Wer meint, es habe sich ein dunkler Schleier über Österreich gelegt, irrt leider nicht. Die Stimmung im Land ist im Lager der gesellschaftlich avancierten Kräfte schlecht, dank der aktuellen Bundesregierung. Allgemein muss vermutet werden, dass der Umbau Österreichs hin zu einer illiberalen Demokratie längst voll in Fahrt gekommen ist. Spätestens seitdem sogar die liberaleren Teile der ÖVP dies öffentlich per »Enthüllungsbüchern« mutmaßen, scheint an diesem Stimmungstief etwas dran zu sein. Ein Mittel, diese Eintrübung noch zu verhindern, bestünde in der Aufrechterhaltung einer freien Szene von Kulturschaffenden, die mithelfen, eine differenzierte Sicht auf die Verhältnisse zu gewinnen, und damit autoritäre Bestrebungen eindämmen. Aber diese Szene braucht – man wagt diese Profanität kaum hinzuschreiben – Geld. Die zum Symposium in Wien aus Berlin angereisten Expert*innen hatten ein paar Tipps auf Lager, wie beispielsweise für freie Projekträume und Festivals Geld aufzustellen ist. Gemeinsam wurde das Symposium genutzt, um konkrete Schritte zu formulieren, die eine gemeinsame Willensbildung der freien Szenen auch in Wien ermöglichen könnten und ihr damit mehr politisches Gewicht verleihen würden. Zunächst stellt sich aber die Frage, weshalb diese »Lobbyarbeit« (in gutem Sinne) für Künstler*innen und für diejenigen, die frei kreativ schaffen, so besonders knifflig ist.
»Du machst ja, was dir gefällt«
Leider gibt es gewichtige strukturelle Probleme, die im Spannungsfeld von Kunst und Kohle lauern. Ein Problem liegt in der vermeintlichen Aufkündigung der Notwendigkeit entfremdeter Arbeit. Hierin liegt zugleich ein enormer Stolperstein für eine gesamtgesellschaftliche Solidarisierung und dieser ist leider tiefenpsychologisch gut vergraben. Die meisten Beteiligten thematisieren dies nur sehr ungern. Menschen, die in der einen oder anderen Weise »frei« arbeiten, spüren zuweilen eine gewisse Ablehnung. Diese ist in der Öffentlichkeit zu spüren, aber auch im Familien- und Freund*innenkreis. Meist ist diese Ablehnung feinstofflich und dennoch bestimmt. Zu erklären ist dies dadurch, dass Künstler*innen oder Kreativtätige, die frei ihren selbst gesetzten Aufgaben folgen, scheinbar der Leidensgemeinschaft der Erwerbsarbeit entflohen sind. Nahezu alle, die tagtäglich eine Arbeitsstätte, beispielsweise ein Büro aufsuchen müssen, beschleicht irgendwann der Gedanke, die Person am anderen Ende des Bürotischs gerne einmal zu erwürgen. Nur ein bisschen, rein zur Erleichterung der eigenen Schmerzen. Das geht aber aus den bekannten Gründen nicht, weshalb man sich fügen muss und zähneknirschend weiterarbeitet.
Es sind aber nicht nur die teilweise hohen »sozialen Kosten« der Erwerbsarbeit zu begleichen, es steckt auch der Wurm in der Tätigkeit selbst. Die jüngst von David Graeber eindrucksvoll beschriebenen »Bullshit-Jobs« gehören hierher. Die Arbeitswelt foltert einerseits durch permanente Überforderung (Stress, Optimierung, kaum einhaltbare Zeitvorgaben) und andererseits ermüdet sie durch gleichzeitige Unterforderung, innerhalb der die offenbare Sinnlosigkeit der vorgegebenen Aufgaben deutlich wird. Oftmals sind deswegen Gehaltszahlungen auch eine Art Schmerzensgeld. Die Künstler*innen und Kreativen hingegen erscheinen nun so schamlos und unverfroren, dem allem zu entfliehen, und dafür ist man ihnen heimlich – ein wenig zumindest – böse. Wer als Künstler*in noch nie auf einer Party einen dummen Spruch gehört hat, über Poet*innen, die ihr Leben von Luft und Liebe fristen, knie bitte sofort nieder und danke Gött*in für das Geschenk eines solchen sozialen Umfelds. Die anderen werden wissen, was gemeint ist. Egal wie aufgeschlossen und weltgewandt die Kreise sein mögen, Künstler*innen stehen ein wenig unter Verdacht, weil sie nicht im Joch der entfremdeten Arbeit stöhnen.
