Der Profi-Voyeur der Popkultur, Andy Warhol, mochte Rock-’n‘-Roll-Musik. Einer seiner Lieblingssongs war der homoerotische 60s-Smash-Hit »Sally Go ‚Round the Roses« von The Jaynettes, und er war begeistert von der Idee, seine visuellen Vorstellungen mit intensiver Musik zu verbinden. Er entdeckte dann tatsächlich eine kongeniale Band, die er in einem Interview mit der Eiscremesorte Vanille beschrieb und für seine Zwecke perfekt instrumentalisieren konnte. Filmemacher Paul Morrisey, in den 1960er-Jahren »das dritte Auge und der rechte Arm« Warhols, hatte sie für ihn gescouted: The Velvet Underground.
Von Exploding Plastic Inevitable …
»Die ganze Pop-Idee besagt doch, dass jeder alles kann. Aus diesem Grund waren wir auch alle, als wir Ende 1965 The Velvet Underground trafen, dafür, ins Musikgeschäft einzusteigen«, so »Drella« (ein Mischwesen aus Dracula und Cinderella), wie Warhol von seinen Intimi auch genannt wurde. Seine Simultan-Filmvorführungs-Performance-Eskapaden gingen als »Exploding Plastic Inevitable« in die Rockshow-Geschichte ein.
»In den Begriffen exploding, plastic und inevitable ist aus der Perspektive der Apokalypse tatsächlich alles zusammengefasst, der Ursprung des Universums und dessen Gehalt, die Unbeständigkeit der Form sowie der unausweichliche Verfall, die Entropie, das Ende«, philosophierte sich The-Velvet-Underground-Gitarrist Sterling Morrison in den 1980er-Jahren die Veranstaltungsreihe in Erinnerung und führte weiter aus: »Wir fingen an, dunkle Brillen zu tragen, weil uns die Lightshow gelegentlich in den Augen blendete. Jeder aus dem Publikum konnte raufkommen und die Scheinwerfer bedienen. Wir spielten einfach drauflos, während um uns herum das Chaos tobte, ohne dass wir die Kontrolle darüber hatten. Es war nicht so wie bei den späteren Rockshows, die sehr reglementiert sind.«
Der Konzeptkünstler Walter de Maria erinnerte sich folgendermaßen an dieses Film-Musik-Tanz-Spektakel: »Neben dieser ganzen Ûberdrehtheit und fiebrigen Energie hatten die Musik und die Filme und die Leute auch etwas sehr Ernsthaftes an sich. Es war eine Atmosphäre von Lebenswut und Tanz. Die Gegenwart leuchtete in freundlichen Farben.«
… zu Imploding Portraits Inevitable
50 Jahre später: Chris Haring, der künstlerische Leiter der Wiener Performance-Gruppe Liquid Loft, nimmt diese Reizüberflutungs-Events namens Exploding Plastic Inevitable und diverse Warhol-Figuren aus dem Split-Screen-Experimental-Episoden-Film »The Chelsea Girls«, um die dreiteilige Performance-Serie »Imploding Portraits Inevitable« zu kreieren (»Shiny, shiny«, »False Colored Eyes«, »Candyʼs Camouflage«). Der Titel »Shiny, shiny« bezieht sich auf eine Lou-Reed-Textpassage aus dem Avantgarde-Drone-Rock-Song »Venus in Furs« von der ersten (von Warhol produzierten) The-Velvet-Underground-Platte. Der erste Teil der Liquid-Loft-Serie »Imploding Portraits Inevitable« hat am meisten Bezug zu Andy Warhols Split-Screen-Projektionstechnik genommen. »Warhol hatte ja den Körper als Kunstobjekt hingestellt, ihn geframed und vergrößert und so eine andere Sicht auf eine Person erzeugt. Man kann seine Experimental-Filme somit auch choreografisch interpretieren. Er hat die klassische Portraitmalerei um eine Dimension weitergedacht«, erklärt Chris Haring, der sich als Ideengeber, Caretaker und im Endstadium einer Produktion Zusammenfüger der Einzelteile (also eigentlich im weitesten Sinne als Komponist, componere = zusammenfügen) von Liquid Loftschem versteht.
Im Live-Screenplay von »Shiny, shiny« geht es um Feedback, Spiegelungen und Vervielfältigungen der Bewusstheits- und Spielebenen, die mit einem Performer mitlaufen. Die TänzerInnen verkleiden sich und spielen die Factory-Charaktere nach, sie tragen Perücken der Filmfiguren, erzählen dabei aber doch eigene Geschichten. Andreas Berger, Live-Sounddesigner der Gruppe Liquid Loft, verrät weitere Zutaten der Klangcollagen des »Shiny, shiny«-Stückes. Zum einen ein Drone-Stück von Dream Syndicate. John Cale, La Monte Young, Marian Zazeela und Tony Conrad meditieren eine Schallplattenlänge lang über Summtöne und Violine- und Viola-Drones. »The Gift« von der zweiten The-Velvet-Underground-Platte »White Light/White Heat« ohne Gesang (übrigens gibt’s von »The Gift« eine Austropop-Version, man vergleiche die Lou Reed-Geschichte mit Ludwig Hirschs »Das Geburtstagsgeschenk«) sowie Teile aus dem brachialen »Sister Ray« wurden verwendet, Chelsea-Hotel-Gefluche diente als Atmo, Rauschen und Filmschnitt-Knackser wurden ebenso wie der Striptease-Song »Mama, Look At Me Now« von Geri Miller vom Film »Trash« von Andreas Berger implementiert. Die legendären The Velvet Underground bieten nach wie vor Unter- und Hintergründiges, energetische Reibungsflächen für jetztzeitige Pop- und Performancekunst.
Liquid Loft »Shiny, shiny«
24. April 2017, 22:00 Uhr
Tanzquartier Wien, Halle G
www.tqw.at