Es ging um die Weltmacht. Nicht mehr, nicht weniger. Sigue Sigue Sputnik hatten 1986 Großes vor. Sie wollten diejenigen sein, die der Popmusik, wie man sie bis dahin kannte, den Todesstoß versetzen. »Shoot it up«, heißt es programmatisch im Refrain ihrer erfolgreichen Debütsingle »Love Missile F1-11«. Gleichzeitig stellten sie dem Punk die Bankrotturkunde aus. Die Sputniks machten sichtbar, wohin die hohle Attitüde »dagegen« führt. »Es gibt viele Leute, die uns hassen werden«, verkündete Bandgründer Tony James damals ziemlich selbstzufrieden in dem britischen Teenie Magazin »Smash Hits«, »wir sind weder tranig, noch interessieren wir uns für Musik«. Aber wofür dann? Die Antwort war einfach: »Sex, Spaß, Erfolg.« Und vor allem: Für das Dagegensein.
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Protzige Superstar-Selbstinszenierung
Für ihr Debütalbum »Flaunt It« stellten die Sputniks im damaligen Popbusiness die verbreiteten Regeln auf den Kopf. James verstieß gegen das erste Gebot des Pop: die Authentizitätsromantik. Typen wie Bruce Springsteen, die so taten, als sei Plattenverkaufen ein notwendiges Übel. Die so taten, als seien sie wirklich ihre Bühnenpersona und keine Inszenierung. Bands, die so taten, als seien sie supergute, alte Kumpels, denen das handgemachte, gemeinsame Musizieren total viel Spaß macht. Und sie alle verachteten Kommerzkacke. Auf keinen Fall durfte man den Eindruck erwecken, man wolle mit seiner Musik Geld verdienen. Man war gegen den Kapitalismus 1986. Margret Thatcher und Ronald Reagan regierten. Paul Weller, Jimmy Somerville und andere britische Popstars engagierten sich gegen den Neoliberalismus. Tony James sagte zu alledem nein. Er sagte ja zu Margret Thatcher. Ja zum Kapitalismus. Ja zum Geldverdienen. Ja zur Oberflächlichkeit. Ja zur Künstlichkeit der Inszenierung.
Die Sputniks griffen selbstbewusst mit den damals modernsten technischen Mitteln und fröhlichem Eklektizismus auf die gesamte Popgeschichte zu. Tony James war klar, dass die Musik nur ein Teil des Popuniversums ist. Er legte großen Wert auf gut gemachte Videos. Ihm war klar, dass Pop als populäre Kunst seine Aura aus dem Erfolg zog. Darum inszenierte er seine Band von Anfang an als protzige Superstars. Er griff auf alles zurück, was der Band den Anschein von Erfolg verleihen konnte. Mit Frisuren, Videos, Samples und musikalischen Anleihen bei den Großen des Pop schuf er ein eigenes Sputnik-Popuniversum. Pop ist die Kunst, Bezüge herzustellen. Darin waren die Sputniks Meister. Hier ein »Rocky IV«-Sample (»Soon the whole world will know my name!«), da ein bisschen Bowie, dort noch ein Tupfer Donna Summer. Als Sahnehäubchen: Marc Bolan und Elvis. Präsentiert in einem Video in »Blade Runner«-Ästhetik.
Pioniere des neoliberalen Businesspunk
Sigue Sigue Sputnik erfanden den neoliberalen Businesspunk. Bei allem, was sie tat, ging die Band geradezu aggressiv nach rein kommerziellen Kriterien vor. SSS waren keine alten Kumpels. Tony James castete seine Band. Und zwar nicht danach, ob die Bewerber ihre Instrumente besonders gut beherrschten, sondern nach ihrem Aussehen. James selbst war Punk und hatte Anfang der Achtzigerjahre zusammen mit Billy Idol in der Band Generation X gespielt. Als Sänger zog er den Paradiesvogel Martin Degville an Land. Degville wirkte, als sei er einem Sado-Maso-Science-Fiction-Comic entstiegen. Ähnlich wie Boy George brachte er die starren Gendergrenzen des 1980er-Pop ins Schwanken. »I’m she-male Elvis Bolanesque«, beschrieb er sich selbst. Er griff damit auf die androgynen Glam-Siebzigerjahre zurück. Auch die restlichen Bandmitglieder wirkten, als seien sie dem Friseurhandbuch für Punk- und Glam-Styles entstiegen.
Produziert wurde »Flaunt It« von Giorgio Moroder. Der damals größte Produzent der Welt war gerade gut genug. Die Songs werden von seinem typischen Synthie-Sound dominiert. Die Gitarren und Martin Degvilles Stimme wurden mit der damals brandneuen Sampling-Technik verfremdet und wie zusätzliche Instrumente in die Tracks eingebaut. »Wir haben die Musik mit Soundtracks und Samples durchsetzt und berühmte Soundbites aus Science-Fiction-Filmen wie ›Blade Runner‹ eingefügt«, erzählte Moroder dem Pop-Blogger Steve Pafford, »bis dahin hatte ich so etwas noch nie gehört«. Fatboy Slim und Moby lassen sich hier schon erahnen.
Häme nach dem Hype
Eine absolute Popblasphemie beging die Band mit den Werbespots auf ihrer LP. Tony James hatte die Leerrillen zwischen den Songs für Werbeblöcke verkauft. Die Spots warben für Fernsehsender, Lifestyle-Magazine, einen Klamottenladen, Haarspray und das Plattenlabel EMI. Für viele Popmusikfans eine grenzenlose Frechheit. Aber im Grunde war Tony James in seiner offenen Kommerzorientierung und seiner bekennenden Künstlichkeit ein Pionier der Popkultur der Neunzigerjahre. Nach einem kurzen Hype wurde die Band zunehmend mit Häme überzogen. »Zuerst sagte jeder Journalist, dass diese Band fantastisch ist, ein Geschenk Gottes, und dass Tony so clever ist, er benutzt die ganze Musikgeschichte, um diesen unfassbaren Maelstrom aus neuem, aufregendem Rock’n’Roll zu erschaffen«, erzählte Tony James im Jahr 2001 dem »Guardian«, »und dann plötzlich hieß es, ›ach, wir haben sie nie gemocht, die sind doch scheiße!‹«
Die Songs auf »Flaunt It« haben nichts von ihrer frivolen Frechheit verloren. Das Reissue des britischen Labels Cherry Red bietet spannende Ergänzungen zum Album. Zwei der vier CDs enthalten die alten Remixe, die zeigen, dass SSS Cyber-Dance-Punks waren. Die vierte CD enthält den Mitschnitt eines chaotischen Auftritts, der die Grenzen der Band deutlich macht. Live hatten die Sputniks außer dem Derwisch Degville wenig zu bieten. Punk war nach der Thatcher-Motto-Party der Sputniks nur noch ein Zombie, der durch die Straßen taumelte und »Ich bin dagegen!« grunzte. Bis heute hat sich Punk von diesem Schlag nicht erholt. John Lydon unterstützt Trump. Andererseits öffneten die Sputniks die Türen für die Girl- und Boy-Bands der 1990er, die allerdings viel konservativer daherkamen als die sexuell geladenen Pop-Übermenschen von Sigue Sigue Sputnik.