Festwochen-Eröffnung 2025 © Ines Bacher
Festwochen-Eröffnung 2025 © Ines Bacher

The Power of Love

In diesen finsteren Zeiten soll die Kunst soziale und politische Fehlentwicklungen bloßstellen. Was verbleibt als verbindende Kraft gegen die Etablierung des Faschismus? Die Wiener Festwochen rufen die Republik der Liebe aus. Eine subjektive Auswahl einiger Highlights 2025.

Würde die Politik die Warnungen von Philosoph*innen und vielen weiteren Wissenschaftler*innen ernstnehmen und Maßnahmen in Richtung weniger Ungleichheit und mehr Gemeinwohl umsetzen, wäre die Weltlage nicht derart eskaliert. Dass solche Menetekel-Rufe leider zu sehr verhallen, hat seine Ursache auch im fatalen Wandel der Medienlandschaft, die zumeist in Besitz von Überreichen ist, die verschweigen und vernebeln, dass ungezügelter Kapitalismus die Wurzel des gegenwärtigen Übels ist. In Österreich checken das ÖVP und Neos immer noch nicht und auch eine disruptive FPÖ würde die skrupellosen Interessen des Großkapitals wahren. 

Lea Ypis »Rede an Europa«

Was also tun als Festival, wenn eine große Anzahl der Bürger*innen nur in geringem Maße medienkompetent ist und sich nicht über den eigenen Social-Media-Tellerrand hinaus informiert? Immerhin wird eine Instanz wie die Wiener Festwochen wahrgenommen – ernstgenommen gliche einem Wunder, weil reaktionäre populistische Politiken mit der Schuldzuweisung an Sündenböcke wie z. B. Migrant*innen Proteststimmenmaximierung betreiben. Aber zu sagen, was falsch läuft auf unserem Planeten, bedarf vieler Verstärker, einer davon ist die seit 2019 jährlich stattfindende »Rede an Europa«. Nach dem US-Historiker Timothy Snyder, der ukrainischen Menschenrechtsaktivistin Oleksandra Matwijtschuk und dem israelisch-deutschen Philosophen Omri Boehm haben die Wiener Festwochen/Freie Republik Wien in Kooperation mit ERSTE Stiftung, Institut für die Wissenschaften vom Menschen und Jüdisches Museum Wien am 15. Mai die albanisch-britische Philosophin und Politikwissenschaftlerin Lea Ypi eingeladen. Ihrer »Rede an Europa« pro Migration, soziale Gerechtigkeit und Betonung von Klasse statt Identität ist noch hinzuzufügen, dass jene, die demokratische Macht haben, diese absolut nutzen müssen, ehe es zu spät ist. »Allen, die mit ihrem Geld politischen Einfluss erkaufen«, so Ypis, könne entgegengetreten werden. Ziel wäre »eine Weltordnung, die auf Kooperation und nicht auf Gegnerschaft beruht«, doch Mechanismen dafür zu entwickeln, deklassierten Menschen Anerkennung Würde zu geben, anstatt sie zu demütigen, wird umso schwieriger, je mehr Demokratien in Autokratien kippen.

