Frank Zappa bemerkte einmal, ein Land sei erst dann ein Land, wenn es über ein Bier, eine Fluggesellschaft und möglichst auch über eine Fußballmannschaft und Nuklearwaffen verfüge. Nun, Völkerrechtler würden hier vermutlich ein paar Ergänzungen auf dem Weg zur Eigenstaatlichkeit vornehmen wollen und auf die Anerkennung durch die internationale Staatengemeinschaft oder zumindest mehrerer Staaten als wichtige Voraussetzung verweisen, aber ein Anfang ist damit gemacht. Und ein solcher ist notwendig für jene, die eine Mikronation sein oder werden wollen. Drum gehören Hymne, Pass, Wappen, Briefmarken und andere Repräsentationsformen zur Grundausstattung jedes ambitionierten Mikronationsprojekts, Fürstentums, Königreichs. Und davon gibt es einige zurzeit. In einem furiosen Essay, abgedruckt in dem sich Robert Jelineks »State of Sabotage« widmenden Band »Offshore Census. Citizens of the State of Sabotage« periodisiert Paul Poet dieses Phänomen und erklärt die derzeitige Inflation zur dritten »Ereigniswelle desselben Urgrunds«, nach Piraten und anderen Unangepassten im kolonialen Zeitalter über die 1968er- Drop-out-Epoche können wir nun die gegenwärtige Neuerfindung der subversiven Störung staatlicher Ordnung beobachten. Sein neuer Film »Empire Me. New Worlds are Happening!« kartiert das Gelände und widmet sich einigen Mikronationen auf eine Weise, die im Voice-Over abstrakt utopische Potentiale in diesen Entwicklungen ausmacht, auf der Bildebene aber auch von vielen Problemen und inneren Widersprüchen zu erzählen weiß. Anders als Jody Shapiros fast zeitgleich entstandener Film zum gleichen Thema »How to Start Your Own Country«, der formal stärker auf klassisches Talking-Heads-Dokukino setzt, ist Poet ganz nah an seinem Gegenstand und fängt so nicht nur vorgestanzte Statements ein, sondern begleitet die Personen seiner Mikronationen auch in ihrem Alltag, ist ganz genauer Beobachter dieser »fremden Kulturen«, was zum Status des Films als hochinteressantem Dokument erheblich beiträgt.
Ich-Totalitarismus?
Im Falle von »Zegg« (Zentrum für Experimentelle Gesellschaftsgestaltung), das Poet auf dem Land nahe Berlin aufsucht und das sich »freie Liebe« auf die Fahnen schreibt, funktioniert dies besonders gut. So sieht man dort Gruppensex in Ölbädern und Naturidylle und kontemplative Spaziergänge im Freien, kann aber auch einer Gruppensitzung beiwohnen, in der sich Risse auftun in der Ideologie von befreiter Sexualität, die tatsächlich auf Ideen einer »wahren Natur« weiblicher Sexualität, dubiosen Theorien zu Vergewaltungswünschen etc. aufbaut und alles andere als progressive Alternativität darstellt. So ist es kein Wunder, wenn die im Zentrum der Gruppensitzung stehende junge Frau Gefühle des Ungenügens artikuliert und alles andere als glücklich wirkt. So ganz anders sind viele der Mikronationen eben nicht, oder wenn, dann höchstens zum Schlechteren, was die panreligiöse, sich selbst als »Disneyland der Esoterik« ausgebende Aussteigergemeinschaft von Damanhur, die sich in den Wäldern Italiens angesiedelt hat, mit ihren Hierarchien, die die bürgerliche Klassengesellschaft eher noch übertreffen, eindrucksvoll unter Beweis stellt. Dass in der im Ärmelkanal befindlichen, ehemaligen britischen Fliegerabwehrplattform früher Radio- und heute Informationspiraten ein Zuhause sehen, mag faszinieren, wirkt aber auch eher wie eine dystopische Vision eines anderen, postapokalyptischen Lebens. Besonders erstrebenswert jedenfalls wirkt die Ordnung dieser Welt, die in einem permanenten Hobbesianischen Naturzustand gefangen scheint, in der ständig jemandes Angriff erwartet wird und die Menschen eher