»Licht.Stück.Bad.Fabrik« © Nagl-Wintersberger
»Licht.Stück.Bad.Fabrik« © Nagl-Wintersberger

Traumland Waldviertel

Das Viertelfestival NÖ setzt noch bis zum 5. August kreative Akzente. Unter dem Motto »Narrnkastl schaun« frönen Kunstprojekte Freiräumen und Utopien sowie Klamauk und Dada. Der skug-Wegweiser durchs Traumland Waldviertel.

Längst eine Institution ist das Viertelfestival NÖ, das heuer noch bis 5. August stattfindet. Das diesjährige Motto »Narrnkastl schaun« ermöglicht, so manches zu spintisieren, aber auch schöne Einblicke in die Landschaft und in Räume, die wiederbelebt werden. Die Einreichfrist fürs kommende Jahr ist übrigens bereits vorbei. KünstlerInnen, Vereine und kleinere Kultureinrichtungen werden 2019 im Industrieviertel ihre Projekte unter dem Motto »Schnittstelle« durchführen.

Grenzüberschreitende Dialektmusik
2018 kann man sich also das Waldviertel zum Schlaraffenland zurechtträumen. Oder gar zurechtbiegen. Karl Edlinger wird dies in »Kremstal trifft Kremstal« gelingen, wo die niederösterreichischen Kremstaler selbige aus dem oberösterreichischen Kremsmünster und Umgebung importieren. Eine kulinarische und musikalische Gegenüberstellung im historischen Ambiente der Burgruine Senftenberg am Samstag, dem 23. Juni. Die Truderinger aus Kremsmünster werden Landler, Polka und Gstanzln kredenzen, während die Lokalmatadore Sauschneider zu musikalisch ähnlich Geartetem gern auch beißenden Spottgesang säen wollen.

»Kremstal trifft Kremstal« © Karl Edlinger

Zum Glück ist das Mundartsingen noch nicht abhandengekommen und dass dies in der Grenzregion Mühlviertel/Oberes Waldviertel weiterhin der Fall ist, ist ein wesentlicher Verdienst von Dir. Erich Krebs und Mischa Niemann. Eine Unzahl von Dialektwortschatzsammlungen ist nicht genug, es geht den Herren nicht nur um Konservierung, sondern um Modernisierungsaspekte. Auch wenn der Klang der Worte und der Musik sich ändert, bleibt es im Kern Musik aus der Region. ProfimusikerInnen und MusikschülerInnen interpretieren Volksmusikstücke aus Niederösterreich, aber auch bekannte Traditionals aus aller Welt, und spielen diese für eine CD ein. Live-Präsentation von »Bis über die Grenzen« an zwei Freitagen um jeweils 20:00 Uhr: 27. Juli, Arbesbach und 3. August, Groß Gerungs.

Tags darauf, am 28. Juli, steigt gleichfalls um 20:00 Uhr in Pölla eine närrische Nacht in der Ruine Dobra. 25 BlasmusikerInnen des Musikvereins Pölla treffen auf das Jazz-Volxmusik-Quartett Stelzhamma und loten das Festivalmotto in Richtung fantasievolle, spontane Improvisationen und expressiver Überschwang aus. Sicher kein leeres Versprechen: der vitale Ensemble-Klangkörper wird das für seine Beschaulichkeit geschätzte Kamptal mit Frohsinn aufladen!

Naheliegend dann auch die Wiederbelebung der »Wirtshauskultur an der Grenze«, noch bis 1. Juli zwischen Hardegg und Harbach. In 15 Gasthäusern wird hier an den Wochenenden jeweils Musik und Literatur aufgeboten. An die 30 Künstlerinnen und Künstler touren an der Waldviertler Grenze zu Tschechien entlang. Furioses Finale in Weikertschlag mit international besetzten Bands und einer großen Abschlussparty in Kooperation mit dem 9er Haus reloaded!

»Wirtshauskultur an der Grenze« © Claudia K. Gangl

Narrenkastlvielfalt
Eine intellektuellere Narretei gefällig? Was heutzutage von der Politik, die eigentlich gegen die Macht der Finanzwirtschaft/Großkonzerne vorgehen sollte, als »alternativlos« (Bundeskanzlerin Merkel) dargestellt wird, wurde früher ebenso fehldiagnostiziert: »Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen«. Dieser Satz wurde am SPÖ-Bundesparteitag 1988 dem österreichischen Bundeskanzler Franz Vranitzky zugeschoben, ist aber ein Sager von Helmut Schmidt, der damit Willy Brandts Visionen im Bundestagswahlkampf 1980 diskreditierte. Aber er passte zu Vranitzky, der an der Staatsspitze den Neoliberalismus befördern half.