Lea Ypi © James Robins

Laurie Andersons »State of Love«

Laurie Anderson, die neben Soap&Skins Songs mit einer Neuadaptierung ihres Hits »Oh Superman« das Festwochen-Opening überstrahlte, brachte die Allgegenwart des Trumpschen Faschismus in »State of Love« am 19. Mai im Radiokulturhaus auf den Punkt: Während die Faschismen der 1920er- bis 1940er-Jahre immerhin einen Horizont hatten, hat der gegenwärtige Faschismus von Trump und seinen Oligarchen keinerlei Zukunftsversprechen im Programm – Musk und weitere Tech-Milliardäre suchen ihr Heil nur noch in Bunkern oder am Mars. Die bald 78-Jährige beindruckte in ihrer Performance/Lecture mit bestens erzählten Zustandsbeschreibungen und ungewohnten Denkansätzen: Die Amerikaner*innen können nun am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, wenn eine Volkswirtschaft disruptiert wird. Damit verwies sie auf die zahlreichen Wirtschaftsboykotte der USA, die den vom CIA angezettelten Militärputschen, die viele Staaten Lateinamerikas angeblich vor dem Kommunismus »retteten«, vorausgingen. Sollte Trump Polizei und Militär ganz auf Linie bringen können, verhieße dies nichts Gutes, doch Laurie Anderson bleibt verschmitzt zuversichtlich und lobte etwa den Widerstand der Harvard University. Doch allein die projizierte Zensurliste von »black« oder »climate« über »mental health« bis »women and underrepresented« machte Schaudern: Ein faschistisches Gangster Rat Pack hat die Vereinigten Staaten von Amerika usurpiert. Liebe lassen diese maximal ihren Nächsten zukommen, also stellt Anderson der erzreaktionären Rechten ein inspirierendes Zitat der US-amerikanischen Essayistin, Schriftstellerin, Journalistin und Kulturhistorikerin Rebecca Solnit entgegen: »Die Tatsache, dass wir nicht alles retten können, bedeutet nicht, dass wir nichts retten können, es ist wert, gerettet zu werden. Erinnere dich daran, was du liebst. Erinnere dich an das, was dich liebt. Erinnere dich in dieser Flut von Hass daran, was Liebe ist.«

Laurie Anderson © Ebru Yildiz

Feminine Akademie Zweite Moderne & Wiener Kongresse

Wien war einst eine Metropole der Moderne. Doch war diese in Zeiten der Protagonisten Freud, Klimt und Schönberg männlich, elitär und eurozentristisch. Die Akademie Zweite Moderne fördert auch im zweiten Jahr zehn Komponistinnen und hat einen globalen Anspruch. Das Klangforum Wien präsentiert jeweils um 19:30 Uhr im RKH fünf Komponistinnen mit der Devise »No More Excuses«. Am 8. Juni spielt das Ensemble von Weltrang Werke von Nyokabi Kariũki, Mary Kouyomdjian, Niloufar Nourbakhsh, Hannah Kendall und Jamie Man, am 9. Juni Werke von Chaya Czernowin, Katharina Ernst, Cassie Kinoshi, Lucia Ronchetti und Sara Glojnarić. Nun, im Jahr zwei der Intendanz von Milo Rau, werden nach den »Wiener Prozessen« die »Wiener Kongresse« lanciert. Der erste »Wiener Kongress« (30. Mai bis 1. Juni) thematisiert mit »Kulturkriege« die Verstrickungen zwischen Kunst, Politik und Gesellschaft anhand dreier polarisierender Fälle: Krieg in Gaza, »Mit Rechten reden?«, Cancel Culture. Bei letzterer geht es um reaktionäre Handlungen gegen die Kunstfreiheit in den Kulturszenen von Ungarn, der Slowakei und Deutschland. Der zweite »Wiener Kongress« (13. bis 15. Juni) ist »Kunst und Missbrauch« betitelt und arbeitet die Vorkommnisse um den Wiener Aktionskünstler Otto Mühl, den ehemaligen Burgtheaterdarling Florian Teichtmeister und die deutsche Band Rammstein auf. Sehr gut passt dazu der zweite Teil der »Cadela-Força«Trilogie der brasilianischen Regisseurin Carolina Bianchi, die mit »Die Braut und Goodnight Cinderella« für die wohl verstörendste Festwochen-Aufführung 2024 sorgte. »The Brotherhood«, der zweite Teil, handelt von »Männerpakten, Bruderschaften und deren Codes, in die Frauenfeindlichkeit und sexuelle Gewalt tief eingeschrieben sind.« Bianchi gastiert mit dem Ensemble Y Cara de Cavalo und wird für ein denkwürdiges Ereignis im Volkstheater sorgen, am 1. und 2. Juni, Beginn jeweils 19:00 Uhr.

