Jacques Palminger © Simone Scardovelli
Jacques Palminger © Simone Scardovelli

Mit Jacques Palminger über Sexualität, Musik, Alkohol und das Leben

Seltene Schriften mit groteskem Inhalt konnten auf einer Auktion in Bratislava zurückerstanden werden. Es handelt sich um ein Privatinterview mit Heinrich Ebber aus Borken. Für das rollenspielartige Interview wählte er den Kosenamen »Jacques Palminger« und wurde mitunter äußerst privat …

Vor einiger Zeit hielt Humorvisionär Jacques Palminger auf seinem Weg mit dem E-Tridem von Bonn nach Bologna für einen Tag in Wien, um im Morgengrauen auf der Strudlhofstiege für ein sexy Fotoshooting mit seinem Körper Pate zu stehen. Die mitunter grotesken Bilder bleiben uns für immer im Gedächtnis, für euch jedoch nur Inhalt süßlich-feuchter Träume. (Die Negative fielen einem spontanen Vulkanausbruch zum Opfer.) Die Nachmittagsgestaltung – eine Tour mit dem Segway durch die Donau City und anschließendes Vaporizing auf dem DC Tower – ist bereits jetzt mehr als legendär. Am Abend folgten dann Schattenspielchen an den Zeltwänden in den Naturschutzgebieten der Donauauen. Zum Glück waren die Taschenlampen bald alle und machten dem gefährlich-pubertären Spaß ein Ende.

Aus dieser Tour de Force durch Morgennebel, über Wolkenkratzer und bis ans Ende der Nacht entstand eine tiefe Freundschaft, auf die sich alle drei Beteiligten bis heute keinen Reim machen können. Da wir vergessen hatten, unsere E-Mail-Adressen auszutauschen, verfassten wir auf hochsensiblen Papyri handgeschriebene Nachrichten. Diese ließen wir von einem ungarischen Hutmacher in eine Hutkrempe einnähen und Jacques zukommen. Der Hut allerdings ging beim Rückweg zu uns auf dem Kopf eines Verbindungsmannes mit Namen »Bohumil« im Sturm verloren und konnte erst nach langer und hochfiebriger Nachforschung letztendlich bei einem Hutkongress in Bratislava auf einer Auktion ausgemacht und zurückerstanden werden. Was darin steht – seht:

skug: Lieber Jacques, es war in Wien, der 6. Juno 2018, als wir uns das erste Mal sahen, kurz nachdem du schweißtrunken und mit einem unschuldigen Lächeln im Gesicht dein fulminantes Konzert mit dem 440Hz Trio im Schauspielhaus beendetest. Sag, an was denkst du noch, wenn der Begriff Wien fällt? Würdest du die Unterstellung bejahen, Wien war für dich schon immer etwas ganz Besonderes?
Jacques Palminger: Der bloße Gedanke an Wien erzeugt in mir ein Fleckfieber der Begeisterung. Es vergeht keine Nacht, in der ich nicht im Traum über die Strudlhofstiege hinunter ins Nachtasyl falle.

Der Tod und Verlust spielen eine große Rolle in deinem Werk als Künstler. Wie wichtig ist dir das Thema Tod in deinem Leben?
Ich habe den Tod als feste Größe akzeptiert und laufe ihm so langsam wie möglich entgegen. Ob wir zusammen klarkommen, sehen wir, wenn es soweit ist.

Unterscheiden der Künstler Jean-Jacques und der Mensch Hans Fuchs überhaupt zwischen Kunst und Leben, oder bilden Mensch und Werk vielmehr eine Einheit?

Das Palminger Building ist ein schmaler Wolkenkratzer, immer kurz vor der Verschalung. In den schönsten Momenten bin ich Architekt und Handlanger auf der eigenen Baustelle und genieße das Leben im Prozess.

Würdest du die Unterstellung bejahen, du werkelst im Unbewussten fleißig an deiner H0-Eisenbahn in Borken, während der Künstler Jacques längst schon nach der Führung der Stadien der Welt greift? Es hat ja beides viel mit Macht zu tun.
Mit der Band Fraktus habe ich Stadionerfahrung, die ich nicht missen möchte. Sollte der liebe Gott mir eine weitere Stadiontour buchen, werde ich selbstverständlich massenkompatibel abliefern. Davon gehe ich allerdings heute Morgen nicht aus. Ich sehe mich im domestizierten Untergrund, wo ich immer einen Führungsanspruch behaupten und eine eigene Splittergruppe befehligen werde.

Bist du ein verspieltes, energiegeladenes Kind mit Gehirn, Intellekt und Sprachschatz der Subkultur, das auf den Höhen und Tiefen des Lebensweges watete und besonders bei letzteren gerne mit einem Kaltgetränk beobachtend innehielt? Ist dieses Amalgam dein Geheimnis für kreative Erfolge?

Im Buch »Alkohol und Autor« (Anm.: Donald W. Goodwin, Suhrkamp) wird die Behauptung aufgestellt, dass alle Nobelpreisträger schwere Trinker waren. In habe nie auf Nobelpreisniveau getrunken, habe aber sehr gute Erfahrungen mit Alkohol gemacht. Ein Obstler kann Gedichte anlocken, das stimmt. Schreiben muss man sie allerdings immer noch selbst.

