Konfrontation westlicher Avantgarde mit östlicher Tradition. Beobachtungen am 19.03./20.03.09 – Großer Saal Mozarteum und Republic bei der Biennale in Salzburg.
Dialog der Kulturen
»Wahlverwandtschaften«. Unter diesem Motto findet die neue Salzburger Biennale diesen Monat an vier Wochenenden statt mit vier Schwerpunkten. Dies sind: Beat Furrer: Neue Musik und der cante jondo des Flamenco. Steve Reich: Minimal Music und balinesische Gamelan-Musik. Toshio Hosokawa: zwischen westlicher Avantgarde und japanischer Tradition. Klaus Huber: ein Meister der Moderne entdeckt die Musik Arabiens. Die Biennale ist die Idee von Hans Landesmann, der künstlerischer Leiter ist, was er u.a. schon bei den Salzburger Festspielen war. Erstes Thema ist der Dialog der Kulturen. Dies ist so neu nicht, war auch beispielsweise die Biennale in München 1998 schon genau an diesem Punkt. Salzburg ist auf die Musik konzentriert. Man verweist auf Kräfte bündeln, ursprüngliche Quellen aufspüren. Gibt fundierte Informationen in Einführungen und im Programmheft. Öffentliche theoretische Auseinandersetzungen und Diskussionen in einem Symposium wie zuvor in München gibt es nicht. Es wird realisiert, nicht theoretisiert. Für die künstlerische Relevanz sei wesentlich, aus welcher Wahrnehmung der Welt und mit welch formaler Kraft sie entstanden sei. Und dies in der in rettungsloser Dekadenz befindlichen sogenannten »Neuen Musik«, so Sandeep Bhagwati 1998. Denn schließlich geht es nicht um eine multikulturelle Perspektive die eine Weltmusik als Allerweltsmusik ist, die wie der Massentourismus das Gegenteil von Horizonterweiterung ist und wie eine neue, perfide Kolonialisierung zu sehen ist, wie man weiß. »So wird es für mich dort interessante Weltmusik geben, wo man sich dieser anderen Form fortschreitender menschlicher Verdummung, nämlich dem Wunsch nach einer einzigen musikalischen Einheitssoße für alle, entschieden und inspiriert widersetzt.« … »Das wirklich »Fremde«, nämlich die jeweils völlig unterschiedliche Rolle, die Musik in anderen Kulturen spielt, die verschiedenen Zeitbegriffe, Proportionswahrnehmungen – wer interessiert sich dafür, außer vielleicht ein paar Komponisten?« (Moritz Eggert, 1998)
Die Salzburger Biennale-Macher widersetzen und interessieren sich. Und ein kommunikatives Publikum. Im feinen Tuch einer Abendgarderobe, Pelzmantel, Lederjacke über Jeans mit Freitagtasche über der Schulter oder Bonnie-Prince-Billy-Bart gekommen, Musikfreak, interessierter Laie und Fachpublikum, man findet sich im selben Konzertkontext und in der Pause im kleinen Café in angeregten Gesprächen.
»Der Ton kommt aus dem Schweigen«
Toshio Hosokawa fokusierend war ich zwei Tage bei der Biennale. Hosokawa im Kontext von Stücken anderer Komponisten mit historischer japanischer Musik wie Gagaku, westlicher Zwölftonmusik und Brandneuem aus Minimalismus bis Noise.
Hosokawa, 1955 in Hiroshima geboren, studierte in Berlin Komposition bei Isang Yun bevor er traditionell japanische Elemente in seine Werke nahm. Er sagt, in der europäischen Musik sei ein Ton nur ein Teil eines Ganzen, während in der japanischen Musik eine Note eine Landschaft darstelle, es folgt immer auf einen Klang eine Pause, dann wieder ein Klang und eine Pause. So ist auch der Zyklus III mit Hosokawa bei der Biennale betitelt: »Der Ton kommt aus dem Schweigen«. Ob nun resignatives Verstummen oder angespannte Aufmerksamkeit, Schweigen ist als kommunikativer Akt zu verstehen, bei dem keine Laute erzeugt werden. Und kann Verweigeung genauso wie Konsensbildung sein. Auf Toshio Hosokawas Last-Fm-Seite ist derzeit nur ein kurzes Stück anhörbar, »Haiku« betitelt. Dies als weiteres Indiz dafür, welchen Stellenwert die Stille bei ihm hat. Stille, ein rhetorisches Element.