feindseliger und barbarischer werden lässt, nicht. Poets Kamera fängt all diese Widersprüche ein, möchte über die Unzulänglichkeiten der untersuchten Projekte aber nicht ihre grundsätzliche Öffnung von Möglichkeitsräumen aus den Augen verlieren. Im Dienste des von Laibach/NSK geborgten »Ich-Totalitarismus« wäre es nämlich nach Poets Geschmack an der Zeit für eine »kämpferische Eigenermächtigung und Erhebung. Dazu braucht es die umfassende Nichtung und Vernichtung aller bestehenden Sinn- und Sozialzusammenhänge, um frei in neue Familien, Territorien, Grenzzonen eintreten zu können. Und die Welt endlich das wird, was ihr schon lange verloren gegangen ist, ein Ort des Wunders und des Abenteuers … Fick Determinismus! Fick die Ohnmacht! Ficke den Globalisierungskäfig! Sei dein König und Reich! …« Am interessantesten gelingt dies vielleicht dem von Poet begleiteten Projekt der New Yorker Künstlerin Swoon, die mit ihren »Swimming Cities of Serenissima«, den aus recyceltem Müll selbstgebauten Stadtschiffen, die mit starker Besatzung/Bevölkerung über die Adria fuhren, ein spielerisches, flüchtiges New Country Project darstellt. Oder natürlich der »SOS« samt seinem Non-President Robert Jelinek, der seit seiner Gründung 2003 vom Kunstdiskurs aus heftige Erschütterungen in die realpolitische Frage dokumentenloser Migranten aussandte. Wer den 400-seitigen Katalog zu Jelineks »SOS« durchblättert und dort auf über 300 Seiten die vorwiegend schwarzen Bürger von »SOS« anschaut, realisiert, dass es hier auch um ein »Empire Us« geht, das Nationen in ihrem dominanten Format einerseits künstlerisch in Frage stellt, andererseits konkret zu etwas gut ist.
Staatskritik von allen Seiten
Generell fällt gegenwärtig jedoch auf, dass Mikronationen als Gefäß sowohl von rechts als auch von links Anziehungskraft besitzen und das von jeher. Von Robert Nozicks rechtslibertärem »Anarchy, State and Utopia« bis zu Ayn Rands neoliberaler Blaupausenerzählung »Atlas Shrugged« findet man den Nachtwächterstaat herbeigeträumt, in dem Sozialstaatlichkeit, Umverteilung etc. kriminalisiert, dafür in der Praxis von Mikronationen auch mal Glücksspiel, Offshore Banking oder Prostitution favorisiert wird. Es ist kein Zufall, dass die Krise der gegenwärtigen Politik Mikronationen Auftrieb gibt und sich in Staatskritik nach dem Muster der Tea Party gleichermaßen manifestiert wie in interessanteren Projekten, die afrikanischen Migranten zu Ausweisdokumenten verhelfen und gängige Staatlichkeit in Frage stellen (SOS), Schutz digitaler Informationen vor staatlichen Zugriffen sicherstellen (Sealand), das Prinzip Nation ridikülisieren oder einfach ausscheren wollen aus der scheinbaren Ausweglosigkeit des kapitalistischen Realismus. Aber arbeiten nicht viele Versionen von Mikronationen oder Poets Imperative »Sei du selbst! Sei eigen! Sei Macht! Sei stolz in deiner Partikularität und in deiner Negation des Ganzen« der Zerstörung jenes öffentlichen Raumes zu, in dem man »etwas vom Eigenen, Vertrauten und Privaten Verschiedenes – etwas Feierlicheres, Formelles, für andere Dargestelltes zur Aufführung bringen konnte« (Robert Pfaller)? Und einem zeitgenössisch recht typischen Narzissmus, der Freiheit dem Glück vorzieht?
Ja, man ist geneigt, Paul Poet zuzustimmen: neue Welten entstehen. Aber so eigen, wie sie alle sind und obendrein fußballmannschaftslos, wer möchte da leben?
Paul Poet: »Empire Me. New Worlds are Happening!« (Navigator Film)
Jody Shapiro: »How to Start Your Own Country« (Everyday Pictures)
Robert Jelinek: »Offshore Census. Citizens of the State of Sabotage« Wien, New York: Springer, 2011, 400 Seiten, EUR 33,99