ballads
Various Artists

»Ballads of Seduction, Fertility and Ritual Slaughter«

Was ist das?

Der Folk-Horror-Film »The Wicker Man« ist eine ebenso unterhaltsame wie unbarmherzige Mischung aus Musical und Kriminalgeschichte – und er floppte bei Erscheinen 1973 an den Kinokassen. Heute ist der Film eine Popkultur-Ikone mit Strahlkraft weit über das Genre des Folk-Horrors hinaus. In den Jahrzehnten seit seiner Erstveröffentlichung erlangte der Film Kultstatus, der Soundtrack von Paul Giovanni wurde wiederholt neu aufgelegt und der Film liegt heute in verschiedenen Schnittversionen auf DVD oder Blue-Ray vor. Und auch am beknackten Remake von 2006 mit Nicolas Cage in der Hauptrolle zeigt sich: Das Original ist unerreichbar, die Version mit Cage eine Farce (und deshalb schon auch sehenswert, einmal zumindest). 2023 feiert »The Wicker Man« seinen 50. Geburtstag und aus diesem Anlass hat das in Phoenix, Arizona beheimatete Label Was ist das? ein Tribute-Album veröffentlicht. Betrieben wird das kleine Underground-Label von Ned Netherwood, einem Engländer im Exil (der Liebe wegen, natürlich). Er hat eine Vielzahl einschlägig bekannter Musiker*innen dafür gewinnen können, die Kompositionen des Original-Soundtracks neu zu interpretieren, und die 17 exklusiven Tracks von »Ballads of Seduction, Fertility and Ritual Slaughter« umfassen ein relativ breites musikalisches Spektrum, das sich aber – glücklicherweise – von der sinisteren Stimmung des Originals nicht entfernt. Das Experiment, sich an ein quasi sakrosanktes Artefakt der Popkultur zu wagen, gelingt, gerade weil »the old ways« nicht negiert werden. »Sumer Is A-Cumin In« bleibt bei Sharron Kraus als »Sing Cuckoo (Summer Is A-Coming In)« ein Singstück, nur singt statt eines Chores Kraus alleine und schichtet ihre Stimme übereinander, womit sie eine verträumt-hypnotische Stimmung erzeugt. Und Meg Bairds Interpretation von »Willow’s Song« bleibt nah am Original – aber die ehemalige Sängerin der Espers hat eben die Erfahrung, und die huldigende Geste gerät nicht zur bloßen Nachahmung. Weiter von ihren Vorlagen entfernen sich u. a. Andrew Liles (Nurse With Wound) oder Alvarius B (Alan Bishop). Der knurrt sich in der ihm eigenen Crooner-Manier durch »Corn Rigs« während Liles »The Landlord’s Daughter« in ein Post-Industrial-Soundkleid wandet. Als Banshees of Bunsworth toben sich Mitglieder der irischen Woven Skull mit »Searching for Rowan« aus, und David Colohan ist auf dem Album gleich zweimal vertreten, einmal solo und einmal mit seiner Band United Bible Studies. – Und so geht es in einem fort, munter rund um den »Maypole« sozusagen (hier interpretiert von Magpahi, dem musikalischen Projekt der Britin Alison Cooper). Die Mehrzahl der hier vertretenen Interpret*innen arbeitet seit vielen Jahren im musikalischen Underground an der stilistisch experimentellen Schnittstelle von Folk, Drone und Noise. Ihre Beiträge für »Ballads of Seduction, Fertility and Ritual Slaughter« zeugen von musikalischer Expertise, die ihr Fan-Sein nicht verleugnet. Und wie kann man von »The Wicker Man« kein Fan sein?

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Nach oben scrollen