöpft sie eine kraftvoll-rotzige Stimme, eine ausdauernde Bühnenpräsenz und klare Kante gegen alles, was ihr stinkt. Darunter Männer, die sie herumkommandieren wollen, Umweltverpestung, Ungerechtigkeit und Korruption. Was Punks halt so stinkt.
Amy und ihre drei Bandkollegen legen sich mit ihrer Haltung aber nicht in gemachte Betten; erzählen in ihrer Musik nicht bloß stumpfe Wiederholungen, sondern stechen heraus mit ihrer Art. Das wundervolle Matriarchat unter Amy Taylor funktioniert harmonisch und liebenswürdig, diszipliniert und progressiv. Seit der Gründung im Jahr 2016 produzieren sie schlagkräftige Werke, die sowohl Fans als auch Kritiker*innen begeistern. Sie waren unter anderem als Support für King Gizzard & the Lizard Wizard oder The Strokes unterwegs, bis sie mit ihrem zweiten Album »Comfort to Me« den zweiten Platz der australischen Charts erreichten und mittlerweile selbst große Hallen füllen.
Still pigs after all
Ihr neuestes Album, »Cartoon Darkness« erschien am 25. Oktober 2024 auf Rough Trade Records. Es wurde in Dave Grohls Studio 606 aufgenommen und von Nick Launay, der schon mit Lou Reed, Kate Bush und Nick Cave zusammengearbeitet hat, produziert. Viele große Namen, die irgendwem sicher irgendwas bedeuten. Der vermeintliche Glamour, der sich in Amyl and the Sniffers’ Karriere geschlichen hat, ist dem Album jedoch anzumerken. Es beginnt, verglichen mit früheren Releases, recht behaglich. Der erste Song trägt den Titel »Jerkin’« und spiegelt die HipHop-Einflüsse Taylors wider, die den Strophen einen markanten Flow versetzen. »Chewing Gum« und »Tiny Bikini« klingen frech und verspielt, während »Big Dreams« aus dem Bauch heraus gesungen wird, mit tieferer, eindringlicher Stimmfarbe. Es verbindet Western-Elemente mit herzerwärmenden Erinnerungen an Hole und Courtney Love.
Nach den ersten vier Titeln kommt man langsam ins Grübeln, ob dieser Band dasselbe Schicksal zuteilwird wie so vielen Punk-Bands, die mit der Zeit lernen, ihre Instrumente zu beherrschen. Sie klingen glatter, poppiger, massentauglicher. Das muss per se nichts Schlechtes sein. Es ist eine schlichte Entwicklung, ein Ausprobieren und Entfalten. Wer aber festhalten mag am Presslufthammersound, kann ab »It’s Mine« aufatmen. Es läutet einen ungezügelten Mittelteil auf »Cartoon Darkness« ein, handelt von Konsumkritik und ungerechter Verteilung und wird von verzerrten E-Gitarren und rapiden Highheads dominiert. »Motorbike Song« prescht nicht weniger angriffslustig voran. Der Gitarrist Declan Martens tobt sich darauf mit beeindruckenden Solos aus, die einen von Vollgas auf menschenleeren Highways träumen lassen. Diese rücksichtslose Energie behalten sich Amyl and the Sniffers auch noch über »Doing in me head« und »Pigs« bei.
»Bailing on me« kündigt wiederum ein abwechslungsreicheres Ende an. Es ist ein Lied über gescheiterte Liebe, das sich ungezwungen und ironisch im Brustkorb einnistet. Ein ruhiger Moment auf dem Album, der zwar weniger bedeutungsschwer aufgezogen wird, durch seinen subtilen Charakter aber ungeahnte Wirkung erzielt. Auf den darauffolgenden Songs wechseln sich rasante Rhythmen mit bedächtigen Melodien ab, werden Texte mal gekrächzt, mal verschmitzt gesungen. Den Abschluss findet das Album mit »Me and the Girls«, dessen Strophen ähnlich Rap-tauglich gesungen werden wie auf »Jerkin’« und die Experimentierfreude von »Cartoon Darkness« am deutlichsten abbildet.
Das dritte Album einer Band, die sich bisher in bestimmten Nischen bewiesen hat, holt sie aus diesen hervor und öffnet sie für ein breiteres Publikum. In einem Interview sagten Taylor und Martens selber, dass es etwas oberflächlicher geworden ist, die Texte weniger persönlich, sondern eher als Reaktion auf ihre Umgebung und deren Missstände entstanden sind. Es fühlt sich nicht an wie ein Meilenstein, eher wie ein Zwischenstopp, doch diese sind nicht zu unterschätzen in der Entwicklung einer Band. Manchmal verbreiten sie ihren Zauber eben erst nach einer Weile.
Player: https://amylandthesniffers.bandcamp.com/album/cartoon-darkness