Wie wichtig ist für dich ein kreatives Planschbecken der Kollektivität? Siehst du dich als manieristischen Teamplayer, der er sich immer mit seiner ganz speziellen Eleganz in die für ihn vorgesehene Rolle schmiegt? Oder gibt es auch autokratische Phantasien, die ja einer jeden Künstlernatur respektive Künstlerseele durchaus zugeschrieben werden können?

Ein funktionierendes Kollektiv potenziert, eine offene Theaterproduktion transzendiert, gleichberechtigtes Musizieren lässt die Klangwolke schweben. Das Hauen und Stechen klassisch-hierarchischer Produktionen ist nach wie vor zielführend, aber so spannend wie die Arbeit im Kopierkeller.

Du warst als Bub immer der Stille in der hinteren Bank und auch deine Karriere als Musiker begann eher verhalten in den hinteren Reihen, u. a. als Schlagzeuger der grandiosen Band Dackelblut von und mit Jens Rachut. Später dann bist du über deinen Schatten gesprungen und hinter dem Schutzwall aus Toms und Becken emporgestiegen, um dich nun eben als Conducteur einer feinen Jazz-Kapelle hervorzutun und Licht in die Welt zu bringen (vgl. Platon, »Höhlengleichnis«). Wie ist dieser Werdegang einzuschätzen? Muss man sich Sorgen machen?
Der liebe Gott schließt keine Tür, ohne eine neue zu öffnen. Als Spätentwickler stieg ich vom Pferd in den Rennwagen, danach in den Düsenjäger. Dass alle auf dem gleichen Karussell montiert sind, werde ich wahrscheinlich nie erfahren.

Im Anbetracht der Tatsache, dass Wien für dich schon immer mehr als nur die Hauptstadt Österreichs war: Wird der nächste Schritt die Übernahme der Leitung der Wiener Staatsoper sein? Wie würde dein Programm aussehen? Was würdest du verändern? Würdest du die Verheißung bejahen, dass Wien mit dir als Leiter der Staatsoper einen wichtigen Schritt für oder gegen die Verharmlosung der anspruchsvollen Unterhaltung geht?

Ich bin tatsächlich in einem Alter, in dem ein Mann von meinem Format reif ist für die oberste Etage. Es würde mich also nicht wundern, wenn mir eine Institution wie die Wiener Staatsoper angeboten werden würde. Sollte man mit einem Vertrag winken, würde ich zu Verhandlungen anreisen. Ich halte euch in jedem Fall auf dem Laufenden!

Man (er)kennt dich vor allem als dandyesken, schnurrbartbewehrten Zauberer der Worte. Wann hat sich nun dieser Surrealist de luxe in einen graumelierten Mehrtagesbartträger verwandelt, der bei aller Weltgewandtheit in einen leicht abgeklärt wirkenden Magier der Antimanie zu kippen scheint?

Meine Gemütszustände ändern sich im Stundentakt, genau wie meine Lebensziele. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich zurzeit versuche, mich an Gott zu erinnern. Glaube ist kein Leistungssport, aber man kommt nicht umhin, seine Übungen zu machen. Im nächsten Frühling möchte ich in Hamburg einen Kurs anbieten: »Starkbierfasten mit Jacques Palminger«. Davon verspreche ich mir einiges.

Unterscheidest du zwischen Lowbrow- und Highbrow-Humor? Findet man auch in der untersten Schublade feinste Klingen?

Hat Jesus gelacht? Und wenn ja, worüber? Zurzeit lache ich gerne grundlos und zweckfrei. Manchmal schmunzele ich in ein Couvert.

Das Thema der Resonanz hat sich ja auch schon in diversen akademischen Publikationen im Felde der Soziologie ausgebreitet. Du setzt mit deiner Softporno-Jazz-Combo – du nennst es euphemistisch »Märchen-Jazz« – auf den Kammerton. Die angeblich heilsamste Soundfrequenz der Welt, 528 Hertz, ist auch sie von Bedeutung in dieser Klanggemeinschaft?

Tatsächlich bilden wir vor jedem Konzert einen Energiekreis. Wir schwingen uns ein und erleben eine Spielart der Sexualität, die niemandem weh tut.

Musik und Heilung, wo siehst du da auch radikal-subjektiv Verbindungen beziehungsweise welche psychohygienische Funktion würdest du deiner Bühnenmusik zuschreiben?

Jedes meiner Konzerte ist eine mentalpositivistische Gruppenhypnose, jeder Palminger-Kontakt besitzt eine spürbare Heilkraft.

Wenn du der Leiter der Wiener Staatsoper wärst, welchen Nom de Guerre würdest du wählen?

P.A.L. Minger.

Würdest du dich parteipolitisch unterwerfen, um in der Gunst der kulturverantwortlichen Politiker zu steigen?

Nein, du Trottel!

Was wäre dein Slogan?

Fick dich, Henry Maske!

Herzliche Grüße,
dein Lutz und dein Michael für skug
Gez. J. Palminger

Link: https://www.tomprodukt.de/kuenstler/jacques-palminger/

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