Gefragt, ob er rückblickend etwas bereue oder hätte anders machen wollen, antwortete David Thomas einmal sinngemäß: Nein, Pere Ubu seien wie ein Becher, ein Gefäß, und egal, was darin eingefüllt werde, und unabhängig von der Perspektive, aus welcher man auf den Becher schaue, es bleibe so oder so ein Becher. Je nachdem, wie der Becher in den Blick gerate, möge er mehr oder weniger attraktiv oder hilfreich erscheinen, und, von unten betrachtet, eventuell nicht als Becher erkannt werden – völlig gleich, es bleibe ein Becher und, egal wie man es drehe oder wende, ein Becher sei ein Becher, und so begreife er Pere Ubu. »Das Wahre ist das Ganze«, Hegel. Es ist angemessen, das Werk von David Thomas in dieser philosophischen Perspektive und Tiefe zu betrachten. Der amerikanische Musiker war der Kopf von Pere Ubu, einer Formation, die, nimmt man Thomas’ früheres und im Laufe der Jahrzehnte sporadisch reanimiertes Projekt Rocket From The Tombs hinzu, Proto- und Post-Punk war – ganz in dem Sinne des Bechers: Vollendet von Beginn an und permanenter Veränderung unterworfen. Und so wenig David Thomas von Pere Ubu zu trennen ist und der Sound der Band, auch wenn er dem Wandel unterlag, immer unverkennbar blieb, so wenig kann abschließend gesagt werden, wer David Thomas war, auch wenn man ihn immer sofort erkannte.
An dieser Stelle kann gleich der Vergleich zu Bob Dylan mitgenommen werden. Thomas war ebenso a »complete unknown« wie »instantly recognisable«. Und wie bei Dylan hielt jede Geste des Sich-Entziehens und jede neue Gestalt, in der Thomas sich und seine Bands präsentierte, das zugeneigte Publikum bei der Stange. Im Vergleich zu His Bobness war das zahlenmäßig kleiner, aber das tut nichts zur Sache. Nimmt man noch David Thomas & Two Pale Boys in den Blick, das Trio, in dem Thomas vor allem in den späten 1990er- und 2000er-Jahren aktiv war und das personell irgendwann mit Pere Ubu verschmolz, so steigt die Erinnerung an den anderen jüngst verstorbenen David ins Bewusstsein: David Lynch und dessen dunkel-romantische und nostalgische Vorstellung eines von verlorenen Träumen, unterdrücktem Begehren, idealisierten Darstellungen und verblassenden Erinnerungen durchzogenen Amerikas: »We all live in ghost town. The importance of a ghost town is it goes with you wherever you want to go, it is with you. So the ghost town that is Cleveland is still with me, I can’t get rid of it. It’s not like I even have a choice«, sagte David Thomas in einem Interview über die Stadt, in der sein künstlerischer Ursprung liegt. Auch Twin Peaks ist, wie Cleveland und Dutzende andere Orte, an die Thomas in Gedanken und unzähligen Songs wiederholt zurückkehrte, ein Ort des Imaginären: »Erewhon, Nowheresville«, (pseudo-)historische Erinnerungsstätte und Seelenlandschaft, verlassen und bevölkert zugleich. Sehnsuchtsort und Hölle in einem, in Gedanken und (Alb-)Träumen existent und zu bereisen – auch bzw. erst recht vom britischen Brighton aus, wo David Thomas seit Langem und bis zuletzt lebte.
Hegel, Dylan, Lynch. Drei mögliche Perspektiven auf David Thomas. Die Komplexität und der Beziehungsreichtum um die thematisch wiederkehrenden Motive in David Thomas’ künstlerischem Schaffen können auch mittels der Lektüre seiner Schriften veranschaulicht werden. Ein Ensemble verlorener und getriebener Seelen, die Stätten ihres Scheiterns und Sehnens wiederholt heimsuchen, bevölkert »The Book of Hieroglyphs«. In den dort abgedruckten Songtexten, Gedichten und anderen Dokumenten, kommt auf mehrfach codierte und gleichermaßen poetische wie kryptisch anmutende Weise die »Methodik« von David Thomas zum Ausdruck. So beseelt wie besessen klappert er die Schauplätze menschlicher Tragödien ab, beschreibt das Scheitern zwischenmenschlicher Kommunikation, die Welt wie er sie (nicht mehr) (er)kennt und reflektiert darin immer wieder auf die existenzielle Einsamkeit und universelle Verlorenheit als individuelle Voraussetzung, unausweichliche Realität und Resultat allen menschlichen Seins. Ein Beispiel:
Letter Home #2
I hadn’t heard anything
The note said he’d gone to work a deal in heaven
Which had me worried, as you can imagine.
Next thing I get a phone call
I say, Where are you?
He says he’s calling from a phone booth out in the desert
and how there’s halos appearing over the lampposts
and a holy water mist is rising from the orange groves
It was all crazy talk like that.
Cut the poetry crap, I say
He says the bus is leaving, he’s gotta go
and he hangs up.
Next morning, I get a postcard
‘Soda Mountain In The Moonlight’
On the back he’s written,
Yeah
Yeah
Yeah!
What do you think?












