© Katarina Tubonjic
© Katarina Tubonjic

Abend der Extreme

Am 29. September 2024 gab es in der Brunnenpassage das Salon skug: BAM! Wahlspecial zur Nationalratswahl. Hier ein Nach- und Lagebericht dazu und eine Vorschau aufs nächste Wahlspecial, USA Edition, am 6. November 2024.

Happy Halloween allseits! Die gruseligen Zeiten wollen zelebriert werden und in Österreich wird die Nacht der lebenden Toten traditionell bereits am 26. Oktober gefeiert, mit Truppenparaden und Durchhalteparolen. Dieses Jahr ist es besonders gruselig, weil am 29. September die Nationalratswahlen stattfanden, und jetzt haben alle das Gefühl, sie stehen vor einer einsamen Hütte am dunklen Waldrand. »Nein, nein«, ruft das Publikum, »bloß nicht allein in den Keller und dem schmatzenden Geräusch nachgehen. Rennt davon! Holt Hilfe!« Aber da ist es schon passiert. Die schwere Eichentür fällt krachend ins Schloss und jetzt ist es zappenduster im dunklen Kellergewölbe …

Es sei schließlich Usance im Parlament, der stimmenstärksten Partei den absolut unkündbaren Ersten Nationalratspräsidenten (wegen der Selbstabschaffung 1933 hielt man diese Absicherung des Postens für nötig) zu geben und so wurde es ein gewisser Herr Rosenkranz. Rosenkranz und FPÖ – einfach mal googeln – sind ein Garant für echten Grusel. Nicht alle Rosenkränze sind miteinander verwandt, aber die Wortfelder deutschnational, rechtsextrem und Identitäre (»erfrischende Jugendbewegung«) machen sie zu einem gemeinsamen Horror-Mix. Jetzt lädt der frischgebackene Nationalratspräsident Walter Rosenkranz Viktor Orbán zum Kaffeeklatsch und lässt sich erklären, warum Demokratie ein Auslaufmodell ist und man alles besser von Oligarchen regeln lässt. Der Rest ist Zähneklappern. 

Wie geht es weiter, Austria?

Der 29. September 2024 verlief überraschend eindeutig. Wer am frühen Abend zum Salon skug: BAM! Wahlspecial in die Brunnenpassage kam, tat dies mit unguten Vorahnungen. Dass es so eindeutig werden würde, hat dann aber doch überrascht. Die Freiheitlichen haben die im Jahr 1999 prognostizierte gläserne Decke gesprengt und wurden erstmal stimmenstärkste Fraktion im Nationalrat mit fast 29 Prozent der Stimmen. Die Hochwasserkatastrophe (auf die die FPÖ nicht einmal versucht, eine Antwort zu haben) schadete nicht, ebenso wenig das einhellige Warnen vor Spitzenkandidat Herbert Kickl. Die SPÖ hat sich erfolgreich die eigene Grassroots-Bewegung kaputt gequengelt, die durch die Wahl des linken Außenseiters Andi Babler als zartes Pflänzchen entstanden war, weil einige im Kampf um die Mitte mit einer »vernünftigen« FPÖ-Imitation punkten wollen. Das rechtsautoritäre Lager der Sozialdemokratie warf deshalb der Parteilinken jeden verfügbaren Knüppel zwischen die Beine. Erfolg: Schlechtestes Ergebnis ever, trotzdem ein Mandat mehr – D’Hondt sei Dank.

Wer sich Hoffnung gemacht hatte, die KPÖ würde den Wiedereinzug schaffen, musste an dem Abend sehen, wie weit die in diesem Bereich kreuzschlechten Wahlprognosen (zwischen 4 und 5 Prozent) von der Abstimmungsrealität (2,39 Prozent) entfernt lagen. Die Grünen verstehen zu Recht und zu Unrecht die Welt nicht mehr. Ihre Weltverbesserung von oben herab, die sie gemeinsam mit dem ideologischen Feind ÖVP in Spurenelementen durchgesetzt hatten, wurde abgestraft. Nur ist ihre Sorge um Land und Klima in einer Weise berechtigt, dass es gruselig ist, zu sehen, wie wenig dies bei der Wahlauseinandersetzung zog. Die Konservativen waren mit sich im Reinen. Das Wunderwuzzi-Ergebnis von Kurz war ohnehin nicht wiederholbar und so weit vor den Roten zu liegen, tat sichtlich gut. Die Haselsteiner-Jünger (NEOS) legten sogar zu und man darf konstatieren, für 9 Prozent des Elektorates sind hohle gesellschaftspolitische Versprechen wählbar, die mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik ja doch nie durchgesetzt werden können. So weit, so schrecklich.

