Das Coronavirus bedingt Neuheiten, die immerhin den ökologischen Fußabdruck von international agierenden Musiker*innen wie Mia Zabelka bessern. Im Studio ist das bereits zur Gewohnheit geworden, doch vermehrt passiert das auch auf Festivalbühnen wie in der Seestadt. Mit dem u. a. Metal-affinen Arun Natarajan, live zugeschaltet aus Bangalore, wird die E-Violinistin via Stream im Duo spielen. Natarajan ist Betreiber des einzigen indischen Avantgarde-Musiklabels Subcontinental Records, wo auch ein gemeinsames Album herauskommen soll: »Natarajan hat so andere, für mich sehr erfrischend wirkende musikalische Zugänge. Ich werde unsere gemeinsam entwickelnden Sounds einspielen, dazu live improvisieren, und Arun wird aus Indien via Streaming seine Sounds beisteuern«, meint Zabelka, die aufgrund ihrer Gastspiele im hohen Norden auch eine spannende Norwegen-Connection pflegt. Zabelka: »Eraker & Lislegaard verbindet das gemeinsame Interesse an der interdisziplinären Verschränkung verschiedener Künste. Tap Dance trifft auf Live Elektronik. Die Geräusche, die beim Tanzen entstehen, werden von Lislegaard live aufgenommen und simultan zu elektronischen Klängen verarbeitet. Daher der Titel ›Mutation‹. Klänge, die durch physische Bewegung entstehen, werden zu elektronischen/maschinellen Klängen manipuliert.« Das Konzert mit den norwegischen Künstler*innen wird als Live-Stream übertragen, was gleich zu einigen Erörterungen mit Sonic-Territories-Direktorin Martina Maggale führt:
skug: Covid-19 macht das Veranstalten von Festivals zu einer zusätzlichen, mühsamen Herausforderung. Wie hat dein Team für gewisse Eventualitäten vorgesorgt?
Mimie Maggale: Wie die letzten Monate und Wochen gezeigt haben, ist das Schlagwort des Jahres »Adaptation«. Ich bin dankbar für ein tolles Team und Kooperationspartner*innen dieses Jahr und so können unsere Veranstaltungen am 9. und 10. Oktober stattfinden, selbstverständlich unter Einhaltung der derzeitigen Bestimmungen vom Bundesministerium. D. h., die Anzahl der Besucher*innen ist beschränkt, es gibt zugewiesene Sitzplätze und die Maskenpflicht muss eingehalten werden.
Das Motto der dritten Auflage von Sonic Territories ist heuer den Covid-19-Einschränkungen geschuldet. Zitat aus dem Festivalvorwort: »Wird der Mensch in seinen Freiheiten eingeschränkt, sucht er sich neuen Bewegungsspielraum. Grenzgänge mit Musiker*innen erschaffen neue Räume, wo wir als Gemeinschaft Klänge neu erleben können.« Wie ist das gemeint? Das Festival findet ja teilweise wiederum in der Fabrik in der Sonnenallee 137, in der Seestadt Aspern statt.
Wir bieten dieses Jahr erstmals ein Nachmittagsprogramm mit Fokus auf Sound Art und Urbanität an. In Kooperation mit Studierenden der Universität für Angewandte Kunst entsteht ein Soundparcours und Oliver Hangl führt mit seinem eigens für das Festival entwickelten Konzept der Army of Guitars durch die Seestädtischen Gefilde. Ein guter Anlass für alle jene, die die Seestadt noch nie besucht haben, es am Wochenende vom 9. und 10. Oktober zu tun, und für jene, die sie schon kennen, sie mit Sound Art neu zu erleben.
Das Ausbrechen aus einer an Regeln gebundenen Gesellschaft geht zumindest für Musiker*innen leichter. Etwa aus vorgegebenen Kompositionsrahmen. Jedoch hat das Coronavirus die Auftrittsmöglichkeiten extrem eingeschränkt. International wie national. Ein Spielraum öffnet sich im Freien. Ist das Walking Concert bzw. Kopfhörerkonzert im Gehen von Oliver Hangls Army of Guitars ein möglicher Ausweg? Die mächtige Wall of Sound dröhnender Gitarren via großzügiger PA, wie sie etwa Glenn Branca und Rhys Chatham aufführten, kann dabei nicht erlebt werden, aber …
Bei den Konzerten abends wird unsere PA nichts zu wünschen übriglassen! Aber, um auf die Frage zu kommen: Bei dem diesjährigen Festival geht es um Gemeinschaft. Seit März erleben wir große und noch nie dagewesene Einschnitte in unsere (Versammlungs-)Freiheiten und Gewohnheiten. Das Allgemeinwohl geht selbstverständlich vor. Allerdings müssen wir als Kunst- und Kulturschaffende sehr genau reflektieren, was die räumlichen und physischen Einschränkungen mit uns machen und wie wir bei einem Fortdauern dieses Ausnahmezustands weiter agieren wollen. Angesichts der kommenden Wahlen müssen wir uns auch die Frage stellen: Wer sind die Gewinner*innen dieser Corona-Krise in Österreich. Der*die kleine Laden- und Restaurantbesitzer*in von nebenan oder die Kunst-, Musik- und Clubszene wohl kaum. Gerade werden aber für österreichische Großkonzerne Investitionsförderungen in Milliardenhöhen zur Verfügung gestellt.
