© Jayne Helliwell
Es ist neu. Es ist alt. Es ist eins. Es ist vieles. Es ist… es ist vor allem ein gutes Zeichen, dass derzeit schwere Deutungsscharmützel darüber ausgefochten werden, wie jene Musikrichtung kategorisiert werden kann, die sich stilistisch vielen Strängen verpflichtet fühlt und entsprechend begrifflich schwer zu fassen ist. 130, 2Step, Urban, (UK) Funky, Post-Dubstep, Blush-Step und Future Garage: das alles sind Vorschläge, die je für eine bestimmte Interpretation von UK Garage stehen und gleichermaßen Deutungshoheit über britische Bass-Musik beanspruchen. Das ist erfreulich, zeigt es einerseits ein breites Spektrum und das Potenzial von bemerkenswerten Musikstilen, die wegen ihrer ungekannten Vielseitigkeit noch nicht mit einem eindeutigen Genre etikettiert werden können – der Aushandlungsprozess über etwaige Schubladen ist nach wie vor im Gange. Und erfreulich andererseits, weil so sich eventuell für Dubstep verhindern lässt, was sowohl Drum’n’Bass wie auch Nuskool-Breaks vor Jahren widerfuhr: sich an der eigenen engstirnigen Exegese von Bass zu verschlucken.
Der funky Cousin von Dubstep
Von den oben genannten Stilen genießt »UK Funky« (oder auch nur »Funky«) als Bezeichnung vermutlich die breiteste Zustimmung und als Genre auch die meiste Aufmerksamkeit. Funky ist quasi Dubsteps nicht ganz so verkopfter Cousin, der neben den Raves in UK und Dances in Jamaika auch beim Karneval in Rio mitmischte und damit bei den Mädels zu Hause angibt. Denn mit dem Drive der geraden Bassdrum, dem Destillat aus funky House, bassigem UK Garage und charakteristischen lateinamerikanischen Grooves, versprüht er nicht nur bei den Ladies seinen ganz eigenen, beflügelnden Charme. Cheesy Chords und Synths können passieren, müssen aber nicht, das wissen wir spätestens seit Sbtrkt.
Der Londoner DJ und Produzent, der selbst auch asiatische und afrikanische Wurzeln hat und diese durch das Tragen traditioneller afrikanischer Masken repräsentieren möchte, kapriziert sich in seinen Stücken und Remixen nicht mehr nur auf eine Form des Rhythmus: straighte Four-to-the-Floors finden ihre Gegenspieler in bratzigen Breakbeats genauso wie in hinkenden Halfsteps, alles eingebettet in eine warme, soulige Klangstruktur, ohne Angst vor weiblichen oder gar männlichen Vocals oder beliebiger Spaciness. Seine gelungene Version von Goldies Anthem »Inner City Life« war der Ritterschlag, nachdem ihn LTJ Bukem in den Sattel gehievt hatte; der internationale Durchbruch gelang ihm dieses Jahr spätestens mit seinem Beitrag auf der aktuellen Kompilation »Modeselektion« von Modeselektor, welche in ambitionierter und vielseitiger Form des Verhältnis von Dubstep und Techno zwischen London und Berlin auszuloten sucht.
Wie klingt dann Dubsteps Zukünftige?
Während sich SBTRKT von der Geschwindigkeit her bei 130 BPM und der Soundästhetik mehr an House orientiert, versucht der ebenfalls aus London stammende Newcomer Duffstep eine schnellere Variante davon zu etablieren, die noch stärker die Kombination aus Clave-Rhythmus und tragendem Bassteppich in den Fokus nimmt. Der Sound von Jeremy Duffy, so sein bürgerlicher Name, provoziert förmlich dazu, ihm den Aufkleber »Future« zu verpassen, und das obwohl seine Tracks alle nur denkbaren retroiden Reminiszenzen an 2Step-Shuffles, rollende Ghost Notes und Pianoelemente in sich trägt, derentwegen man auch ohne schlechtes Gewissen von UK Garage alter Zunft sprechen könnte. Das Arrangement überzeugt: Duffsteps »Know you« ist für mich das schönste Liebeslied auf dubsteppisch seit Joy Orbisons »Hyph Mongo«, ein seit langer Zeit wieder mal erfrischender Dubstep-Schieber, der ohne das übliche Bassline-Bizniz auskommt.
© Matthew Broughton
Garage? I don’t care about Garage
Seit DJ Zincs »Hold On« und »138 Trek«, die sich für die britische Bass-Musik als wegbereitend heraus stellen sollten, sind mittlerweile zehn Jahre vergangen. Präfigurierend deshalb, weil Zinc schon damals das Raue im Grime und später im Dubstep mit der milden Cheesiness des 2Step und Garage miteinander verschmolz, Jahre bevor beide Stilrichtungen sich je zu einem eigenen strammen Ast auswuchsen. Ein gemeinsamer Stil macht natürlich vergleichbar und im Vergleich kommen nicht alle gut weg. Ein unvergleichbarer Sound muss es sein, wie sich MC Wiley dachte, als er in »Wot U Call It?« 2004 seine Irritation über eine neurotisch gewordene Track-Kategorisierung zum Ausdruck brachte: »Wot u call it? Garage? Garage… I don’t care ‚bout Garage, listen to this, it don’t sound like Garage. / I heard they don’t like me in Garage cause I use their scene but make my own sound. The Eskimo sound is mine recognise this, it’s mine!« Garage blieb lange Zeit diese Referenz-Klarsichtfolie, in die alles eingewickelt wurde, was mit Bass zwischen 130 und 140 BPM zu tun hatte. Selbst wenn es Äpfel und Birnen waren. Dann kamen fünf Jahre Dubstep und nun stehen wir wieder an der Schwelle zu etwas Neuem. Noch kennen wir nur die Konturen, aber eins ist schon jetzt klar: es wird mit Bass zu tun haben.
Anspieltipps:
Sbtrkt: »Timeless« (White Label/Eigenpressung)
Duffstep: »You know / More Lies« (Saigon)
Cosmic Revenge: »Cold Hearted EP« (Fortified Audio)
XXXY: »Every Step Forward« (Fortified Audio)
Sully: »Duke St Dub« (Mata-Syn)
Starkey: »Rain City« (Rwina)