Dabei reicht die Vogue-History, wie Tim Lawrence in seinem erneut sehr lesenswerten Beitrag »??Listen, and you will hear all the houses that walked there before??: A history of drag balls, houses and the culture of voguing« zeigt, zurück bis zum »first queer masquerade ball« in Harlem’s Hamilton Lodge 1869, dem im Laufe der Zeit als erster Höhepunkt eine Party mit über 6.000 Gästen im Madison Square Garden folgen sollte. Auch die »Speak Easy«-Szene der Harlem Renaissance der 1930er Jahre führte diese, wie es Langston Hughes nannte »parade of the fairies« weiter. Kurz: »Harlem was in vogue« (Hughes). Jedenfalls solange, bis das bunte Treiben vom Staat New York wieder kriminalisiert wurde. Erst im Zuge des Civil Rights Movements (dem auch viele spätere LGBT-AktivistInnen angehörten, die sich hier Anregungen für die eigenen politischen Protestformen holten) und vor allem nach den von afroamerikanischen und puertorikanischen (Working-Class-)Drag-Queens angeführten Stonewall Riots 1969 entstanden 1972 die ersten, im Zeichen von »extravagance and glamour« erbauten und von einer »Mother« (gelegentlich auch von einem »Father«) geführten »Houses«.
»It was the queens‘ most baroque fantasies of glamour and stardom, all run on Singer sewing machines in tiny apartments«, so Michael Cunningham 1995 in einem Artikel über die »ball culture« der damaligen Zeit, die wenig später auch in der Paradise Garage zu den DJ-Sets von Larry Levan (selber Mitglied beim »House of Wong«) Einzug halten sollte. Entstanden ist der Name dabei eher durch Zufall beim ersten »Paris Is Burning«-Ball 1981 als Paris Dupree eine Ausgabe der Vogue mit auf der Bühne hatte und damit posierte. Schon ein Jahr später war Voguing der Höhepunkt von Thierry Muglers Show in Paris – für die Design Industries Foundation for Aids Love Ball – im Roseland Ballroom. Daneben haben die Houses jedoch auch eine ganz konkrete soziokulturelle Funktion: Als ??Familien?? stellen sie einen Ort für all jene dar, die sowohl von den eigenen (biologischen) Familien wie von machistischen »real man«-Weltbildern (Black Nationalism, Gangsta-Rap) ausgegrenzt und bekämpft werden, sich dabei jedoch, wie Judith Butler anmerkt, auch selber entlang von »ethnischen Grundsätzen organisieren.«
Just Like A Queen
Die ersten popkulturellen Spuren hinterließ Vogue schließlich 1989 mit gleich drei ebenso bahnbrechenden wie genredefinierenden (House-)Tracks: »Deep In Vogue« von Malcom McLaren & The Bootzilla Orchestra (wo Vogue-Legende Willi Ninja auch im Video erstmal diesen neuen Tanzstil vorstellte), David Ian Xtravaganzas »Elements of Vogue« (inklusive Elementen des Salsoul Orchestra-Hits »Ooh I Love It (Love Break)«) sowie Junior Vasquezs »Just Like A Queen by Ellis«. 1990 kam dann Madonnas, von Salsoul-Remix-Urgestein Shep Pettibone wiederum sehr an »Elements of Vogue« angelehnte Hitsingle »Vogue« (Anfang 2012 erscheint via Soul Jazz übrigens eine 2CD-Box mit klassischen Vogue-Trax). Damit wurde Vogue nun zwar populär und quasi in den Mainstream reingelassen, aber es begannen auch die Probleme. Zwar hatte Madonna erneut eine sexuell anders denkende (Club-)Subkultur quasi ??out of the closet?? geholt (wofür wir ihr auch ewig dankbar sein werden), aber gleichzeitig stellte sich nicht nur die afroamerikanische Feministin bell hooks die Frage »Madonna – Slavenhalterin oder Soul Sister?« Vielleicht steht dieses Kapitel der Vogue-History ja exemplarisch für die äußerst komplexe Frage nach dem Preis, der dafür zu bezahlen ist, wenn Subkulturen aus ihrem Versteck (das ja auch – positiv – als Nische, als Freiraum, als Ort direkter, abhörsicherer, sozialer Kommunikation und Interaktion gedeutet werden kann) herauskommen (heraus geführt werden). Neben McLaren, dem Madonna einfach die TänzerInnen (darunter Luis & Jose Xtravaganza) für ihre »Blond Ambition«-Tour und die darauf folgende Doku »In Bed with Madonna« gleichsam von der Bühne wegshanghait hat, findet auch Junior Vasquez keine freundlichen Worte: »Madonna never came back to the Sound Factory after the tour. She was over vogue.« Noch problematischer gestalteten sich die Debatten um Jennie Livingstons zwischen 1986 und 1989 gefilmter Doku »Paris Is Burning« (1990). In ihrem fast zeitgleich mit der oben erwähnten Madonna-Kritik erschienen Text »Brennt Paris?« nennt bell hooks den Film eine erneut typisch weiße »Vereinnahmung schwarzer Erfahrungen«. Zwar wird hier eine sexuelle und ethnische Subkultur sichtbar, aber dominiert, reguliert und kontrolliert wird das alles durch einen weißen, ebenso rassistischen wie sexistischen Blick auf »die Welt der schwarzen schwulen Tuntenball-Kultur«, so das vernichtende Fazit.
