Experimentelle Musik, wenn man es so nennen darf, hat den Vorteil, dass sie – auch wenn’s manchmal knarzt im Gebälk der Akkorde – immer ein bisschen unberechenbar ist. Das schraubt etwaige Erwartungshaltungen herunter, man hält inne und die snobistisch vorwurfsvoll gerunzelte Miene verwandelt sich in ein kindliches Honigkuchenpferdlächeln: Aus der Irrung von Misstönen und Trogtälern der Dissonanz quillt ein wonniges Licht. Es strahlt die Resonanz – mit dem Raum, mit dem Publikum, und bisweilen mit dem simplen Wohlklang.
Nicht bekannt ist, inwieweit die Akteur*innen das selbst planen (können) oder ob sie sich improvisierenderweise selbst damit positiv überraschen. Genau dann nämlich freut sich auch das Musikempfinden über neue Wege durchs Groove-verwöhnte Großhirn. Schlimmstenfalls sitzt man ein Set durch und lässt sich berieseln, ohne bewerten zu müssen, ob einem das gerade gefällt oder nicht, das kann ja mal passieren. Best-Case Scenario ist aber, dass es zu neuen Klängen kommt, die man auch von Tonträgern nicht haben kann, weil man die Freude der Musiker*innen über das eben neu Entdeckte mitbekommt. Live eben.
Interessanterweise ist mancher Menschen Musik aber durch-konzertiert und folgt einer strengen Anleitung für Tongebilde, deren Aufbau Architekt*innen benötigt, die ihr Handwerk beherrschen. Die auch benennen können, wie und wodurch man diese Effekte herbeiführt. Wie zum Beispiel bei Rhys Chatham. Zuletzt gastierte dieser 2007 in Wien, was skug damals eine Coverstory in #78 wert war. Selbst Laien können bei Chatham nachlesen, wie die Noten arrangiert werden müssen und wer im »Guitar Trio« (1977) welche Rolle übernehmen soll.
Aus obigem PDF bitten wir um schmunzelnde Aufmerksamkeit für folgende –aus dem Kontext genommen keineswegs sinnfreien – Zeilen: »In this century (the 21st), it has never taken more than an hour to teach G3 to everyone’s satisfaction and comfort level. So please don’t worry about anything.« Rhys Chatham spielt am Donnerstag, dem 12. Mai 2022 im Replugged in Wien – nicht im Trio, sondern im Duo mit dem französischen Komponisten, Gitarristen und Vokalisten David Fenech. Es müssen ja nicht immer 400 Gitarren sein.