Hosokawa, Cage, Yoshihide
Dialog der Kulturen in der Dramaturgie des Abends am 19.03.09 im großen Saal des Mozarteums. Giacinto Scelsi aus dem Programm genommen. Toshio Hosokawa mit John Cage in einem Dazwischen. Und darauf folgend Otomo Yoshihide. Nahtlos aneinanderpassend. Auf Wesentliches, Essentialität zielend. Interpretationen von Material aus den 1990ern. Die Yoshihide dann mit einem ganz neuen Stück abschließt. Bei Hosokawas »Landscape V« (1993) ist ergänzend zum Streichquartett die Shô, eine japanische Mundorgel, ein prägendes Instrument, von dem es heißt, dessen Ursprungsform sei dem Phönix und seinem Schrei nachempfunden.
Mit der Shô ist, auch bei zurückgenommener Lautstärke, ein hohes Potential an Spannung herstellbar zwischen langgezogenen Einzeltönen und Akkorden, in die sich in dieser Komposition die Streicher einzuordnen haben. »Landscape V« hat nur Momente der Entspannung. Kann man ins Blitzen des Kristalls im Deckenleuchter sehen, so wird dabei jedenfalls geradezu die Visualisierung einer Landschaft, die eine Ebene der schwer aushaltbaren Grenzwahrnehmung in Extremen ist, heraufbeschworen. Mit lyrisch-romantischer Naturwahrnehmung hat dies nichts gemein. Als ginge es eher um das Entlangwandern an einem schmalen Grat zwischen Wahn und Realität Shô und Muschelhorn spielen bei »Two« (1991) von Cage schließlich so leise, dass man das Atmen der Person neben sich als laut wahrnimmt und jedes Hüsteln und Knistern als total störend. Der Satz »Atmen ist Leben und Tod.« aus dem Einführungsgespräch kann in Gedanken wiederkehren. »Vergänglichkeit ist schön. Der Ton kommt aus dem Schweigen, er lebt, er geht ins Schweigen zurück.«, sagt die japanische Kunst, so Hosokawa. Bei seinem »In der Tiefe der Zeit« (1994) taucht jedes Instrument, jede Instrumentengruppe des Diotima Quartetts wie eine eigene Klangschicht auf, wobei insbesondere das Akkordeon von Teodoro Anzellotti eine latent bedrohliche Dimension ins Spiel bringt als Gegenpol zum an- und abschwellenden Dauerklang der Shô von Mayumi Miyata. Frei von kopflastiger Ordnung soll man eine energetische Vorstellung von Ganzheit bekommen. Der Klang entwickelt sich aus der Stille. Der Wert der Pause hat die Bedeutung des »Nichts«. Zentrales Moment der Phrasen ist grundsätzlich die Stille, die am Anfang und am Ende steht.
»moduration« für Shô und Sinuswellen (1999) und »moduration« für Klavier (2009) von Yoshihide im zweiten Teil des Abends sind beide einfache, straighte Tonspuren, Dauertöne gleichsam wie Röhren, nur minimal in der Tonhöhe variierend und sirrend, surrend, bohrend, hart, dabei manchmal auch wie innen hohl klingend, wiederkehrend schmerzhaft laut. Entsemantisierung weit im Gegenteil von Verspieltem, wie etwa der Jugendstilgoldornamentik, die sich einem beim Zuhören aus dem Bühnenhintergrund ins Blickfeld drängt. Nach und nach verlassen Teile der Zuhörer das Konzert, weil sie entweder nicht mehr zuhören wollen oder es nicht mehr aushalten können. Ich lege mir zeitweilig vor der Lautstärke schützend die Finger über die Ohrmuscheln.