Subversive Moments
Tim Lawrence weist in seinem Text jedoch auch auf »the leading queer theorist« Judith Butler und ihren Text »Gender Is Burning: Fragen der Aneignung und Subversion« (erschienen in »Körper von Gewicht«, 1995) hin. »Paris Is Burning«, schreibt Butler, »lässt daran zweifeln, ob das Parodieren der herkömmlichen Normen ausreicht, um sie zu ersetzen; ja im Grunde genommen kommt die Frage auf, ob die Entnaturalisierung des sozialen Geschlechts nicht möglicherweise gerade das Vehikel für eine erneute Festigung hegemonialer Normen sein kann.« Wir kennen das ganz banal auch von all den Drag-Queens und schrillen Promis, die im (Privat-)TV vorgeführt werden, um zu beweisen wie tolerant doch der Mainstream ist. Dementsprechend fungiert Voguing für Butler (beinahe exemplarisch) ebenso als »wirkungsvoller Aufstand« wie als »schmerzliche, erneute Unterordnung«, zwischen »dem fiktiven und dem instabilen Status des körperlichen Ichs«, die sich als »Störungen« dem »Gesetz« (Lacans »Name-des-Vaters«) entziehen oder diesem zumindest zu einer veritablen Krise verhelfen wollen. Daher ist es sicher kein Zufall (und auch weit mehr als ein weiteres retromanisches Accessoire) wenn gerade im Umfeld dezitiert queerer Acts wie Hercules & Love Affaire Voguing erneut aufgegriffen und queer aufgeladen wird, nachdem Paris quasi niedergebrannt ist, wie es die New York Times einmal formulierte. Wer jetzt glaubt, hier werde Disco wieder mal ??verintellektualisiert??, soll sich einfach die mannigfaltigen Butler-Exegesen im Interview-Teil (u. a. mit Hector Xtravaganza, Kevin Ultra Omni, David Ultima, Danny Chislom, Tommie LaBeija, Robbie Saint Laurent) des Bandes durchlesen. Von all dem zeugen jedoch auch die Bilder von Chantal Regnault, die weit mehr als Schnappschüsse einer exotischen Subkultur sind. Seit Verette Coblers 2004 erschienenen Bildband »New York Underground 1970-1980« gab es wohl selten so intime wie beinahe nach Musik klingende Bilder queerer Lebensentwürfe im Disco/House-Universum. Wie beide Bände auch schmerzlich daran erinnern, dass viele AkteurInnen auf den Bildern später an AIDS gestorben sind. Auch hier ist die Liste lang (Angie Xtravaganza, Dorian Corey, Avis Pendavis, David Ian Xtravaganza, Pepper LaBeija, Willi Ninja, Octavia St Laurent, Paris Dupree).
Stuart Baker, Chantal Regnault (Hg.): »Voguing And The House Ballroom Scene Of New York City 1989-92«, Soul Jazz Books 2011, 208 Seiten, ca. EUR 27,-