Grand River © David Visnjic/Donaufestival
Grand River © David Visnjic/Donaufestival

Im Fluss

Als Grand River entführt Aimée Portioli ihr Publikum in emotional aufgeladene Klanglandschaften und verbindet dabei die Welt von elektronischer Musik mit der klassischer Instrumente. Nach ihrem Auftritt beim Donaufestival 2024 traf skug die Musikerin zum Gespräch.

Im Jahr 2015 zog Aimée Portioli von Milano nach Berlin, ein für die Musikerin einschneidendes Erlebnis: »Ich war viele Jahre lang in einer relativ geschlossenen Welt des Gitarrenspiels unterwegs, später kam dann das Klavier dazu. Aber in dem Moment, als ich damit begonnen habe, mich mit elektronischer Musik zu beschäftigen, entfernte ich mich auch ein wenig von meinen Instrumenten.« Es dauerte zwei Jahre, bis Portioli als Grand River 2017 mit »Crescente« ihre erste EP veröffentlichte. Im darauffolgenden Jahr erschien dann ihr Debütalbum »Pineapple« auf dem italienischen Label Spazio Disponibile. Darauf verwendet die Musikerin fast ausschließlich elektronische Klänge, während ihre aktuelleren Stücke wieder verstärkt von akustischen Instrumenten geprägt sind. »Die Auswahl des Instruments hängt davon ab, was ich damit ausdrücken möchte. Will ich Aggressivität, etwas Hartes, dann nehme ich etwa eine E-Gitarre; benötige ich hingegen etwas Emotionales, Weicheres, dann würde ich vielleicht das Cello wählen. Dieses Instrument ist dem menschlichen Körper sehr ähnlich, denn die Ausdehnung der menschlichen Stimme entspricht jener des Cellos. Schon als Kind war mir dieses Instrument daher sehr nahe. Möchte ich hingegen etwas Kopflastiges, dann würde ich einen Synthesizer nehmen.« Obwohl ihre Stücke in der Regel ohne Texte auskommen, spielt auch die menschliche Stimme darin eine wichtige Rolle: »Als Kind habe ich selbst sieben Jahre lang in einem Chor gesungen und heute fühle ich mich immer noch sehr damit verbunden. Ich liebe es wirklich sehr. Mein Sound enthält damit dieses kleine Stück aus meiner Vergangenheit.« Es wirkt, als würde Portioli die eigene Vergangenheit als Quelle begreifen, aus der sie das Material für ihre Kompositionen schöpft.

Grand River © David Visnjic/Donaufestival

Aimée Portioli wurde in den Niederlanden geboren, mit 12 Jahren zog sie nach Milano. Seither wohnt sie in Städten, wobei die Sehnsucht nach Natur ein prägendes Element ihrer Arbeit darstellt. »Es sind Momente, in denen ich neue Ideen bekomme. Ich würde mich zwar nicht als Fieldrecording-Artist bezeichnen, mache aber auch Aufnahmen in der Natur. Daraus entwickeln sich manchmal Ideen, die wiederum als Grundlage für Kompositionen dienen. Es ist etwas, das ich in die Stadt mitbringe; ein Moment, den ich internalisiert habe. Das Komponieren ermöglicht mir, diese sehr persönlichen Gedanken auszudrücken. Die Arbeit wird somit ein Teil von mir.« Im letzten Album, »All Above«, das 2023 auf Editions Mego erschienen ist, spielt das Klavier eine zentrale Rolle. Bei ihrem Konzert am Donaufestival in Krems 2024 wird Portioli dann auch vom Pianisten Andert Tijsma begleitet. »Ich habe das Konzert sehr genossen,« schwärmt Portioli über ihren Auftritt im Klangraum Minoritenkirche. »Der Ort ist wunderschön und das ist mir sehr wichtig. Wenn ich an Auftritte zurückdenke, dann erinnere ich mich immer als Erstes an den Ort – dort bauen wir unser Setup auf und machen den Soundcheck. Dieser Ort ist besonders schön und wenn er mit Menschen gefüllt ist, dann wird er zu etwas ganz Besonderem. Der Auftritt war für mich sehr intensiv und emotional aufgeladen.« Neben Tijsma ist auch Marco Ciceri ein Teil des Teams, er hat gemeinsam mit Portioli die Lichtshow entwickelt. Mit dem in Berlin und Madrid lebenden Lichtdesigner verbindet die Musikerin eine langjährige Zusammenarbeit. Der Raum sei aufgrund der hohen Decke schon eine Herausforderung gewesen, meint Portioli. Mit dem Ergebnis ist sie jedoch zufrieden: »Es war sehr dunkel und damit war die Intensität, die ich vermitteln möchte, wirklich da.« Tatsächlich ist die Minoritenkirche in Krems einer der wenigen Orten in Österreich, an dem Konzerte in beinahe vollständiger Dunkelheit stattfinden können.

