Posthumane Automaten
Footwork, der neueste und heisseste Scheiß aus Chicago macht aus Dubstep ungefähr dasselbe wie jene Filmschnipselzusammenschnipsler auf YouTube, die alle »Fucks« aus »Good Fellas«, »Casino« oder »Scareface« hintereinander stellen. Wobei Footworking bzw. Jukin‘ als Tanzstil dabei way back bis hin zu den Jazztänzen der Swingära geht, sich seine aktuellen Inspirationen jedoch vor allem aus einem transatlantischen Hin-und-Her-Gewusel zwischen HipHop, Houseabstraktionen, Mash-Ups und eben auch Jungle, Grime und Dubstep holt.
Nach CDs von DJ Nate (»Da Trak Genius«) und DJ Roc (»The Crack Capone«), versammelt nun der Sampler »Bangs & Works, Vol.1: A Chicago Footwork Compilation« 25 (!) Tracks, die in einem durchgehört schon leichte Gleichgewichtsstörungen erzeugen können. Und hier stellt sich nun doch ein ??post?? in den Weg und verkündet: machine rocks! ?? als ginge es darum all den Diskursen zu sonischen Maschinen, die von selber spielen, eine noch radikalere Wendung zu geben, indem der Wunsch nach einer posthumanen Zukunft nicht nur von Maschinen bedient, sondern geradezu übernommen wird.
Und das zeigt sich vor allem bei den (meist weiblich codierten) Pop- und R&B-Vocal-Samples, die einer entscheidenden Charakteristik von Stimmsamples beraubt wurden: Sie stellen nicht mehr körperlose, akusmatische Stimmen auf der Suche nach einem Körper dar (wie etwa Disco-Diven die z. B. männliche Körper queeren). Viel eher fungieren sie nur noch als auf CDs, Festplatten oder im Cyberspace vorgefundene Sprachrelikte die in (oder besser von) kybernetische(n) Maschinen inkorporiert werden.
Machine rocks
Und die machen sich einen Spaß daraus all das zu untersuchen indem sie es zerstückeln, zerstottern, zerhacken, dehnen, strecken, verbiegen, rauf- und runterpitchen. Vielleicht lässt sich ja doch ein Code herausfiltern (immerhin klingen viele der Vocal-Samples durch ihre Vocoder- und Autotune-Effekte sowieso schon nach nicht eindeutig identifizierbaren Cyberwesen). Und wenn nicht, dann generiert sich aus all dieser herumstolpernden Hektik der ungeraden Loops und Patterns, der feststeckenden, verreckenden Festplatten einfach eine ganz neue Sprache.
Eine posthumane babylonische Sprachverwirrung und Groovevermantschung (wie sie sich Kodwo Eshun nicht wilder ausdenken hätte können), bei der immer gleich mehrere 808s und 606s zwar in time, aber a-synchron durcheinander tuckern und die Handclaps sowieso ein unkontrolliertes Eigenleben führen, die sogar das Posthumane hinter sich lässt, eben weil die Maschinen die Herrschaft bereits übernommen haben (zumindest in der Musik): Wenn die Maschinen rocken, müssen die Menschen tanzen.
Das zeigen auch die vielen Anspielungen an Horror- und Sci-Fi-Themen (mit Tracktiteln wie »Whea Yo Ghost At, Whea Yo Dead Man«, »Teknitian«, »Star Wars«, »Freddy Vs Jason«, »Halloween Wurks«, »Freakazoid«), die dabei immer offen lassen, ob es nun um ein Bedrohungsszenario oder um afro-futuristisch resignifizierte Identifikationsangebote handelt (oder ob es weniger um »Terminator» als um »Futurama» geht – Juke ist keine Musik, die zum Lachen in den Keller geht). Sind hier nicht auch lauter kleine Dr. Funkensteins als sonische mad scientists am Werk? Nur geht es hier nicht mehr um »Future« im Sinne einer auch jenseits der Musik möglichen (bessern) Welt. Bzw. sind solche Konzepte (trotz oder wegen Obama) nicht mehr so einfach zu haben, geschweige denn vorstellbar.