Runtergebrochen auf das Waldviertel knöpft sich Wilhelm-Christian Erasmus’ »DZWENK-Drosendorf Zelt Welt Narr – Eine Verhandlung des Zuwenigen« visionäre Projekte in diesem Landstrich vor. Das Zuwenige, umgangssprachlich »dzwenk«, kommt dabei unmittelbar zur Verhandlung. Schauplatz am 1., 3., 4. und 10. Juli: ein Leinenzelt am Drosendorfer Kirchenplatz. Auf dem Programm stehen Waldviertel-Filme und -Geschichten über Visionäres und Abstruses wie die Thayatalquerung in Raabs 1910, eine Aussichtsstraße neben dem Thayafluss 1939, eine zweigleisige Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Wien und Prag, ein gigantisches Altreifenlager in Schwarzenau mit einer Aufschüttung, auf der Schi gefahren werden könnte, ein Atommülllager in Blumau, ein Tunnelbau zwischen Tschechien und Österreich, eine Kamelzucht, die Schaffung eines rechtsleeren Raumes, ein UFO-Landeplatz in Kautzen und, und, und.

»Der Blick ins Zuwenige« © Wilhelm-Christian Erasmus

Ganz sprichwörtlich nimmt Valeria Lehner »Narrnkastln« her und macht diese zu begehbaren Installationen. Es gibt zum Denken anregende Boxen oder mit surrealen Klangcollagen beschallte. Neunmal 2 x 2 x 2 m groß. Die kleinsten Traumländer des Viertelfestivals sollen den Hör-, Seh- und Tastsinn schärfen. »Komm herein ins Hier und Jetzt!« macht neue Wirklichkeiten erfahrbar, am 4., 15., 22. und 31. August in Horn.

Gleich hundert durchsichtige Würfel bespielt die Waldviertel Akademie mit Kunstwerken, Erzeugnissen etc. aus Kunst und Kultur, Genuss und Tourismus sowie Wirtschaft. Diese sind Bestandteil der großen Ausstellungsinstallation »Lebens(T)raum Waldviertel«, die die Schätze des Waldviertels sichtbar machen. Vernissage in Gmünd am 3. Juli und in Waidhofen/Thaya am 31. Juli mit ExpertInnengesprächen, Lesungen und Musik.

Speziellere Narrnkastln sind an ausgewählten Wanderwegen in den Waldviertler Kernlandgemeinden zu entdecken. Diese bilden einerseits den Rahmen für besondere Landschaftselemente, andererseits gelangen Interessierte mittels QR-Code zu Kurzfilmen, die Alltagsgeschichten vom »Waldviertler Landleben (Es ist wie es sein soll – oder?)« erzählen: am 24. Juni, 14:00 Uhr in Waldhausen und 18:00 Uhr in Bad Traunstein sowie am 5. August, 14:00 Uhr in Kirchschlag.

»Waldviertler Landleben« © Waldviertler Kernland

Länger als temporär
Nachhaltiger wähnt »Licht.Stück.Bad.Fabrik – Die Puppe aus Luft«, ein performativ-installatives Ausstellungskonzept für die Kunstfabrik Groß-Siegharts. Das Dachgeschoss, in dem die alte Bandlweberei situiert ist, wird mit Sound und Licht als begehbare Installation inszeniert. Rhizomatisch verbinden und durchdringen die alles verwebenden Fäden mittels Sound-Environment und Tanz die offenen Räume im ersten Stock und das Stiegenhaus und symbolisch darüber hinaus auch Kultur und Natur. 7. Juli bis 4. August in Groß-Siegharts.

Und gar zehn Jahre sollte die »(T)Raumfähre Erika« am Donauradweg in Klein-Pöchlarn überdauern. In den Grundzügen ist die aufs Waldviertel ausgerichtete (T)Raumfähre der historischen Donaufähre »Erika« nachempfunden. Über Hörrohre werden Geräusche (bewegte Wackelsteine, der Schrei des Bussards, Wolfsgeheul, Sensenmähen, Pferdegalopp, Mohnkapseln im Wind …) aus der Region eingespielt und laden in gemütlicher Umgebung dazu ein, eigene Kopfbilderträume zu generieren. Präsentation am 21. Juli, 20:00 Uhr, in Klein-Pöchlarn.

»(T)Raumfähre Erika« © Christian Winkler

Link: www.viertelfestival-noe.at

Home / Musik / Artikel

Text
Alfred Pranzl

Veröffentlichung
20.06.2018

Schlagwörter

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