Theater in den öffentlichen Stadtraum und Wohnungen transferieren, Haiko Pfosts von Berlin nach Wien importiertes Projekt, ging auch im Stuwerviertel -das infolge Prostitution in Verruf geraten ist, jedoch allmählich auch einem Gentrifizierungsprozess unterworfen wird – auf.
Beklemmung versus Amüsement
Im karibischen Restaurantcafé Santo in der Stuwerstraße 37 wird den nur paarweise zugelassenen Tourgängern ein Plan ausgehändigt, der in Worten exakt beschreibt, wohin der Weg führt. Dermaßen durchmisst man im Lauf des Spätnachmittags beinahe jede Ecke des Stuwerviertels, was durchaus Einblicke in dortigen Lebensraum und Infrastruktur gewährt. Also kann man sich im Vorbeiflanieren ein Bild machen: Durchaus lebenswert ist es im mit Migranten durchmischten Stuwergrätzel mit seinen Zinshäusern aus der Gründerzeit, Gemeindebauten aus den 1920er und 1930er Jahren sowie neuen uninpiriert-hässlichen Sozialbauten und Bürohochhäusern. Tour B führt zunächst ins Haus Handelskai 206, wo Anat Stainberg Assoziationen an den Wohnungsraub unter dem Naziregime hochkommen lässt. Zwei Bewohnerinnen verstecken sich mit meiner Begleitung und während des Suchens mit Taschenlampen ertönen Sirenen und unbehagliches Hundegebell. Unweigerlich wird einem gewiss, dass man im Spiel die Rolle eines SS-Schergen eingenommen hat. Bleiben wir also auf der Fährte gegen widerfahrendes Unrecht. Gegenüber der Feuerwache, im ziemlich devastierten Haus Engertstraße 223, befindet sich die Wohnung eines Asylanten. Susanne Kudielka & Kaspar Wimberley thematisieren dort die Missstände des Asylrechts. Während man die ärmliche, eine verstörende Stimmung verströmende Substandardwohnung des Asylanten Samuel Belkaows ansieht, hört man Erörterungen über das verschärfte Asylrecht in Üsterreich. Im ca. achtreichsten Staat der Welt beginnt man sich zu schämen, wie übel Menschen mitgespielt wird, die flüchten mussten. Eine Selbstverständlichkeit dann, dass man die im Vorzimmertisch liegende Petition für die lebenslange Aufenthaltsgenehmigung in Üsterreich für Herrn Belkaows unterzeichnet.
In der Feuerbachstraße 5/12, mit wunderbarem Ausblick auf den Ilgplatz, befindet sich eine wohlstrukturierte Altbauwohnung. Sie steht leer, doch ein Zimmer ist vollgeräumt mit Reliquien, Alltagsgegenständen. Ein Fahrrad lehnt an der Bibliotheksstellage, die hauptsächlich polnischsprachige Literatur enthält. In einer Wand ertönen spooky Geräusche, die irgendwie publik machen, dass es sich um die Wohnung eines Herren handelt, der eines Tages spurlos verschwunden ist, jedoch die Wohnunsmiete weiterzahlte. Alles erscheint stimmig, Alexandra Berlingers und Wolfgang Fiels »tat ort« ist voll Poesie.
Eine wundersame Altbauwohnung ist auch jene in der Stuwerstraße 1-3, wo einem nicht nur zwei Bäder (eines von Hundertwasser, das andere türkisch) gezeigt werden, sondern die Belegschaft seltsame Charaktere bietet. Eine junge Frau stellt mit hämischem Gelächter über ein am Boden platziertes Freilandei den Bezug zu den Freiern des Stuwerviertels her. Ihre Schwester stellt Opernliebhaberin Konstanze Hollweg, die großzügige Gastgeberin, dar, während der Bruder ein Rausschmeißer zu sein scheint. Dann wird eine kurze Opernaufführung gegeben. Ein Pianist trifft nur zwei Tasten und Radiogerät, CD-Player und Plattenspieler intonieren nach und nach eine Oper. Ein Hund auf dem Sofa heult eine Arie. Breiter, grauer Pfauenschlussvorhang des Pianoman für Angela Richters Wohnraumtheater!
Orgiastiak versus Askese
Weniger einprägsam: die kunstvoll unordentlich übereinander geschichtete Kunstbuch-Orgiastik in der Ausstellungstraße 31. Anke Philipp & Doris Dziersk ließen die gestapelte Buchlandschaft mit engelsgleichen Pappfiguren drapieren. Wieder sollten Taschenlampen Licht ins Dunkel bringen. Man könnte auch mit der anwesenden Wohnungsinhaberin sprechen, verlässt diese wohl auch dem Stuwerviertel Referenz erweisende Exibition aber bald, um sich lieber an Ann Liv Young am Mexkioplatz 12 zu erfreuen. Es handelt sich um den Eingang zur Trinitarier-Klosterbibliothek und von einer stummen Assistentin wird man zur Audienz in den ersten Stock geleitet. Im Klosterzimmer erwarten uns ein Kameramann, der alles mitfilmt, Devotionalien (DVDs, T-Shirts von Ann Liv Young) sowie verführerische Süßigkeiten. Zur Stärkungen nehmen wir nicht Schokorumkugeln, sondern saure Fruchtgummiratten. In der ansonsten asketisch anmutenden Räumlichkeit kniet Ann Liv Young im adrett-gesitteten Kleid demütig vor uns, und locker bringt sie uns dazu, eine Beichte über unsere Sexualität abzulegen. Nachdem sie Lust gepredigt hat wurde anstatt eines Rosenkranzes Sex aufgetragen. Begeisterung und Lebensfrohsinn stecken in der in anderen Projekten bis an pornografische Grenzen Gehenden.
Nach diesem kurzweiligen, geistsprühendem Gespräch ab zum Schlussbild: Am Max-Winter-Platz 3 stellt uns eine Frau (Franziska Faust) im Gespräch den jungen, vereinsamenden Matthias (Matthias Lenz) vor. Er taucht vor dem Haus mit dem Fahrrad auf, klagt dann im leeren Wohnzimmer sein Leid und schafft es – gemäß seinen Worten aus dem Off im Nebenraum – nicht, aus seinem qualvollem Sich-Auf-Der-Stelle-Befinden auszubrechen. Sein Kreuzweg ist nach Bobo Jelci? & Natasa Rajkovi? noch lang nicht zu Ende, doch unserer, ein unbeschwerter, nach beinahe drei Stunden. Aus- und Aufatmen am Weg zur U2 Messe. X Wohnungen war summa summarum eine (ereignis)reiche Erfahrung mehr. Und das Stuwerviertel haben wir nebenbei auch kennengelernt.