Kraftwerk die Beine brechen
So wenig die Musik nun sozial geerdet oder gesellschaftlich gespiegelt werden soll, so sehr hat sich die Abkehr/Enttäuschung in Sachen Erlösung in jedes Soundpartikel eingeschrieben. Nicht als Leiden, sondern als ewiges Intro ewiger Breaks, das keine Erlösung im und Entspannung nach dem Climax mehr kennt. Das alles ist nicht mehr zu haben, ist eine Lüge, für die gerade die Soul- und R&B-Fundstücke verantwortlich gemacht werden. Nur, auch wenn all die Samples aus dem Fundus afro-amerikanischer Popmusik teilweise wie Geiseln beim Verhör behandelt werden (und dazu gehören selbstverständlich auch Kraftwerk, denen beim »Computer Funk« im 3/4-Takt die Beine gebrochen werden), werden sie nicht verworfen, sondern in den wenigen heller leuchtenden Momenten (also wenn es mal nicht gleich »Total Darkness« heißt) quasi quantenphysikalisch einem Update unterzogen und nicht einfach zerstört (auch wenn sich DJ Nates Radikaldekonstruktion von Marvin Gayes »Sexual Healing« erstmal so anhören mag).
Das kann durchaus auch als booty Ghetto-Tech-Soul verlorener Seelen im Sinne eines Verlustes von »Soul« durchgehen. Als erneute Mutation abstrakter, entsubjektivierter/entsubjektivierender Tanzmusik, wie sie in Chicago seit Acid erprobt wird und die beim Erstkontakt dann auch unweigerlich sowohl an die ersten Acid-House wie Grindcore-Erlebnisse denken lässt.
Grindcore wäre auch ein gutes Stichwort zu Witch House, erinnert hier doch einiges mitunter auch an die düster heruntergestimmten und produktionstechnisch meist auch im ultra-Lo-Fi-Keller angesiedelte verlangsamte Grind/Death-Metal-Horrordeformationen von Acts wie Autopsy, Kilslug, Eye Hate God, Upside Down Cross bis hin zu Sunn O))) und den Melvins.
Knusper, knusper, knäuschen …
Wie Footworkin’/Juke geistert der Begriff Witch House spätestens seit Anfang des Jahres durch Blogs und ist wahrscheinlich jetzt schon überholt. Aber was solls? Verbindet diese beiden, auf den ersten Blick wohl nicht so easy zusammenführbaren Styles, doch mehr als zuerst vermutet werden könnte. Beide sind im Prinzip YouTube-Phänomene und hegen eine nicht geringe Vorliebe für Anonymität sowie Horror- und/oder Sci-Fi-Thematiken der expliziteren Art. Speziell bei Witch House funktioniert die alte Regel, dass das was nicht gesehen und nur gehört werden kann, ins Monströse wächst ja erneut sehr super. Referenzhöllen aus/in dunklen, vernebelten Wäldern. Blumenkinder als Children of The Dead, Aleister Crowley mal wieder ein Popheld.
Was jedoch noch mehr auffällt sind musikalische Gemeinsamkeiten, auch wenn sich deren praktische Umsetzungen an den jeweils entgegengesetztesten Polen abspielen. Was bei Footwork auf 300 BpM raufgeschraubt wird, findet sich bei Witch House im Zustand von 20 Schägen pro Minuten. Jungle-Beats kommen da natürlich etwas anders rüber, zudem können bei derart reduziertem Tempo die durch- und übereinanderlaufenden Drum-Boxen und Geister-Handclaps noch viel mehr in die Echokammer gezerrt werden. So finden sich in Witch House-Mixen (zu finden u. a. auf der verdienstvollen Mash-Up/Bastard-Pop-Site 20jazzfunkgreats, deren Betreiben Robin Carolan mit Tri Angle auch das neben Disaro wichtigste Witch House-Label führt) neben Klaus Kinski, Goblin (logisch), Rev. Jim Jones, Fennesz (!!!), Popul Vuh, Psychic TV oder Faust auch Footworker wie DJ Nate. Auch DJ Nate pitcht Stimmen rauf und runter. Das sind dann zwar weniger verwunschene Sirenen-Gesänge böser Zombie-Kinder, ebenso verworfen wird jedoch die Idee einer quasi echten menschlichen Stimme. Sci-Fi meets & greets Horror. Willkommen in der Neigungsgruppe H.P. Lovecraft!
