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T.I.T.O. – The International Turntable Orchestra Festival, Berlin, 22.-25.10.09

Turntablisten in Aktion: 14 Platten- und Plattenspieler-Abuser in vier Tagen an der Akademie der Künste Berlin.

Endlich wieder mal in Berlin! Nachdem ich von Guido Möbius (Autopilot) nicht lange hatte überredet werden müssen, zwischen skug und dem Berliner T.I.T.O.-Festival eine Medienkooperation zu lancieren und für den Praxistest in die Stadt des steppenden Bären eingeladen worden war, ging es Ende Oktober auf das T.I.T.O. Als ich Bekannten erzählte, nach Berlin zu fahren, gab es respektierlich-neidische Blicke. Die sich in Unverständnis wandelten, sobald ich davon sprach, was ich dort mache. Tito? Nee, T.I.T.O. Und wat issn dat nu? Das Festival »The International Turntable Orchestra«. Ein Festival, bei dem sich 14 MusikerInnen einfanden, die mit Turntables Musik machen. Turntablism eben. Allerdings nicht in HipHop-Tradition, sondern in der skulpural-objekthaften eines Christian Marclay oder Otomo Yoshihide. In den überaus aufschlussreichen T.I.T.O.-Linernotes wird der Beginn des konzeptuellen Turntablism bereits bei Karl Valentin und seinem anarchistischen Kurzfilm »Im Schallplattenladen« von 1934 datiert. Kein Wunder, schließlich geht es ja auch darum, mit Platten, Hüllen, Plattenspieler und -nadel manipulativ (genau: die Hände!) zu arbeiten und das »Außen« zum konzeptuellen Musikinstrument zu transformieren, also alles zu tun, außer eine Platte regulär abzuspielen.

Das vom Berliner Turntablisten Ignaz Schick zusammen mit Gregor Hotz (Ausland) auf der Akademie der Künste Berlin veranstaltete Festival versammelte Wolfgang Fuchs (A), Dieb13 (A), Philip Jeck (UK), Joke Lanz (CH), Arnaud Rivière (F), Marina Rosenfeld (US), Martin Ng (AUS), Katsura Mouri/Takahiro Yamamoto – BusRatch (J), Martin Tétreault (CAN), Claus von Bebber (D), Maria Chavez (PE), eRikm (F) und Schick himself, die sich in vier Tagen durch Solos, Duos, Trios und ganze Orchester- bzw. »Big Band«-Ensembles spielten. Das Line-Up kam wegen seiner Kompaktheit als doch recht streng gehalten daher, die Stunden waren dicht mit Programm gefüllt. Hinzu kommt die für Berliner Verhältnisse etwas exponierte Lage der Akademie. Zufällig fiel hier keiner herein. Indes schafften es pro Abend weit über 100 Interessierte in die Konzerthalle. Alle 20 Minuten betrat eine andere Formation die Bühne. Dadurch war immer wieder für kurzweilige Pausen gesorgt. Wer wollte, konnte bereits ab 10 Uhr Früh den Proben für die Abendkonzerte lauschen, die bis nach Mitternacht dauerten.

Ich muss zugeben, ich habe nur die zweite Hälfte des Festivals mitbekommen. Und dabei auch nicht alles, weil der skug-Merchandise-Stand betreut sein wollte. Das für mich eindrücklichste Solo lieferte der Krach-Berserker Rivière ab, der mit vollstem Körpereinsatz Equipment (stahlgefertigter Plattenspieler, Metallplatten, Eisenstangen) und Mobiliar drangsalierte, als gäbe es kein Morgen. Versuchen Sie so etwas nicht zuhause. Abgesehen von diesen brachialen Verrenkungen, brauchte es in den Gruppenkonstellationen immer wieder eine gewisse Zeit, bis sich aus dem Konvolut an Dröhnen, Knacksen, Rauschen und Loops die Sound-Handschriften der jeweiligen MusikerInnen herauskristallisierten. Zu gerne hätte ich über Videokamera und Beamer mitbekommen, was da unter den Musikerhänden eigentlich abläuft. Während man bei einem klassischen Line-Up noch verfolgen kann, was auf der Bühne passiert, blieben so die manipulativen Interventionen in die teils abstrakten, teils concrèten Soundeskapaden zwischen dem typischen, minimalistischen Knacksen der Nadel in der geloopten Auslaufrille und ausufernden Geräuschkompositionen für den Betrachter spekulativ. Was klarerweise die Prägnanz der rudimentären, indes sehr farbenfrohen Soundgestaltungs-charaktere in keinster Weise trübte. Konzentriertes Hören war das Gebot der Stunde. Spannend auch und besonders die jeweils zu späterer Stunde gebotenen Sessions, bei denen Schick, Tétreault, von Bebber oder Rosenfeld als Dirigenten das bis zu 13-köpfige Orchester durch ihre Kompositionen leiteten.

Um dieses Festival in seiner Beschäftigung mit Platten zu komplettieren, war auch das deutsch-schweizerische Vinyl Cutting Service zugegen. Flo Kaufmann/Jan Zimmermann, die bereits am »Mutek« oder dem Stralsunder »Garage«-Festival für staunendes Publikum gesorgt hatten, boten einen Service der Extraklasse. Man konnte am T.I.T.O.-Stand einen 7“- oder 12“-Rohling käuflich erwerben und das VCS schnitt den vom Käufer auf CD, MP3 oder Platte gebrachten Lieblingstrack darauf. Das VCS kam mit der Bearbeitung der Anfragen kaum hinterher.

Krise oder gar Tod des Vinyls? T.I.T.O. zeigte, das genaue Gegenteil ist der Fall.

Was bleibt, ist der Eindruck eines sehr ambitionierten Festivals, das es in dieser musikalischen und theoretischen Stringenz zu dieser – nennen wir’s einfach so – Nischenmusik bisher wohl selten gab. Nach den letzten Konzerten am Sonntagabend waren die meisten MusikerInnen denn auch verdienterweise ausgepowert, aber glücklich. Die Mensa der Akademie schloss ihre Pforten erst viel später als sonst üblich.

Danke an Ignaz Schick, Martha B. und vor allem Guido M.+Ute für die feine Zeit in Berlin.

www.tito.zangimusic.de

Home / Musik / Konzert

Text
Heinrich Deisl

Veröffentlichung
16.11.2009

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