Was jetzt kommt, wird spannend. Kanzler Karl Nehammer kann nicht hinter Kickl die Zwei machen, weil er dann die Zwei wäre. Jahrzehnte großer Koalition mit der SPÖ haben gezeigt, wie unbefriedigend sich das anfühlt. Außerdem hat die Volkspartei Kickl als Innenminister erlebt und weiß besser als die teilweise im Dunklen tappende Öffentlichkeit, wie absolut furchterregend der Möchtegern-Volkskanzler agiert hat. Die Stürmung des Verfassungsschutzes hinterließ bei den verbliebenen bürgerlichen Antifaschisten in der ÖVP ein mulmiges Gefühl. Mit dem Kickl geht es wirklich nicht. Derweil sieht die FPÖ jede Kritik an ihr und ihrem Gebärden als ein Zeichen für den anwachsenden »Extremismus«. Die eigenen Extreme (willkürliches Beispiel: Hass auf Moslems) als normal zu verkaufen, ist eine altbekannte Strategie, die leider zieht. Der Rechtsruck ist Austria unters sexy Dirndl gerutscht. Das Land wurde in den letzten Jahren tatsächlich dramatisch konservativer, ist weniger weltoffen und voller falscher Zukunftsängste (»Überfremdung«, »Genderwahn« und irgendwas mit Viren). Jetzt wird man also eine Dreierkoalition machen aus ÖVP, SPÖ und NEOS und dabei versuchen müssen mit der x-ten Liberalisierungswelle jene spürbaren Verbesserungen zu erreichen, die bisher hartnäckig ausblieben. Spannend wird, wie die SPÖ das aushält, die sehr wohl in der Lage ist, Probleme zu beschreiben, aber für einen Ausbau des Sozialstaates oder gar für Vergesellschaftungen im Kampf gegen die Klimakatastrophe keine Unterstützung an der Wahlurne fand. Die Wähler*innen wollen nicht glauben, dass es soziale Verbesserungen geben könnte. Uhuhuhuh! Unglaublich, aber so steht es hier geschrieben. 

Was können wir tun?

Jetzt müssen uns aber noch nicht gleich alle Zähne aus dem Pumpkin-Grinsen fallen. Denn das war nicht aller Tage Abend. Es geht nämlich noch weiter. Das Motto der BAM! Wahlspecials lautet bekanntlich: »Wir lassen euch mit den Wahlergebnissen nicht allein«, und das lief am 29. September eigentlich ganz gut. Großen Dank an alle Beteiligten, die mitgeholfen haben, zu kommentieren! Die ganze Version kann hier nachgehört werden, für alle die sich noch mal so richtig gruseln, aber doch ein Quäntchen Hoffnung abholen möchten, denn auch »wenn die ganze Welt den Arsch offen hat« (Konstantin Wecker), lohnt es sich trotzdem, weiterzukämpfen, und man ist damit sicher nicht allein. 

SOS Mitmensch zeigte mit der Pass Egal Wahl auf, wie viel Potenzial und Bereitschaft für eine echte und umfassendere Demokratie in Österreich besteht, und SOS Balkanroute, dass hinter den zu bekämpfenden Asylzahlen Menschen stecken. »Südwind« wies darauf hin, dass es einen globalen Süden gibt und sich junge Menschen sehr wohl für globale Gerechtigkeit begeistern lassen. Der »Augustin« erinnerte daran, dass Armutsgefährdung ein Kondensationspunkt für nahezu alle aktuellen Krisen ist und viel mehr beachtet werden sollte. Radio Orange 94.0 sprach sich dafür aus, wie wichtig gerade jetzt Community-Radio ist, »Unter Palmen« postulierte, warum Utopien nie ganz abgeschrieben sind, und die »MALMOE« zeigte schlau auf, dass der Kampf gegen den Faschismus was mit Pilzen zu tun hat – bitte jeweils vor Ort nachlesen.

Abschließend ergriff Kid Pex das Mikro und rappte der Gemeinde Mut zu für die kommenden Aufgaben. Danke für den feinen Auftritt gemeinsam mit DJ King nach längerer Live-Pause. Kid Pex steht wie kaum ein zweiter für Haltung hinter den Rhymes und dafür, dass in Austria nicht alles so ins Schneckenhaus eingedreht ist und nur über eigene Befindlichkeiten rätselt. Besser geht es einem erst, wenn man die Muschelschale durchbricht und sich den Sorgen und Nöten anderer zuwendet. Solidarität mit Unterdrückten kann sich zur Superpower auswachsen und den Rhythmus geben, den wir alle in den nächsten Jahren brauchen, die sicher nicht easy werden.

USA! USA!

Speaking of nächste Jahre. Nach der Wahl ist bekanntlich vor der Wahl und das Vorbild für Österreichs beliebteste Halloween-Maske will sich am 5. November 2024 (wieder) zum Präsidenten der USA wählen lassen. Wenn das gelingt, tanzen die Orbáns, Putins und Netanyahus dieser Welt täglich ihren Rosenkranz. Die hoffen nämlich ganz, ganz fest darauf, dass Trump wieder an die Macht kommt und nochmals schön eskaliert, was Abschaffung der Menschenrechte und Zerstörung der Natur betrifft. Nun gut, im Moment liegt Kamala Harris mit dem bekannten Demokratischen Programm »Ich werde euch sicher nichts versprechen« hauchzart in Führung. Eine Führung die sie allein aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Hautfarbe in den Swing States leicht einbüßen könnte. Diejenigen, die jetzt sagen, »Oh Mann, bei solchen News kann man überhaupt nicht mehr schlafen«, denen ruft skug fröhlich zu: »Ideal, wir hören uns in der Nacht vom 5. auf den 6. November, von 01:00 bis 04:00 Uhr beim Salon skug: BAM! Wahlspecial USA Edition! Nähere Infos demnächst auf diesem Kanal!«

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