Ja, Panik © Max Zerrahn
Ja, Panik © Max Zerrahn

Am Ende (k)ein Anfang

Nach fünf Jahren Bandpause und einem Briefroman melden sich Ja, Panik im zweiten Corona-Jahr zurück, um auszuloten, wie gut sich Desillusionierung und Revolte vertragen.

»Ich wünsch’ mich dahin zurück, wo’s nach vorne geht/Ich hab’ auf ›Back To The Future‹ die Uhr gedreht«, sangen Ja, Panik 2014 auf »Libertatia«. Die Einstiegszeilen standen damals programmatisch für den überraschend farbigen Bandsound. »Joy as an Act of Resistance« wäre ein treffender Albumtitel gewesen, aber den haben sich andere Künstler ein halbes Jahrzehnt später ausgedacht. »Apocalypse Or Revolution«, die erste Single der Wahlberliner nach sieben Jahren, ließ es bereits erahnen: die guten Jahre sind vorbei. Im Westen nichts Neues und die freie Marktwirtschaft kaut weiter an ihren Kindern. Statt Pophymnen, die den allseitigen Zwängen entgegentänzeln, sich kurz abschütteln und dann weitermachen, liefert »Die Gruppe« dystopische Post-Punk-Melodien, die allerdings nicht weniger hymnisch ausfallen – als Beispiel kann das fulminante »Gift« herhalten, ein ausgezeichneter Dreiakter mit um sich tretendem Beat und müde-überreiztem Synth-Outro.

Apocalypse now
Wie auf dem 2011er-Brocken »DMD KIU LIDT« haben sich Ja, Panik abermals selbst dechiffriert und die Erosionen unserer Wertesysteme mit in die Bestandsaufnahme genommen. Die Kategorien sind dieselben. Die Position der Band ist eine andere. Auch das Schalkhafte, das Andreas Spechtl so gern in seine Lyrics gepackt hat, geht nicht mehr gar so leicht von der Zunge. Im Unterschied zum agitatorischen »DMD KIU LIDT« stellen Ja, Panik auf »Die Gruppe« eher die Frage: weitermachen, ja/nein? Und wenn ja, unter welchen möglichen Bedingungen? Warum es einfacher ist, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus, hat Mark Fisher 2009 in »Capitalist Realism: Is There No Alternative?« (dt. »Kapitalistischer Realismus ohne Alternative«) erläutert. Wenn sich Ja, Panik in »Apocalypse Or Revolution« an diesem Gedanken abarbeiten, wird daraus ein gut sechseinhalbminütiger Schwebezustand mit weitläufigem Finish und Leadgitarren, die den Western-Showdown heraufbeschwören. Zum Ende stellt sich etwas ein, das man vielleicht als kathartischen Frieden vor dem Sturm bezeichnen könnte. Das Geheimnis scheint darin zu liegen, den Ist-Zustand anzunehmen, ohne ihn gutzuheißen, und wenn einem das Benennen schon sonst nichts bringt, dann zumindest die nötige Distanz.

Der Hang zur musikalischen Flächenzeichnung steht Ja, Panik gut. Stefan Pabst (Bass), Laura Landergott (Gitarre/Keyboard) und Sebastian Janata (Schlagzeug) lassen ihre Instrumente mit und ohne Lyrics erzählen. Gastmusikerin Rabea Erradi am Saxofon setzt die richtigen Akzente. Vielleicht hört man den Songs auch Spechtls Engagement als Theaterkomponist an. »Enter Exit« beginnt mit einem Rauschen und mit metallischen Schlägen, die an Fabriklärm erinnern. Spechtl singt von Wiedergängern, während Erradi Noir-Film-Atmosphäre verbreitet. Letztere mischt sich so wunderbar ins Bandgefüge, als wäre sie immer schon dabei gewesen.

Back to the roots for future’s sake
Vom Schlafen und vom Rückkehren ist auf Ja, Paniks mittlerweile sechstem Werk überhaupt viel die Rede, vom Verschwimmen der Bewusstseinsgrenzen, von virtuellen Welten, von der Wiederkehr der immergleichen bedrohlichen Muster. Die Erfahrungen außerhalb des Ja, Panik-Kosmos dürften zu einem diversen Sound geführt haben, der digitale und analoge Klänge spannungsgeladen zusammenführt. Dabei werfen die Musiker*innen ihre musikalische Vergangenheit nicht ab, sondern erarbeiten sie neu. Der Ausbruch im Titelsong »Die Gruppe« führt direkt in »The Angst and Money«-Zeiten zurück, Spechtls Gesang bewegt sich am Anschlag. Es ist ein wohltuender Moment, in dem sich der Kampfgeist ins Manische schaukelt. In »The Cure« kratzt die Gitarre wie in den Anfangstagen – nur dass sie entfernt klingt, weiter weg, als wäre sie nur über ihr eigenes Echo zugänglich. Eines ihrer schneidigsten Gitarrensolos bisher liefern Ja, Panik auf »1998« und auf »Backup« zeigen sie, dass sie der gesetzte Funkpop, der sich zuweilen auf »Libertatia« fand, nicht ganz losgelassen hat. Die heiteren Momente entstehen am ehesten im Rückblick, zum Beispiel wenn sich Spechtl an die Jugend auf dem Land erinnert. Der damalige »Exitversuch« stand allerdings noch unter anderen Vorzeichen.

An manchen Stellen hätte der Platte ein reduzierter Abstraktionsgrad sicherlich gutgetan. Auch ein paar Schönheitsfehler haben sich eingeschlichen. So wäre »The Cure« besser ohne Schlusschor aufgehoben, der mit der Brechzange klarstellen muss, dass das Elend des Einzelnen im System zu Hause ist. Zumal die Fünf das in anderen Songs, etwa in »On Livestream« (einem der besten und auch eingängigsten Songs des Albums) weitaus eleganter in Szene gesetzt haben. Ebenso in »Memory Machine«, das grübelt, ob es noch etwas außerhalb der geltenden Zweckmäßigkeit gibt. Der Chorus dehnt die Synths in die Breite und lässt uns zu potenziellen (Mit-)Täter*innen werden.

»Die Gruppe« ist ein aufreibendes Album geworden. Eines, das mit seinen Hörer*innen zusammenwachsen muss, dann aber umso größere Glücksmomente beschert. Eines, das die letzten eineinhalb Jahre beunruhigend gut am Kragen packt, und das, obwohl die Songs bereits 2019 verfasst wurden. Aber wenn die Pandemie eines gezeigt hat, dann, dass die Krise nicht der Ursprung der Probleme ist, sondern lediglich ihr Brandbeschleuniger. Bei Ja, Panik mündet diese Erkenntnis wahlweise im Weltuntergang oder in der Frontalkollision.

Ja, Panik: »Die Gruppe« (Bureau B)

Link: http://www.bureau-b.com/ja_panik.php

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