© Frank Jödicke
© Frank Jödicke

Nationalratswahlkampf 2024

Der Wahlkampf geht zu Ende. Zwischen Polarisieren, Anpatzen, Rechtbehalten, Warnen und Zuversicht Simulieren war kein Platz für Sachpolitik. Beim BAM! Wahlspecial versucht skug gemeinsam mit weiteren Medien und Akteur*innen der Zivilgesellschaft wieder ein wenig Realitätsbezug herzustellen.

Ein bemerkenswertes und vielbemühtes Wort des Wahlkampfs war »alt«. Die jeweils andere Partei hat »alte« Ideen, während die eigenen selbstverständlich neu und frisch sind und endlich jenen Aufbruch ermöglichen, den die anderen seit Jahren verhindern. Damit gräbt sich die Veranstaltung parlamentarischer Demokratie allerdings als Ganzes ein wenig das Wasser ab. Beim Publikum bleibt hängen, es sei sowieso alles bereits dagewesen und hat nicht funktioniert. Warum sollten die »neuen« Vorschläge, die der politische Gegner schon längst für »alt« hält, plötzlich fruchten? Es schleicht sich somit der Eindruck ein, es sei ohnehin alles verbraucht und bald sehen wir alle alt aus. Ein ähnlicher Effekt stellt sich beim Vorwerfen der Vergehen und Fehler des politischen Gegners ein. Die Parteien können einander wirklich so richtig viel vorwerfen und bemerken dabei nicht, wie sie sich das Grab allgemeinen Vertrauensverlusts schaufeln. 

Die Überzeugungsarbeit der Wahlwerbung ist nicht immer von Manipulation zu unterscheiden. Die Wahlbevölkerung riecht den Braten, der auf einem Wahlplakat in der Comic-Metropole Entenhausen sehr schön zum Ausdruck kommt: »Sie haben die Wahl, die wir gewinnen!« steht über einer Gruppe entenschnäbliger und schweinsschnäuziger Politiker*innen zu lesen und so empfinden es wohl auch viele österreichische Wähler*innen. Sie werden mit ihrem Wahlkreuz jemandes Karriere befördern und nehmen kaum an, dass die oder der je etwas für sie tun wird. Ein Politiker spricht dies sogar, indirekt zwar, aber doch sehr klar aus. FPÖ-Spitzenkandidat Herbert Kickl lässt plakatieren: »Ihr seid der Chef – ich bin euer Werkzeug.« Den meisten dürfte bewusst sein, dass das genaue Gegenteil gemeint ist. Leider wird genau dies – den Umfragen nach – zum Erfolg führen. Am flexibelsten ist die Politik, die keine konkreten Ansagen mehr macht und den vollen Spielraum der situativen Drehung nutzt. Man sagt auf einer oberflächigen Ebene allen, was sie hören wollen (»Du bist der Boss!«), bleibt aber in der konkreten Politik so vage, dass niemandem aufs Füßchen getreten wird. Ansonsten reden alle von »Sicherheit«, »Zuversicht«, »Herz und Hirn«, »5 Gute Jahre« oder bieten aus programmatischer Verzweiflung gleich Beckenbodentraining an: »Die Mitte stärken«. Geht’s noch? Haben alle nur mehr gefühlige Sprüchlein im Programm? 

Wie wäre es mit Bezug zur Wirklichkeit?

Wenn letztlich der effektvollste Auftritt entscheidet und weite Teile des Elektorats gar nicht mehr glauben, gehört zu werden, dann werden zwei Kräfte mächtig: die Polarisierung und eine Abwendung von der – machen wir es mal groß! – empirischen Realität. Nur wenn man sich auf letztere verpflichtet, nämlich darauf, dass es tatsächliche, faktische Probleme gibt, die gelöst werden sollten und die vermutlich nur gemeinsam gelöst werden können, gibt es politisch etwas zu verhandeln. Konkret wären dies der schwindende soziale Zusammenhalt und die immer stärkeren Auswirkungen der Klimakatastrophe. Wenn der Bezug zu faktischen Problemen gar nicht mehr gesucht wird, dann gibt es nur mehr »wir gegen die«. Dann kann auch nicht mehr authentisch vertreten werden, dass der ganze Witz im Parlamentarismus der Kompromiss ist und dass der auch eingehalten werden sollte, wenn man sich selbst im Besitz der besseren Argumente wähnt. Wenn der Bezug zum ausgehandelten Kompromiss verloren ist, der auf der Grundlage einer gemeinsamen Wirklichkeitsinterpretation geschlossen wurde, dann fühlt sich alles wie Niederlage an, solange der politische Gegner nicht heulend und wehklagend am Boden liegt.