Trans-Lovecraft Energies
Wie überhaupt in den wenigen Interviews, die Witch House-Acts überhaupt geben (und wo sich die meisten natürlich radikal von diesem Begriff abgrenzen) eines auffällt: Es werden weniger länger zurückliegende Referenzen erwähnt (etwa die ultrakrypritischen Horror-HipHop/Dub-Entwürfe aus dem Hause WordSound, die gerade für Spectre-Fans den Zugang zu Witch House sehr leicht machen), als all das, dass auch bei Footworkin‘ schon erwähnt wurde. UK Funky, Hyperdub, Houstons DJ Screw und immer wieder Burial. Dazu Pop subversiv gelesen, in dem HipHop und Digi-R&B jenseits des kommerziellen Appeals als fremdartige sonische Musik verstanden wird (auch bei Missy Elliott tanzen bekanntlich Vogelscheuchen in verwunschenen Maisfeldern, bevor ein Mothership erscheint). Was das wiederum Links zu Dubstep und Future Bass legt.
Eine um Grunde auch etwas kuriose Situation. Denn all die Verschleierungstaktiken (komische Symbole, angedeutete Rituale) und der Ruch hermetisch (ab)geschlossener Geheimgesellschaften steht den offenen Ohren für all das Andere da draußen schier diametral entgegen. Allein die Bandnamen sehen so aus wie bei Juke getanzt wird und verweigern sich jeglicher Herumgoogelei. Zwar sind White Ring, Modern Witch, Mater Suspiria Vision, Creep, Balam Acab, Salem relativ einfach zu finden, aber bei oOoOO, GL?SS ??33??H, PWIN ?? TEAKS, ??????, ///???, ??wird es schon etwas komplizierter.
Ebenso kompliziert erscheint die Zersplitterung von Witch House (als ?berbegriff) in Subgenres wie Ghost Drone (dunkle Psychedelik aus paranoiden Echokammern, die teilweise auch an Detroit-Dub und Basic Channel erinnern), Drag (Abteilung WordSound auf Crunk im 80ties-Euro-Dance-Delirium), Zombie Rave (Edit-Hexenkuchenzerhacken zu straighten Beats) oder Haunted House (Witch House zu Halloween). Wird Letzteres gegoogelt erscheinen dann auch nicht das direkt gesuchte, sondern jede Menge Sampler zum Thema Halloween (meist mit »Songs The Cramps Thaight Us«-Material). Abwegig ist das nicht.
Humor Me
Wie Footwork/Juke mit seinen »Futurama«-Assoziationen, so zeichnet sich auch Witch House mit all seinem Hokus-Pokus-Brimborium durch eine ebenfalls nicht ganz so bierernste
Seite aus. Auch die bitterböse Schwarzblei-Szene hatte mit ihren geschminkten Fratzen ja immer auch den Appeal eines sozial auffälligen Kiss-Kindergartens. ?bertriebene Referenzspielchen sind immer auch Spielchen mit einem jenseits jeglicher praktischen Vernunft angehäuften Wissen. Für den Rest der Welt ist das alles einfach unnütz, unnötig, uncool. Vieles bei Witch House klingt dann auch mitunter so, als würde die Nerd-WG aus der TV-Serie »The Big Bang Theory« statt auf Science-Fiction auf Horror stehen und hätten lange Film-Nächte im Zeichen psychotronischer Trashfilme, diverser Mitternachtskinohits und Amos Vogels »Film als subversive Kunst« hinter sich. Da kann die Hexe von Blair schon mal ins Nachmittagsprogramm rutschen, weil es doch viel spannender ist mit Dario Argento im Hinterkopf die Wicked Witch of The West aus dem Zauberlande Oz durch Benjamin Christensens 1922er Schocker »Häxan« zu jagen (speziell wenn die 1950er-Version mit der Narration von William Burroughs abgespielt wird). Diese und viele andere Bezüge lassen vor allem die Videos auf YouTube vermuten. Das kann natürlich alles nur ein Schmäh sein, um die eigene Musik auszuwerten. Aber erstens funktioniert es, und zweitens macht es Spaß, wenn plötzlich wieder an diesen subversiven Blicken angedockt wird, wo breites Clownsgrinsen auch als blutige Fratze erscheinen kann (womit sowohl Steven Kings »It« wie auch James Ellroys »Black Dahlia« zum Hexentanz geladen werden) und Holzfällerhemden an schlimmste Backwoods-Filme mit grauslichen kannibalistischen Hillbillies erinnern.