Was Künstler*innen nun selbst wiederum an Vorschlägen für eine sinnvollere Welt anbieten mögen, wird nicht zuletzt wegen ihrer Aufkündigung dieser allgemeinen Entfremdung gerne als weltfremd und illusorisch abgetan. Wer, statt Erwerbsarbeit zu verrichten, auf seinem Plüscheinhorn dem Regenbogen entgegenreitet, kann schließlich nicht viel dazu sagen, was eigentlich abgeht. Damit vertieft sich der Graben zwischen jenen im konventionellen Joch der Erwerbsarbeit und den angeblich »Freien« noch einmal und Solidarität wird erstaunlich effektiv verhindert. Viele politische Forderungen zur Bezahlung von Künstler*innen (und dies stimmt fürs protestantische Berlin genauso wie fürs katholische Wien) leiden zudem unter einem verdorbenen archaischen Arbeitsbegriff, der den Dienst insgeheim immer mit dem erzwungenen Ableisten von Schuld verknüpft. Es ist ein wenig widersprüchlich, zu betonen, dass auch Künstler*innen im Schweiße ihres Angesichts schuften und für ihr Werk leiden, wenn doch eigentlich im Schaffen von Schönem ein Akt lustvoller Solidarität liegen könnte. Eine Solidarität, die übrigens in jeder Art Arbeit empfunden werden kann – auch wenn man beispielsweise den Kuhstall ausfegt. Wer »für sich selbst arbeitet« ist immer ein wenig angefressen, wer hingegen ahnt, dass die mühsame Arbeit für alle getan wird, kann dabei seine Stimmung heben und Entfremdung überwinden. Theoretisch zumindest.
Das Richtige gestalten im Falschen
Nun kann aber die Zahl derer in Austria, die sich vollständig durch künstlerische Arbeit finanzieren, beinahe an einer Hand abgezählt werden. Die meisten von ihnen haben mit »freier Szene« wenig am Hut, sondern werden von den Kunstbetriebsschlachtschiffen der großen Theater und Museen erhalten. Deren Betrieb ist wiederum teilweise ununterscheidbar von dem anderer Verwaltungsinstitutionen. Betrieb ist immer ermüdende, tagtägliche Mühewaltung und morphologisch ist die Differenz zwischen den Aufgaben einer Requisiteurin und eines Lageristen gar nicht so groß. Die Chance stehen somit gut, dass nach ein paar Jahren institutionalisierter Revolution im künstlerischen Großbetrieb die Arbeit »sich« entfremdet hat und dem Individuum ebenso sinnlos erscheint wie eine am Wasseramt oder in der Schwedenbombenfabrik. Es ist genauso unmöglich, immer wieder daran zu denken, wie wichtig der Gewässerschutz ist, wie sich täglich klar zu machen, wie viel Freude die Kinder mit dem pappsüßen Schaumgebäck haben, das vor einem übers Fließband läuft. Und genauso vergisst man irgendwann, von welch enormer Bedeutung es ist, dass die Turandot ihr Taschentücherl in der Pluderhose hat, das sie eh bei jeder zweiten Aufführung hervorzuziehen vergisst.
Bleiben jene »Freien«, die tatsächlich ganz auf sich gestellt ihren künstlerischen Kram werkeln und diesen an Frau und Mann zu bringen versuchen. Dies gelingt in den meisten Fällen nur, indem das freie Schaffen durch einen »richtigen Job« erkauft wird. Gerne wird dann die künstlerische Arbeit, die immer ein wenig Basteln an einer besseren Welt ist, dadurch konterkariert, dass zugleich beispielsweise für einen milliardenschweren Konzern Werbebotschaften ersonnen werden. Ergebnis davon ist nicht selten ein gespaltenes Bewusstsein, in dem sich der Konflikt zwischen entfremdeter Lohnarbeit und freier Arbeit in das Individuum verpflanzt hat. Man entwickelt folglich einen Argwohn gegen sich selbst. Allzu leicht werden auch die künstlerischen Mittel kontaminiert, weil sie zugleich in anderen Bereichen eingesetzt werden müssen. Wie lange kann ein Mensch die sorgfältig gehüteten inneren Regungen schützen, wenn diese zugleich gewerblich hervorgepopelt werden müssen, damit ein sinnloser industrieller Schmäh erzeugt werden kann? Sicherlich ist jedes Gestalten lehrreich und schenkt ein gewisses Glück, nur das »kleine Gefühl«, das Künstler*innen für Farben, Formen, Klänge und Worte entwickeln, wenn sie um die »nackten Erscheinungen« der Kunst ringen, ist irgendwann futsch, wenn es für fremde Ziele banalisiert wird. Bald beginnt dann das Krebsgeschwür des Zynismus zu wachsen.
