Alexander Gheorghiu, Konzertmeister beim NÖ Tonkünstler Orchester, huldigt in seiner zweiten Passion der Rockmusik mit rebellischen Facetten. Transportvehikel des Obdachlosigkeit und Ausgrenzung thematisierenden Projekts für das Viertelfestival Niederösterreich ist van Schmetthoven. Das Ensemble für absurde und surreale Beethoven-Gestaltung wird am 25. Mai 2019 ab 18:30 Uhr im Bürgermeistergarten Wiener Neustadt (bei Schlechtwetter im Stadttheater) »Die Verhaftung des Ludwig van / Roll over Beethoven« uraufführen. Die neun Symphonien von Ludwig van Beethoven werden in einem Parforceritt noch klassisch genommen, doch dann wird in den Rock’n’Roll-Himmel abgebogen und -gehoben. Widerborstigere Musik im Sinne von Drahdiwaberl und Punk darf fröhliche Urständ’ feiern, mit den Gesangsgäst*innenTini Kainrath, Raoul Herget und Ona B. Im ausführlichen E-Mail-Interview legt Alexander Gheorghiu sein Vorhaben offen.
skug: Die lang zurückliegende Verhaftung von Ludwig van Beethoven in Wiener Neustadt ist Anlass für ein »Gedenkkonzert« mit van Schmetthoven am 25. Mai 2019. Wie sind Sie auf diesen Vorfall gestoßen?
Alexander Gheorghiu: Der Vorfall ereignete sich laut einem Beethoven-Handbuch (Frimmel) 1821 oder 1822. Schon damals hatten die Leute Angst vor dem Fremden. Ein Mann mit Akzent (Beethoven hatte einen kölnischen Akzent), ohne Hut und etwas zerzaust wirkend, wurde gleich in Schutzhaft genommen und schnell zum Staatsfeind erklärt. Damit wären wir soweit eigentlich wieder in der Gegenwart unter Noch-Innenminister Kickl. Beethoven war nicht sehr gut mit Äußerlichkeiten. Nicht einordenbar wird man in einer rechtsradikalen Gesellschaft schnell zum Angriffspunkt. Beethoven war einer der ersten Musikpunks überhaupt. Heute ist er weltweit unumstritten die Nummer Eins im klassischen Musikzirkus.
Leider geht es um Ausgrenzung und Rassismus. Allzu viele Österreicher*innen praktizieren ein seit der Nazi-Zeit ideologisch in die Hirne gebranntes Herrenmenschentum: Menschen mit dunklerem Teint und Aussehen, das stark von der Norm abweicht, und Obdachlose werden aus belebten urbanen Zonen verdrängt. Das ist wider die Menschenrechte und man fragt sich historisch: War das zumindest damals in der Biedermeierzeit unter Metternich ein Skandal?
Es gab diese Ausschreibung vom Viertelfestival. Das Motto war Schnittstelle. Ich hab’ versucht, Dinge zusammenzuführen, die eigentlich im ersten Moment überhaupt nicht zusammenpassen. Was im ersten Moment als unmöglich erscheint, wird ein wenig später logisch. Wie Chuck Berry und Beethoven, die Verhaftung und Beethoven, die eigentlich gar nicht in unser heutiges Bild passt. Ich glaube auch gar nicht, dass der Vorfall ein großer Skandal war, sondern eher eine kleine Episode, welche ein wenig peinlich war. Eben mit Entschuldigung seitens des Bürgermeisters. Beethoven war zu dieser Zeit absolut respektiert und geachtet bzw. hätte er keine Fürsprecher gehabt in Wiener Neustadt, wäre diese Situation auch anders ausgegangen. Und wer kümmert sich letztendlich um einen Omofuma, wer sagt denn, dass er weniger genial ist, und selbst, wenn er minderbegabt wäre, was rechtfertigt den aktuell niederträchtigen Umgang mit Personen wie ihm oder politischen Flüchtlingen, welche alles verloren haben?
»Abbruchsspekulanten und Hausbesetzer spielen mit Behörden Katz und Maus«, heißt es in einer Aussendung der rechten Wiener Bürgerinitiative Pro Hetzendorf und »trotz behördlichem Betretungsverbot hat sich allerlei Gesindel eingenistet«. Abgesehen von der Verwendung eines NS-Ausdrucks: Hier wird einerseits gegen Spekulation geschimpft, das dadurch leerstehendes Haus soll aber nicht benutzt werden dürfen. Es müsste mehr Zivilcouragierte geben, die rechte Populisten mit solchen Widersprüchen klar konfrontieren. Wer nicht für die wirtschaftlich schwächsten Bevölkerungsgruppen Partei ergreift, erweist sich als Handlanger des Kapitals.
Mir fällt da nur ein: »Ludwig van Beethoven, Hirnbesitzer« – das schrieb der Komponist in einem Brief an seinen Bruder Nikolaus Johann, der sehr stolz auf seinen Reichtum war und seine Briefe mit »J. v. Beethoven, Gutsbesitzer« unterzeichnete.
