Für Lucien Haugs Theaterstück »Über Nacht« am Wiener Burgtheater wurde die Band Low Life Rich Kids ins Leben gerufen. Die Debütsingle »Angst« war erst nur Teil der Inszenierung. Ihr Durchbruch in den FM4-Charts motivierte Coco Brell, Mara Romei und Bernhard Eder aber dazu, den Stein ins Rollen zu bringen und ihre Band weiterzuführen, nachdem der Vorhang gefallen war. Coco und Mara sind Schauspielerinnen am Max Reinhardt Seminar; Bernhard ist Singer-Songwriter und Theatermusiker. Auf »Angst«, einen Song über Unsicherheiten und Selbstzweifel, folgte die Single »Paralysiert«. Diese griff inhaltlich ähnliche Themen auf, war musikalisch aber ganz anders aufgezogen.
Alles zieht nur vorbei
Es ist ein verwirrender Mix aus spielerischen Guiro-Sounds, markanten E-Gitarrenriffs und zartem Gesang, den Low Life Rich Kids auf »Paralysiert« darbieten. Der Text beschreibt einen Zustand innerer Lähmung und die Sehnsucht nach einem Neuanfang. Ein Versuch der Selbstoptimierung, ein Gefühl des Versagt-Habens und die Einbildung, man könne sich selbst einmal auf links drehen, einmal gründlich ausputzen und sich ganz neu erfinden.
Dass dieses Vorhaben weniger aus einer plötzlich gewonnenen Vernunft resultiert, sondern eher als impulsiver Entscheidungsdrang zu verstehen ist, wird im melancholischen Refrain spürbar. In der zweiten Strophe schaffen es die versetzten Tonspuren von Maras und Cocos Stimme, die Zuhörenden in den Gedankenstrudel mitzuziehen.
Die eigene Überforderung wird unerträglich, als einziger Ausweg dient pure Verdrängung und Weglaufen. Unangenehme Gefühle, äußere Ablehnung und das angekratzte Ego werden unbarmherzig in einer geistigen Kiste verstaut und aus dem Kopf geworfen. Wie lange das gut geht, bleibt fraglich.
It’s getting hot in here
»Paralysiert« gibt als erster Song auf »LLRK« den Ton für die restliche EP an und verkündet eine Reise durch unangenehme Themen, die immerhin tanzbar aufbereitet sind. Low Life Rich Kids befassen sich in ihren Texten nicht nur mit innerer Unzufriedenheit, sondern richten den Blick ebenso auf ihre Umwelt und deren Missstände. Dabei liegt der Fokus besonders auf dem Klimawandel und seinen Folgen. Ein Motiv, mit dem sich die drei Bandmitglieder in Christina Tscharyiskis Inszenierung von Jelineks »Sonne, Los Jetzt!« befasst haben.
Für die Produktion wurde der Song »100 Grad Fahrenheit« geschrieben, der beunruhigend gut auf den heurigen Sommer zutrifft. Auf dystopischen Synthie-Beats beschreiben Coco und Mara die unerträgliche Hitze, die das Atmen schwer macht und den Boden austrocknet, bis sämtliche Pflanzen verdorren. Der Titel baut sich behutsam auf, entfaltet seinen bedrohlichen Charakter durch subtile Elemente und spiegelt dadurch wider, was er aussagt: die Zeit rennt.
»Where do we go now?«, fragen Coco und Mara im Outro. Eine Frage an die eigene Generation, die sich, im Gegensatz zu ihren Vorgänger*innen, ernsthaft mit der Antwort befassen müssen. Welcher Fleck Erde wird uns übrigbleiben, wenn der Planet immer weiter aufheizt und jedes Leben versiegt?
Zwischen Weltschmerz und Widerstand
Während Low Life Rich Kids keine Lust auf Banalitäten haben, sondern sich lieber den ganz großen Themen widmen, lassen sie sich auf einen schwindelerregenden Balanceakt zwischen Ohnmacht und Tatendrang ein. Die meisten ihrer Songs sind trotz schwermütiger Lyrics mit einladenden Melodien untermalt und schleichen sich samt politischer Haltung durch unschuldige Ohrwürmer in die Köpfe der Zuhörenden ein.
Dass den dreien irgendwann aber der Geduldsfaden reißt und die Zeit für verhaltene Hinweise vorbei ist, beweisen sie mit dem letzten Titel »Anti-Woke-Generation«. Der Song mischt HipHop und Punk, wie man es von Rage Against the Machine oder den Beastie Boys gewohnt ist, und entblößt einen ungenierten und angepissten erhobenen Zeigefinger. Weil es genau das braucht. Weil man gerade heute jedes Recht hat, sauer zu sein, die Ellbogen auszufahren, die eigene Meinung nach oben zu schimpfen.
Low Life Rich Kids bilden das Sprachrohr für alle, die auf einem Planeten geboren wurden, um den sich nie gekümmert wurde. Der über Jahrhunderte ausgeschlachtet wurde, auch dann noch, als die Folgen solcher Taten längst bewiesen waren. Sie sind es satt, die Ignoranz der Reaktionären ausbaden zu müssen und dabei gegen Windmühlen zu kämpfen. Es wird Klartext geredet. Mit »Anti-Woke-Generation« gelingt ihnen ein starker Mic-Drop nach einer aussagekräftigen EP.
Bissiger Charme
Der Sprung von Theater- auf Konzertbühnen scheint für Low Life Rich Kids ein Leichtes gewesen zu sein. Bei ihren Auftritten treten sie selbstbewusst auf, tanzen hemmungslos und gewinnen das Publikum mit Charme und Trotz. Die liebevolle Dynamik unter den Bandmitgliedern ist deutlich spürbar. Es wird gewitzelt, niemand nimmt sich selbst zu ernst, ein frecher Spruch kann ebenso passieren wie persönliche Anekdoten.
Coco und Mara funktionieren gemeinsam wie Pech und Schwefel, ergänzen sich nicht nur in ihren hellen und tiefen Stimmen, sondern auch in ihrem Zugang zu Performance und Selbstdarstellung. Offensichtlich kommt es ihnen zugute, eine Schauspielausbildung zu genießen. Authentisch bleiben sie trotzdem.
Der Theaterhintergrund wirkt sich auf das gesamte Wesen der Band aus. Auf die Texte (die vor allem dem klugen Kopf Bernhard Eders zuzuschreiben sind), die Konzerte, aber auch auf den Stil. Häufig werden Strophen eher gesprochen als gesungen, was den Songs eine avantgardistische Note verleiht. Genrezuschreibungen sind überflüssig, es wird ausprobiert, zusammengewürfelt und unvoreingenommen erkundet. Low Life Rich Kids sind mutig, modern, stark und verletzlich. Und »LLRK« ist hoffentlich nur der Anfang von viel mehr.