Auf die ein oder andere Weise (und dies mag vielleicht den Argwohn weiter Teile der Gesellschaft mindern) werden Künstler*innen somit von unserer kaputten Gesellschaft durch Entfremdung und Zynismus genauso erledigt wie alle anderen auch und fliehe sich in bürgerliche Fluchten, wie Urlaubsreisen und Konsum. Damit ist aber ein beträchtlicher Schaden angerichtet, denn eine Gesellschaft, die nicht anderes mehr erkennen kann, wird giftig. Entfremdung, Zynismus, Argwohn, Perspektivlosigkeit können von künstlerischen Werken nicht aus der Welt geschafft werden, sie können aber zumindest durch packende künstlerische Darstellungen als solche erkannt werden. Das ist tatsächlich so etwas wie die letzte Chance, die eine Gesellschaft auf Besinnung hat. Aus Politik und Konzernen wird diese nicht kommen. Man wäre also gut damit beraten, wenn zumindest ein Grüppchen an »Freien« alimentiert wird, das mit winziger Funzel ausgestattet nach Auswegen suchen kann. Die dazu nötigen Mittel müssten im Rahmen eines Gesellschaftsvertrages als notwendige Umverteilung festgelegt werden. Da es diesen Vertrag leider nicht gibt, muss jede Diskussion über die Bezahlung von Kunst auf kunstfremdes Territorium ausweichen, indem etwa der touristische »Mehrwert« betont wird. Glücklicherweise zieht zumindest dieses Argument in den Senaten und Magistraten. Gerade in Berlin ließen sich Bündnisse zwischen Hoteliers und Künstler*innen schmieden. Den Nächtigungsgästen der »Arm aber sexy«-Metropole an der Spree wird eine kleine Tourismusabgabe aus den Rippen geleiert und diese wird zu einem gewissen Teil auf die freie Szene ausgeschüttet, weil diese die hübsche Hintergrunddeko für Weltstadtflair bildet. Immerhin. Das reicht aber nicht, es braucht ein artikuliertes Selbstverständnis der Szene, das politisch vertreten werden kann.
Was konkret tun?
Die Berliner Szene erwies sich hier als findig. Mehrere Referent*innen berichteten von den dortigen Erfolgen. Gemeinsam mit dieser internationalen Verstärkung wurde eine Reihe von möglichen politischen Forderungen auch für Wien deutlich. Einige Punkte.
Mindeststandards einhalten
Es gilt darauf zu achten, dass soziale Mindeststandards auch bei Künstler*innen nicht unterboten werden. Künstler*innen und Kreative sparen meist bei sich selbst, weil sie das Werk unbedingt verwirklicht sehen wollen. Eine »Kostenwahrheit« wird damit verdeckt. Alle Beteiligten sind gefragt, diese trotzdem zur Geltung zu bringen. Die Politik sollte energisch auch daran erinnert werden, wie unsinnig es ist, jährlich zahlreiche Menschen an den verschiedenen Kunstuniversitäten auszubilden und sie dann nach dem Abschluss in eine erbarmungslose sozialdarwinistische Mühle zu schmeißen, in der kaum die Stärksten überleben, sondern meist die Angepasstesten. Politik, die auf den »großen Hit von morgen« spekuliert, um weiterhin das Lied von der großen Kulturnation Austria hinaustrompeten zu können, schießt sich dabei selbst ins Knie, wenn die ausgebildeten Talente in ihrem Berufsleben systematisch frustriert werden.
Prekäre aller Sparten, vereinigt euch!
Wichtig ist hierbei, aus der Kunstszene nicht ein privilegiertes Prekariat zu formen, sondern stets den Blick auf andere Bereiche prekären Arbeitens zu richten. Der Blick auf die gesamtgesellschaftliche Sicht ist wichtig, damit man sich nicht auseinanderdividieren lässt. Bei nahezu allen, die von Lohn, Gage oder vom Verkauf eigener (Kunst-)Produkte abhängig sind, lässt sich sagen: »zu viel Arbeit für zu wenig Geld«. Auch sind gerade Künstler*innen gefordert, sich nicht wechselseitig zu unterbieten. Sie sollten sich in Interessengemeinschaften zusammenschließen und gemeinsam Forderungen für ihre Arbeitsbedingungen stellen und dabei auch aufzeigen, was fehlen würde, wenn sie Hammer, Pinsel und Schreibfeder fallen lassen würden. Aufgrund der rechtlichen Situation der künstlerischen Berufe, die kein Gewerbe bilden, muss auch niemand Furcht haben, der Kartellbildung bezichtigt zu werden.