Grand River © Maria Louceiro

Italienische Supergroup

Auch wenn Grand River im Grunde ein Soloprojekt ist, ist für Portioli Zusammenarbeit wichtig. »Diese Show ist sehr eng mit dem Licht synchronisiert. In manchen Passagen kann ich schon improvisieren, ansonsten muss ich mich aber genau an meine Aufzeichnungen halten.« Auch andere ihrer Arbeiten basieren auf Kollaborationen. Für »Tuning The Wind«, eine Arbeit, in der Portioli Windaufnahmen als Instrumente verwendet, hat sie eng mit dem Fieldrecording-Künstler Pablo Diserens zusammengearbeitet. »Ich habe ein Konzept dazu geschrieben, gab es meiner Agentin und sagte: Warum schlägst du die Idee nicht den verschiedenen Orten vor? Wenn es jemandem gefällt, dann werde ich es umsetzen.« Das Interesse an der Arbeit war rasch da. »Bald hatte ich einen Ordner mit vielen verschiedenen Aufnahmen: stehende Winde, starke Böen oder pfeifenden Wind. Dann habe ich die Winde auf 440 Hertz gestimmt, um sie mit den anderen Instrumenten in Einklang zu bringen.« Die Arbeit kann als Installation oder als Konzert aufgeführt werden. »In einer Version habe ich das Stück auch für 4D-Sound entwickelt,« erklärt Portioli. Dabei handelt es sich um ein spezielles Soundsystem, das es Musiker*innen ermöglicht, Klänge sehr exakt im Raum zu positionieren. »In Berlin hat das Monum ein 4D- Soundsystem, das für ihr Stück aber auch schon nach Amsterdam und London gebracht wurde. Ansonsten führe ich das Stück aber als Multichannel- oder Stereo-Konzert auf.« Irgendwann soll »Tuning The Wind« auch als Tonträger veröffentlicht werden. Bis dahin liegt Portiolis Schwerpunkt jedoch auf der Veröffentlichung eines neuen Albums, das sie gemeinsam mit Abul Mogard geschrieben hat: »In uno spazio immenso« erscheint Ende Juni 2024 auf Caterina Barbieris Label light-years. Dafür ist auch eine gemeinsame Konzert-Tour geplant: »Caterina und ich kennen uns sehr gut, Abul Mogard ist auch Italiener – wir sind also eine große italienische Gruppe.« Damit bilden die drei Musiker*innen auch ein neues Epizentrum, das elektronische Ambient-Musik derzeit stark prägt.

Die italienische Supergroup führt damit auch das Erbe des 2021 verstorbenen Peter Rehberg weiter, denn einem breiteren Publikum wurden Caterina Barbieri und Grand River erst mit ihren Veröffentlichungen auf Editions Mego bekannt. Das in Wien ansässige Label, das nächstes Jahr seinen dreißigsten Geburtstag feiert, wird mittlerweile von Rehbergs früherer Partnerin Isabelle Piechaczyk und seiner Tochter Natasha Rehberg weiter betrieben, während sich Morr Music um die administrativen und betrieblichen Abläufe kümmert. Einigen der Musiker*innen auf Mego sei es ein großes Anliegen gewesen, dass das Label als Plattform noch eine Weile bestehen bleibe, erzählt Piechaczyk. Man wolle das Label daher im Sinne Rehbergs weiterführen, mit Portioli und Barbieri sei man freundschaftlich verbunden. Grand River wird damit zu einem verbindenden Element eines musikalischen Netzwerks, das Milano, Berlin und Wien durch Raum und Zeit und über Generationen hinweg miteinander verbindet.

Link: https://grandriver.eu

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