Nun endlich zur Musik. Zur Uraufführung von »Die Verhaftung des Ludwig van / Roll over Beethoven« im Rahmen des Viertelfestivals Niederösterreich. Wie ist das Ensemble van Schmetthoven instrumentiert?
Wir spielen zuerst mit Violine, Viola, Kontrabass, Klarinette, Fagott und wechseln danach zu E-Gitarre, Schlagzeug, Gesang und Hammond-Orgel … eigentlich absurd, aber dann logisch, weil absurd. Es war für mich ein Gedankenspiel. Was ist, wenn – eine Schnittstelle. Drahdiwaberl und Stefan Weber fühle ich mich sehr verbunden, weil sie immer genau auf diese Situation hingewiesen haben (»Großstadtdschungel«, »Supersheriff«). Es hat sich nichts geändert. Ich war selbst auch ein Schüler von Stefan Weber.
Für mich enthalten Teile der Symphonien Beethovens Prä-Rockmusik. Wahrlich erhebend und kickend. Ihr Ensemble stellt die neun Symphonien Beethovens konzertant Rock’n’Roll-Stücken gegenüber. Was wird außer Chuck Berrys »Roll over Beethoven« zu hören sein?
Es gibt in Beethovens Symphonien viele hymnische Momente. Beethoven war in seinen Betrachtungen sehr idealistisch. Das bezeugt die Episode mit der »Eroica« und Napoleon bzw. Beethovens große Enttäuschung zu dessen Ernennung zum Kaiser. Bei genauerer Betrachtung hat Beethoven kompositorisch immer die Formen gesprengt.
Das bedeutet wohl auch, dass Sie als Kenner des Orchesterbetriebs gern diesen auf die Schaufel nehmen und lieber zwischendurch im rockmusikalischen Garten wildern?
Wie gesagt: Wir spielen z. B. »Supersheriff« von Drahdiwaberl. Aber auch eigens komponierte Songs von mir: In »Der Portier vom Musikverein« schmeißt der Portier schlecht spielende Musiker aus dieser Wiener Konzertinstitution raus. »Ruf mich, Ludwig van« hingegen spiegelt eine masochistisch schwärmerische Betrachtung einer jungen Aspirantin auf Beethovens Werk. »Rockmusik und Alkohol« ist ein Manifest zum Alkohol und gegen die konservativ fade klassische Musik hin zum Alkohol und zur Rockmusik. Und »Dur statt Moll« handelt von der Aufmüpfigkeit unter Kollegen im Orchesterbetrieb, wo die Direktiven oft sklavisch sind. Wie in einer Galeere.
Gibt es zwischen den drei »Sätzen« Verbindungsstränge? Außerdem bitte Näheres zu Leopold Schmetterer, dem Namenspatron von van Schmetthoven. Und wird, quasi zu den Europawahlen, auch »Freude, schöner Götterfunken« ertönen?
Es gibt Textpassagen, welche von der Ona B (Anm.: Malerin bzw. Installations- und Performancekünstlerin) vorgetragen werden. Ja, am Ende von Leopold Schmetterers Komposition, wo wir alle Beethoven-Symphonien in 20 Minuten spielen, ertönt »Freude, schöner Götterfunken«. Die Leute werden zum Mitklatschen motiviert, ähnlich wie beim »Radetzky-Marsch«, um allerdings gleich auf einen musikalischen Irrweg geführt zu werden, mit Antonín Dvořák und Gioachino Rossini. Leopold Schmetterer war jahrzehntelang Solobratschist des Tonkünstlerorchesters, Anton-Bruckner-Forscher und hat immer komponiert. Jetzt hat er für unser Ensemble dieses Werk geschrieben (alle Beethoven-Symphonien in 20 Minuten) und ist in Union mit Beethoven unser Namenspatron geworden – Schmetthoven.
Kennen Sie Vergleichbares zum Fellowship-Programm »BeBeethoven« der deutschen Kulturstiftung des Bundes, das jungen Komponist*innen die Möglichkeit gibt, mit neuen Technologien das Komponieren im Sinne von Ludwig van Beethoven zukunftstauglich weiterzutreiben? Es wurde damit u. a. Holly Herndons Auseinandersetzung mit KI finanziert. Künstliche Intelligenz (Hardware und Programmierung) fungiert bei Herndon als weiteres, substanzielles Bandmitglied Spawn. Das aktuelle Album »Proto« der in Berlin lebenden US-Komponistin ist genial und ihr Chorkonzert meets Elektronik beim Donaufestival war ein absolutes Highlight.
Ich habe erst jetzt die Musik von dem Holly Herndon erstmalig gehört und muss mich damit noch genauer auseinandersetzen. Allein die Geschichte und Idee ist schon sehr interessant!
Link: www.schmetthoven.com
Link: www.viertelfestival-noe.at