Hosokawas keineswegs ornamentale, sondern freie Grundgedanken schälen sich gerade im Kontrast zum sparsamen aber dominanten Yoshihide-Set deutlich heraus. Sowohl Komponist als auch Rezipient haben zum Urzustand, dem Schweigen zu gelangen, einer Lebensenergie im Inneren, die aus der Tiefe entstehen kann, beabsichtigt Hosokawa.
Hosokawa, Scelsi, Ustvol\’skaja
In einem weiteren Aspekt erscheinen die Stücke von Hosokawa am 20.03.09 in Verbindung mit dem Schwerlastigen der Arbeit von Galina Ustvol’skaja und Giacinto Scelsi. Die freischwebenden Klanggebilde von Hosokawa wirken geradezu wie ein notwendiger Gegenpol. Doch das idylisch-bildhafte, mit dem seine Stücke »Cloud and Light« für Shô und Orchester (2008) und »Voyage VI« für Viola und Streicher (2002) beschrieben werden, trügt. Auf ein buddhistisches Gemälde wird als Inspirationsquelle hingewiesen oder auf allgemeingültige Begriffe wie Lebensreise und Universum. Zwar sind Hosokawas Musikstücke wie eine Befreiung von Scelsis Introspektion und schwermütig verschlossenem, düsteren Seelenzustand. Doch i
m Freischwebenden selber lastet eine permanente Ungewissheit, die wiederum beängstigend werden kann und nur begrenzt aushaltbar ist und nach Boden verlangt.
Streng, spröd, ruppig und unzugänglich im Höchstmaß wirkt »Komosition Nr. 2 »dies irae«« von Ustvol’skaja, das wohl auch ihrem Charakter, dem einer zurückgezogen lebenden Einzelgängerin, sehr entsprach. Als könne man zwischen acht Kontrabässen, Klavier und Schlagwerk überall in freien Fall geraten zwischen einem Gefühl von Askese und Radikalität. Schlagwerk ist im Fall dieses Stücks ein 43 x 43 cm großer Holzwürfel, der mit zwei Hämmern bearbeitet wird. Aus einem leisen Klopfen zu Beginn des Stücks wird ein hartes Schlagen. Und mir drängt sich im Verlauf, bei der Schroffheit mit der alle Musiker ihre Instrumente spielen, das Bild auf von Antonin Artaud, wie er seinen Rücken mit der Messerspitze traktiert. Ustvol’skaja jedenfalls geht diszipliniert souverän in eine Art Spiel der Grausamkeit. Wobei Hosokawa wiederum grundsätzlich im Leben und Arbeiten wohl an die Möglichkeitk des freien Falls gar nicht denkt. Sondern an eine Reise, wo auch immer, wie auch immer, ins Offene, in der das Nichts keine böse Gefahr, sondern potentielle Energiequelle ist.
Begegnung mit Hosokawa
Ich beobachte Hosokawa. Wie er im Café von allen abgewandt auf Schwarzweißbilder zweier Monitore in einer Ecke blickt. Wie er für Momente schmächtig im schwarzen Anzug alleine auf einer weißen Bank im Foyer sitzt und durch die geöffneten Saaltürentüren sieht. Wie er zwischen den Leuten hindurcheilt und dabei an mich stößt. Wie er quer durch den Zuschauerraum schaut. Wie er mit seiner Partnerin und mit Bekannten plaudert. Frage ihn nach weiteren Aufführungsplänen für seine Oper »Vision Of Lear«, die 1998 in München uraufgeführt wurde. Erfahre, dass sie auch in London im Programm war, derzeit aber nirgends geplant ist
Es fragt sich sowieso, wie tief die Rezeption der künstlerischen Aussagen Hosokawas beim Publikum überhaupt geht.
In Zusammenarbeit mit dem Regisseur Tadashi Suzukui hat er 1998 in München mit der Oper »Vision Of Lear« die Verblendung Lears, der sein Land und seine Familie ins Unglück stürzt, als Hinweis auf allgemeine, psychologische Verfallstendenzen inszeniert. Mit einer Choreografie aus dem No-Theater herausentwickelter, starr ritualisierter Bewegungsabläufe. Zahlreiche Weißkittel, Nurses, wurden zeitweilig als zentral handelnde Figuren ins Spiel geschickt. Hin- und herwechselnd im Bühnenraum zwischen einer Zone des Todes und des Lebens. Aber wer hat sich entschieden klargemacht, dass es nicht nur um körperliche Tode geht und welche geistigen, psychischen Tode dieses Wechselspiel auch betrifft und wer es führt?