Kurz: Wenn auf dem langen nach Hause Weg vom Club durch den dunklen Wald bei H.P. Lovecrafts »Träume im Hexenhaus« Station gemacht wird, steht überhaupt nicht fest, wer da nun wirklich wohnt bzw. heraus kommt. Das kann Kenneth Anger, John Waters, Walt Disney oder Tim Burton ebenso sein Maya Deren wie Jean Genet (etwa bei Salem!).
Horror Me
Witch House schreibt American Gothic als American Ghostic um, evoziert all jene von Steven King und Burroughs immer wieder beschriebenen Urängste des weißen Amerikas (Hausbau auf Indianerfriedhöfen, apokalyptische Reiter usw.) und verortet die »Achse des Bösen« im Inneren: die von den Erstbesetzern selbst eingeschleppte Dämonologie Europas, die ebenfalls fremden, weil quasi unamerikanischen Wesen des frühen Horrofilms (allesamt sadistische wie sexuell wenig zurückhaltende, dabei gleichsam das erotische Begehren des amerikanischen Puritanismus in wilde Angst-Lust versetzende Europeans) und – natürlich – Voodoo (wovon ja auch schon der Gun Club und The Cramps einige Liedchen singen konnten). Das mag gerne als ?berinterpretation in den Mistkübel geworfen werden, stellt jedoch angesichts eines Landes, in dem nationalreligiöse Fundamentalisten ja nicht nur Harry Potter, sondern auch Spongebob für Teufelszeug halten, vielleicht doch nicht ganz unwesentlich Aspekte dar. Auch wenn?s nur darum geht die »Tea Party«-Idioten von nebenan zu erschrecken.
Salem brennt
Klar kann das auch zu esoschnarchigem TripHop oder postmoderner David-Lynch-Mystik werden. Auch geht es im Gegensatz zu Footwurkin?/Juke wo die Voodoo Chiles mittels futurhythzomatischen Maschinen »I Put A Spell On You« anstimmen nicht unbedingt um »Future«, wenn im Hexenhäuschen die Geister mittels Maschinen beschwört werden. Dafür wird mitunter viel komisches Zeugs über »Magie«, die in/mit der Musik zu finden sein soll geredet. Ist vielleicht aber auch nur eine etwas andere Herangehensweise an den von Sun Ra her bekannten »MythScience Approach«. Die Dark-Wave-Fallstricke (voraufklärerische Naturbeschwörungen inklusive) hängen zwar schon in der Gegend herum.
Das gerade erschienen Debüt von Salem »King Night« weist mit seinen Crunk-Beats und pathetischen Lo-Fi-Eiszeit-Dub-Sounds aus dem Crack-Hexen-Haus (in dem mitunter Charles Manson als Blair Witch verkleidet erscheint) ebenso in eine andere Richtung wie Nick Pittsingers um 800 Prozent runtergepitchter Drag-Remix von Justin Biebers »U Smile«. Diese 35 Minuten eines sonisch schier Unbegreiflichen lassen dann auch zumindest eine Unterscheidung zwischen Witch House und Dub zu. Denn wenn es bei Dub darum geht, den Schatten eines Tracks zu finden, dann geht es bei Witch House darum, dessen Phantomen auf die Spur zu kommen. Und solange all die Wicca-Kult-Anspielungen mit Trash-Verweisen konterkariert werden, müssen wir uns sowieso noch keine Sorgen machen.
DJ Nate : »Da Trak Genius«
DJ Roc: »The Crack Capone«
Various Artists: »Bangs & Works, Vol.1: A Chicago Footwork Compilation«
(alle Planet Mu/Trost)
Salem: »King Night« (Sony)
Diverse Hexen-, Geister- und Zombie-Mixe gibt es u.a. auf: http://www.20jazzfunkgreats.co.uk/wordpress/ sowie auf http://fokkawolfe.blogspot.com/