Bedarfsanalyse
Es müsste eine konkrete Bedarfsanalyse erstellt werden. Es wird nämlich unglaublich viel künstlerisch und organisatorisch rund um die Kunst geleistet, die kaum als solche erkannt wird. Alle Werke erfordern beispielsweise auf die eine oder andere Weise Recherchearbeit. Diese ist nicht Freizeitspaß der Kunstschaffenden und ermöglicht erst die Professionalisierung. Derweil funktioniert der geheime Knebelvertrag so, dass man einfach davon ausgehen darf, die Kunst- und Kulturschaffenden werden schon irgendwie weiterwerkeln, egal wie wenig an sie ausgeschüttet wird. Tatsächlich hat auch niemand ein Interesse am Stopp der Kunstproduktion. Umso energischer muss der Abwärtstrend der Bezahlung und Förderung angeprangert werden. Wien wächst seit zwei Jahrzehnten beträchtlich und wird bald die Marke von zwei Millionen Einwohner*innen erreicht haben, aber die Förderhöhe am Ende des letzten Jahrtausends (1999) eingefroren worden. Dadurch wurde die Förderung de facto von Jahr zu Jahr weniger. Leider sind die einstmals lauten Stimmen der Keynesianer in der Wiener Sozialdemokratie verstummt, weshalb das nachweislich unsinnige Projekt eines Nulldefizits gefahren wird. Dabei wäre eine klug konzipierte Neuverschuldung nichts anderes als eine Art der Bürger*innenbeteiligung (denn die sind es, die schließlich ihr Geld der Stadt leihen).
Kampf für eine bessere Gesellschaft
Viele, teils absurde Ungerechtigkeiten wurden auf dem Symposium angesprochen. Der ORF kassiert beispielsweise Filmförderung für seine seichten Serien, ohne sich je in Gremien um diese bewerben zu müssen. Die relativ üppig alimentierten großen Museen sparen gerne, indem sie wenig bekannte, ausstellende Künstler*innen schlicht nicht bezahlen. Weil diese wiederum keine Einspruchsmöglichkeit haben und sich zukünftige Chancen nicht verbauen wollen, akzeptieren sie dies meist zähneknirschend. Wie in vielen gesellschaftlichen Bereichen agieren die »Kleinen« solidarischer als die »Großen«. Deswegen sollten die kleinen, freien Kunstinstitute offensiv ihren moralischen Vorsprung artikulieren und auf Lerneffekte bei den großen Dampfern setzen. Gegenüber solchen Missständen ist es wichtig, auf die Not aller zu achten und sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Weder zwischen den einzelnen Fördergeber*innen Bund und Land, noch zwischen den einzelnen Projektentwickler*innen. Als Praxistipp wird empfohlen, möglichst überall das direkte Gespräch zu suchen, insbesondere auch mit den die Förderansuchen bearbeitenden Beamt*innen. Diese arbeiten zumeist nach bestem Wissen und Gewissen, um die Kunst im Lande zu ermöglichen, und haben oftmals schlicht nicht den Einblick in die konkreten Probleme der Fördernehmer*innen. Als Faustregel empfahlen die Expert*innen des Symposiums, bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Gespräch mit den Fördergeber*innen zwei Drittel der Zeit für das eigene Anliegen zu verwenden, ein Drittel aber für das der Interessengemeinschaft zu verwenden, um die Beamt*innen auf die strukturellen Probleme hinzuweisen. Außerdem, auch dies wurde angedeutet, kommt auch vielen Beamt*innen und sonstigen Mitarbeiter*innen insbesondere der Bundesministerien die aktuelle Bundesregierung und das von ihr vertretene Gesellschaftsbild falsch vor. Hier findet durchaus ein gemeinsamer Kampf gegen den autoritären Rechtsruck statt, bei dem man sich oft wundern darf, wo sich Verbündete finden lassen.
Letztlich: Don’t give up
Es nützt ja nix, der Schlachtruf möglichst vieler aus der freien Szene muss lauten: »Her mit der Marie!«, denn sonst ist bald alles Essig. Dabei gilt es, sich nicht abschrecken zu lassen und fröhlich auch nach der zehnten Ablehnung des Förderansuchens den elften Antrag zu schreiben. Manchmal braucht es große Geduld und Ausdauer, bis sich die Verhältnisse ändern. Beispiele dafür gibt es sehr wohl, sei es in Berlin, in Brüssel und bald auch in Wien. Letztlich führt am Weg, die Politik für die Sache der Kunst zu verpflichten, nichts vorbei und umgekehrt soll diese sich klar machen, dass gerade in Österreich nicht gegen die Kultur regiert werden kann. Mit diesem Aufruf und der darin enthaltenen Wette auf Besserung endete das Symposium überraschend fröhlich, beinahe lag eine gewisse Aufbruchsstimmung in der Luft.
Details zu den Ergebnissen des Symposiums werden bald in einer Broschüre erscheinen.