Was folgt, sind Wut, Gehässigkeit und Motschkerei oder die kuriose Überkompensation vieler Wahlplakate, die nur mehr Zuversicht, eine richtig gute Zeit und Aufbruch in grenzenlos Geil versprechen. Das Schüren von Ängsten und haltlose Versprechen sind übrigens zwei Seiten ein und derselben Medaille. Beides wendet sich von der Auseinandersetzung mit faktischen Schwierigkeiten ab, die sehr wohl lösbar wären, wenn man denn bereit wäre, sie einzugestehen und zu behandeln. Österreichs Medien sind hier nur bedingt hilfreich. Sie spüren sehr wohl diese Abgründe und – hihi – stacheln sie ein bisschen an. Am Ende der Duelle sollen sich dann die Kontrahent*innen nach 53 Minuten Flegelei die Hand geben oder nochmal kurz hervorkramen, was die Unterschiede sind, wenn man vermeintlich »staatstragend« alles weichgespült hat, weil sich eh alle sicher sind, dass es keine neuen Steuern geben darf. 

Es geht auch anders im Salon

Diese Politik ist schwer erträglich, wenn sie passiv und ohnmächtig erlitten werden muss. Wer an der Straßenbahnhaltestelle wartet und den Blick über die Plakate schweifen lässt, muss sich vorkommen, als sei alles nur ein manipulativer Trick. Ich sehe eine Feuersbrunst und ich soll das »Klima wählen«? Will mich der nette Mann mit Brille heiraten, dem angeblich mein »Herz ja sagt«? Ein anderer Mann schaut bedeutungsschwanger an mir vorbei ins Leere, dazu Wortkollagen aus »stark«, »stabil« und »sicher«. Kurze Zwischenfrage, was will er stabilisieren? Ein freundlicher Herr, ein Pensionist und ein Dackel lächeln gemeinsam in die Kamera. Soll ich alle drei wählen? Ach so, ich darf ja eh nicht wählen. Falsche Staatsbürgerschaft. Schade, der Dackel war echt lieb. 

Das ist Politik zum Abgewöhnen. Aber Teilhabe will erstritten werden. Rückzug mag emotional gut nachvollziehbar sein, macht die Probleme aber nur größer und lässt jene im Regen stehen, die Unterstützung sehr wohl verdient haben. skug kann die enormen Schwierigkeiten dieser abgenudelten Mediendemokratie nicht lösen, will aber trotzdem kampfesmutig am Abend der Nationalratswahl am Sonntag, dem 29. September 2024 ab 16:00 Uhr zum Salon skug: BAM! Wahlspecial in die Brunnenpassage einladen. Wir lassen die aktuellen Wahlergebnisse durchlaufen, aber machen uns den Kommentar lieber selbst. Auf einer Art Open Stage werden wir Platz haben für Positionen, die nicht im Manipulationskarussell glattgeschliffen wurden. Es kommen unsere lieben Kolleg*innen von BAM!, dem Bündnis alternativer Medien zu Wort und wir laden Akteur*innen der Zivilgesellschaft ein, ihre Sichtweise auf das Wahlergebnis mitzuteilen. Menschen mit Armutserfahrung, mit dem »falschen« Pass, Marginalisierte und diejenigen, die sich für sie einsetzen, bilden einen multiperspektivischen Blick, der – hoffentlich – etwas mehr Wirklichkeitsbezug bietet. Wahlabende sind chaotisch und müssen improvisiert werden: Wer wann was genau sagt, erfährt man am besten, wenn man in der Brunnenpassage vorbeischaut oder sich die Radioübertragung auf Orange 94.0 anhört. Wir freuen uns auf euch!

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