»Die eigene Psyche ist bereits »das Andere«
»Die eigene Psyche ist bereits »das Andere«. (Jan Müller-Wieland, 1998). Bei der Salzburger Biennale 2009 wird dies in einem substanziellen Dialog der Kulturen zugelassen, jenseits des Oberflächlichen eines Multi-Kulti-Geredes. Und genau eine Vertiefung der Thematik Verbindung sogenannter Klassik mit Musik der Völker und Verflechtungen inter- und transkultureller Art hat dann auch wirklich Relavanz.
Diese Musik live zu erleben ist ja auch das Entscheidende. Die heutige Begegnung von Komponist, Musikern und Zuhörern. Wie sich Hosokawas »In der Tiefe der Zeit« der 1998er CD und »Landscape V« der Einspielung des Arditti String Quartetts aus dem Jahr 1995 von der jetzigen Aufführung unterscheiden. Selbst wer nicht alle Feinheiten analysiert, nimmt eine gesteigerte Spannung war, die die Einflüsse heutiger Tage widerspiegelt und Veränderungen in so mancher Differenziertheit und in der Durchdringung der Kulturen.
»Prisoner« von Yoshihide
Parallel zur Biennale das dazugehörige Dialoge Festival. Am 20.03.09 schaffen Otomo Yoshihide & friends im Rebublic eine atmosphärische Klanglandschaftsarchitektur mit der Uraufführung von »Prisoner«. Es spielen Otomo Yoshihide, E-Gitarre, Burhard Stangl, E-Gitarre, Vibraphon, Sachiko M, Sinuswellen, DJ Sniff, Turntables, Ishikawa Ko, Shô, Jean-Philipe Gros, Electronics. War Yoshihide am Tag zuvor zerstörerisch laut im großen Saal des Mozarteums, so ist er auch hier provozierend, aber auf eine gegenteilige Art. Im Saal des Rebublic, mit seiner angrenzenden Bar, in der man entweder groß seine Klappe aufreißt oder irgendwie cool vorsichhinsehend herumsitzt und irgendwelche Beats hört, beginnt er eine musikalische Improvisation sublimster, leisester Nuancen. Der abgedunkelte, spärlich beleuchtete Raum scheint zu einer Art Tropfsteinhöhle zu werden. Denn Yoshihide spielt nicht nur sparsame, stimmungsvolle Jazzakkorde auf der Gitarre, sondern auch mit einem Sammelsurium an Dingen, die er geräuschvoll fallen lässt. Geld klimpernd in einen Plastikbecher, eine weiße Tasse, ein Glas. Und so etwas wie Steine, Glasperlen. Kupferscheibchen werden zum Erklingen gebracht. Das Zerreißen eines Papierblatts ist zu hören und das Zerknüllen des Plastikbechers. Dies alles im Kontext der Tonspielereien seiner Mitmusiker, die Fiepen, Rauschen, Knarren erzeugen zusammen mit einzelnen, nur manchmal laut anschwellenden Musiktönen. Eigentlich verbringt man entspannt Zeit in einem Klangraum in dem weit und breit keine Assoziation an einen Gefangenen auftaucht. Erst als der Sound auf einmal zu klaustrophobischem Charakter kulminiert, kann ein Gefühl des Eingeschlossenseins entstehen, das Yoshidihide aber schließlich doch wieder auflöst. Ist der Gefangene vielleicht der Zuhörer, der in der Raummitte auf Sitzkissen herumlungert, während die sechs Musiker im Kreis außen herum angeordnet, improvisieren? Jedenfalls scheint es innerhalb der Welt von Yoshihides Gefangenem Freiheiten zu geben. Vielleicht ist es aber auch nur die, sich relaxt zu geben? Während die freie Improvisation sich sonst überall deutlich gestresster zeigt.