Eine passende Intervention ist der Soundparcours in Kooperation mit Die Angewandte/TransArts als besonderer Schwerpunkt outdoor unter dem Motto »Concrete Leaves«. Worauf bezieht sich der Titel, wohin führt der Parcours und was ist klangmäßig zu erwarten?
Ausgehend vom JOT12, dem Veranstaltungsraum unserer Kooperationspartner*innen in der Seestadt, wird es an mehreren Stationen bis hin zum See temporäre Lautsprecherinstallationen geben. Die Künstler*innen werden die Besucher*innen in kleineren Gruppen zu den jeweiligen Stationen führen. Im Fokus steht hier die Auseinandersetzung mit dem urbanen und öffentlichen Raum. Viel Beton wird aufgewendet, um die Seestadt zu errichten, die Natur wird notwendigerweise weitgehend verdrängt, beschränkt oder eingegrenzt. Die Arbeiten, entwickelt unter der Ägide von Richard Eigner (Ritornell), sind Echo und Reflexion dieses Tranformations- und Mutationsprozesses im Zuge der Stadterweiterung.
Rojin Sharafi ist ein Bindeglied zur juvenilen Popavantgarde in der Subkulturszene. Welches Werk wird die mit dem Österreichischen Komponistinnenpreis 2018 Ausgezeichnete aufführen?
Mir war es ein großes Anliegen, Rojin Sharafi zum diesjährigen Sonic Territories einzuladen, denn sie repräsentiert auch eine neue Generation von Komponist*innen in Österreich. Sie wird Stücke aus ihrem neuen Album spielen, an dem sie derzeit arbeitet.
Des Weiteren interessieren Gischt aka Ursula Winterauer, die das Label Ventil-Records mitgegründet hat, und Welia, die eine Masterarbeit über Sexismus in der elektronischen Club- und Musikszene schrieb und eine Radioshow fürs Retreat Radio in Malmö gestaltet. Welcher Sound ist von den beiden zu erwarten?
Gischt und Welia sind in ihren Klangwelten unvergleichlich. Gischt legt noisige Klangflächen übereinander, die sie zu opusartigen Gemälden erhebt. Welia arbeitet näher am Techno, den sie mit Sounds aus anderen Gattungen spielerisch versetzt. Es wird jedenfalls ein Vergnügen werden, die beiden live zu erleben.
Unorthodox sind gewisse Künstlernamen wie Bydl. Dieser Wiener kredenzt Vocal Samples aus Film, Funk und Fernsehen zu tanzbaren, experimentellen Beats. Inwiefern kann so eine Musik politisch sein? Oder auch jene von Renick Bell, der in seiner Tokioter Homebase abstrakte Sound Sculptures mit der Zuhilfenahme von Algorithmen komponiert. Nicht zu vergessen Rahel Kraft. Die Schweizerin wird ihre Performance »Paradoxical Creatures« zeigen. Was wird die Essenz davon sein?
In den Vorbereitungen der diesjährigen Festivalsausgabe mit meinem Kollegen Benjamin Kornfeld hat sich der Wunsch geformt, das Programm durch ein DJ-Line-up zu erweitern. Dieses findet nun also aufgrund der Umstände in schlanker Form eines 1,5-Stunden-Sets von Bydl und Welia statt. Beide sind in der Wiener Clubszene bestens bekannt und beliebt und interessieren sich für experimentelle Zugänge abseits des Mainstreams. BYDL – Sandro Nicolussi engagiert sich derzeit als Sprachrohr für die Wiener Clubszene. Renick Bell ist der Pionier auf dem Feld des Live-Coding – eine in Wien kaum bekannte Stilrichtung, aus der virtuellen Welt der Digital Natives aber nicht wegzudenken. Andernorts werden bereits seit Langem große Events, sogenannte Algoraves, veranstaltet und es gibt eine große virtuelle Community – die interessanterweise viele weibliche Vertreterinnen hervorbringt. Bell wird am 10. Oktober live aus Taiwan zugespielt – das wird auch ein besonderes Erlebnis. Rahel Krafts Performance stellt die filigrane Beschaffenheit von Papier in den Mittelpunkt. Sie findet indoor noch vor den Konzerten in der Fabrik statt und ist auf 20 Besucher*innen beschränkt. Es geht um den intimen Bezug zwischen Besucher*innen und Performerin. Im Kontext dieses Jahres also eigentlich schon eine Provokation.
Nachdem nun die Klänge der Acts definiert sind: was ist eigentlich das ganz Besondere an Sonic Territories?
Das Interessante an der Sound Art ist, dass man beim Genuss dieser Kunst nicht gleichzeitig zuhören und sprechen kann. Man muss sich entscheiden – ob man aktiv zuhört bzw. hinhört, oder sich lieber als Sprecher*in diesem Vorgang entzieht. Das aktive Zuhören eröffnet uns aber den Raum für Kontemplation und das Innehalten. Das ist essenziell, um wieder die Energien zu haben, aktiv und bewusst politisch sein und handeln zu können. Eines der Hauptanliegen von Sonic Territories ist, eine Bandbreite im zeitgenössischen Musikschaffen auf dem Feld der Sound Art und der experimentellen Musik zu präsentieren. Ein weiteres ist es, die Seestadt als Feld der urbanen Möglichkeiten und als öffentliche Bühne dafür zu beanspruchen. Diese beiden Ansätze werden 2021 auf noch signifikantere Weise verfolgt.