»The World We Knew« titelt ein Album von Tav Falco and his Panther Burns. Das erschien 1987 und fast vierzig Jahre später gilt der Slogan für die Kunst von Gustavo Antonio »Tav« Falco umso mehr. Aber was zeichnet seine Kunst aus? Er lebt in einem Zwischenreich, das bevölkert ist von selbstbewussten kubanischen Rebellinnen und verführerischen Tänzerinnen, die sich vermeintlich als Spionin verdingen. Hinzu gesellen sich Ladies aus Shanghai, Vampire aus Havanna und andere undurchsichtige Charaktere. Mittendrin der »Gentleman in Black«, geheimnisumwittert und verschwiegen. Er registriert, er urteilt nicht. Er nimmt Notiz vom bunten Treiben um sich herum, weiß es diskret zu genießen und hin und wieder gewährt er Einblicke in die klandestinen Kreise, die sicherheitsbedürftige Normalsterbliche und andere zugeknöpfte Kleingeister selten zu Gesicht bekommen, denn sie meiden in aller Regel die dafür einschlägig bekannten Etablissements. Die urbane Unterwelt, die Tav Falco in seiner unnachahmlichen Art besingt, hat ihren historischen Ort im amerikanischen Süden der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Wie David Lynch hängt Tav Falco einer stark stilisierten, verchromten Ästhetik vor dem Siegeszug des Plastiks nach. Autos hatten Heckflossen, Frauen einen Atombusen, Männer Brillantine im Haar. Die Musik dazu: Ein elektrisierender Mix aus Blues, Tango, New-Orleans-Jazz und Vaudeville. Ein burlesk-cooles Musiktheater, durch dessen Programm Tav Falco stil- und geschmackssicher zu führen weiß. Der Eintritt kostet den Verstand. Zumindest für die Dauer der Vorstellung muss man die Bereitschaft mitbringen, sich ent- und verführen zu lassen vom oben erwähnten Personal und dessen schlüpfrigen Neigungen und Leidenschaften (die natürlich den verdrängten eigenen entsprechen). Dieses nostalgisch gestimmte Tohuwabohu fasziniert mich, seit ich »Behind the Magnolian Curtain«, das Debütalbum von Tav Falco, zum ersten Mal gehört habe. Bereits 1981 hatte er seine halbseidene Ästhetik perfektioniert und inszeniert sich seither als Chronist eines (halb erinnerten, halb erdachten) romantischen Milieus, in dem die Dichtung die Wahrheit ist: Wo du herkommst, ist nicht so wichtig, Hauptsache, du bist da. Deine Vergangenheit bestimmt nicht dein Schicksal. Deine Geschichte darfst du verschweigen und uns dafür mit neuen unterhalten. Im »Prologue« spricht Kid Congo Powers, auch so einer, der auszog, sein Schicksal hinter sich zu lassen, um etwas Besseres als den Tod in der Gesellschaft gleichgesinnter schräger Vögel zu finden, programmatische Worte, die der Orpheus-Sage entliehen sind und das Credo aller zum Ausdruck bringen, die in Manegen und auf Bühnen Musik und andere Kunststücke aufführen und von einem Leben erzählen, das das zahlende und zahlreich erschienene Publikum bewundert, aber selbst zu leben sich nicht traut: »Mysteries are better left alone, looking back you turn to stone!« – das macht sie natürlich umso anziehender! Jon Spencer, Jim Sclavunos, Ross Johnson, Chris Spedding und viele andere Weggefährten von Gustavo Antonio »Tav« Falco tragen zur unterhaltsamen Nummern-Revue namens »Desire on Ice« bei und lassen sie wieder auferstehen, die Welt, wie sie einmal war – und immer noch sein kann, wenn du es willst! Hereinspaziert!
Tav Falco
»Desire on Ice«
Org Music
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