Carolina Bianchi © Alexandre Quentino, courtesy by Festival d’Avignon

Weekend-Sounds der Republic of Love

Nach der Freien Republik im Vorjahr wird also 2025 die Republik der Liebe ausgerufen. Während 2024 visuell mit Sturmhauben etc. die Revolution gefeiert wurde, wird heuer auf die Hippie-Ära regrediert. Damit sollen im diesjährigen Festivalzentrum, dem ehemaligen Funkhaus samt Radiokulturhaus, Zeichen gegen den auftrumpfenden reaktionären Rechtspopulismus und Extremismus gesetzt werden. Das Gesamtprogramm birgt Spannendes unter dem Motto »V Is For Love«. Allerdings, mit Verlaub gesagt, wirkte die den Woodstock-Mythos verklärende Band Caravan of LUV beim Festwochen-Auftakt am Wiener Rathausplatz wie ein kuratorischer Betriebsunfall. Vieles erschien zusammengewürfelt, ein kunterbunter Haufen fehlgekleideter Musiker*innen und Fahnen tragender Statist*innen und eklektische Sound-Verirrungen schmerzten Auge wie Ohr. Wer trotz Warnung Elia Redigers Caravan of LUV erleben will, begebe sich donnerstäglich in die Konzertperformance-Reihe »Healing«, die Retropopkultur mit schamanistischen Heilungsritualen zu verschmelzen sucht. Erfreulicher gestalten sich die von verschiedenen Kurator*innen gehosteten freitäglichen Konzertabende von 22:00 bis 01:00 Uhr. Den Auftakt am 23. Mai 2025 besorgt Malika Fankha unter dem Signet »Love Is A Verb« mit hochwertigen elektronischen female bis queer-feministischen Live-Acts: Lan Rex, Rojin Sharafi und AENGL. Am 30. Mai werden MTASA, Enesi M., Adaolisa und Rakita von Reggaeton über R’n’B bis HipHop und Afro-Funk für eine tanzbare Bandbreite sorgen. Am 6. Juni folgen ELSA, Teresa Rotschopf, Michael Stark, Elis Noa und Farce, während am 13. Juni Aunty und Zelda Weber & The Rosettes gastieren werden. Feines auch beim »Love Is A Song« betitelten Konzerteausklang mit Lissie Rettenwander, Romantic Slivo and the Burning Hearts sowie Engelsharfen+Teufelsgeigen.

Lan Rex © Hanna Fasching

Schamanismen am Lagerfeuer des RKH

Die samstägigen Party-Nächte gipfeln am 7. Juni im Gastspiel des Berliner »Missy Magazine«, dessen DJs Hengameh und Softbabe auf die DJettes des Wiener Kollektivs Kissen treffen. Motto der queeren Clubnacht der besonderen Art: »After The Sex«. Tags darauf beehren Hengameh Yagoobifarah und Ulla Heinrich mit einer Lesung aus der Sex-Kolumnensammlung des »Missy Magazine«, die als Buch »Fickt euch! – Sex, Körper, Feminismus« im Hamburger Nautilus-Verlag erschien, den sonntäglichen Campfire-Abend im Garten des RKH. Das neue Festwochen-Format rund um ein Lagerfeuer gibt sich am Schamanismus abarbeitende Campfire-Performances, wo Rituale, Liebe und Diskurs ineinander übergehen sollen. Nach dem Start mit Laurie Andersons »Ghost Stories« steigt am 25. Mai Katharina Kummers »Under The Blankets – Red Editon«, ein vorgetäuschter Forschungsraum Performance-Labor der Red Edition – Migrantische Sexarbeiter*innen Gruppe! Glorioses versprechen auch die weiteren Campfire-Gäst*innen: Stina Fors am 1. Juni, Lady Bitch Ray am 15. Juni und Elisabeth Bakambamba Tambwe am 22. Juni.

Link: https://www.festwochen.at/ 

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